Karl Valentin und Liesl Karlstadt – Anarchie des Absurden
In Valentin/Karlstadts Stück Die Raubritter vor München ist ein berühmter Dialog des real-surrealen Bühnenpaars enthalten, der die objektive Vernunft außer Kraft setzt, um der eigenen individuellen Wahrnehmung Gültigkeit zu verleihen, Der Ententraum. Ein hinreißendes anarchisch-absurdes Lehrstück und eine Hommage an die Wahrheit des Traumes. Der Wachtposten Bene (Karl Valentin) wird vom Trommlerbub (Liesl Karlstadt) geweckt und ist darüber sehr böse, weil er aus einem besonders schönen Traum gerissen wurde: Er habe geträumt, er sei eine auf einem Weiher herum schwimmende Ente. Plötzlich habe er am Ufer einen langen gelben Wurm entdeckt, sei auf ihn zu geschwommen, habe den Schnabel aufgerissen, aber bevor er den Leckerbissen habe schnappen können, sei er geweckt worden. Der Trommlerbub verteidigt sich: Er habe nichts davon gewusst, sonst hätte er natürlich gewartet und ihn erst nach dem Genuss des Leckerbissens geweckt. Bene beginnt ein Streitgespräch darüber, für wen es ein schöner Traum gewesen sei, ob nur für die Ente selbst oder auch für denjenigen, der geträumt habe, er sei eine Ente. Noch dazu, wo der Träumer doch in Wirklichkeit lieber Schweinsbraten esse als einen Wurm. Bene verwickelt sich immer mehr in Widersprüchlichkeiten, die der Trommlerbub unbarmherzig und scharfsinnig aufdeckt. Dabei wechseln sich Traum- und Realitätsargumente in atemberaubenden Sprüngen miteinander ab. Die beiden Protagonisten, Bene und der Trommlerbub, gelangen zu der Erkenntnis, dass sie eben eine unterschiedliche Weltanschauung haben.
Das gilt auch für den „Zufalls-Dialog“, den der Kapellmeister (Liesl Karlstadt) mit einem Musiker (Karl Valentin) in dem Stück Theater in der Vorstadt, auch bekannt als Orchesterprobe führt. In Liesl Karlstadts Nachlass befinden sich kleine Zettel, auf die handschriftlich Dialogfragmente notiert sind. Auf einem ist zu lesen:
1. Radfahrer wär so auch daher gekommen
auch wenn Sie nicht davon gesprochen hätten
1. Das weiß ich nicht
2. Da bin ich überzeugt davon
3. Dann ham Sie eben eine andere Weltanschauung
(Nachlass Liesl Karlstadt, Monacensia)
Die beiden streiten sich darüber, ob man es als Zufall bezeichnen kann, wenn mitten in der Stadt auf einer belebten Straße ein Radfahrer vorbeifährt, während zwei Leute gerade von einem Radfahrer sprechen. Der Kapellmeister versucht, sein starres Gegenüber von dem Radfahrergedanken abzubringen, indem er eine neue Figur erfindet: einen Ozeanflieger. Den ereilt jedoch dasselbe Schicksal wie zuvor den Radfahrer. Er wird vom Musiker als Variation willkommen geheißen und in das formale System eingebunden. Wieder versucht nun der Kapellmeister, das Gespräch zu beenden.
K: ... Herrgott lassens mir jetzt mal mei Ruh! Erzähls mir nix mehr in Zukunft!
V: ... Ja, von mir aus! Aber morgen, gehn wir wieder durch die Kaufingerstrass und da redn wir von einem Ozeanflieger.
K: ... Das ist mir ganz gleich. Redns von was Sie wolln! Von mir aus redns vom Deifel.
V: ... Nein, nicht vom Deifel, sondern von einem Ozeanflieger.
K: ... Ja, von mir aus! Der Gescheitere gibt doch nach.
V: ... I geb ja nicht nach.
K: ... In Gottes Namen von einem Ozeanflieger!
V: ... Aber wehe Ihnen, wenn dann a Radfahrer daherkommt!
(Nachlass Liesl Karlstadt, Monacensia)
Die Reihe der Sketche Valentin/Karlstadts erscheint als unendliches Gespräch. Karl Valentin wusste, dass er in Liesl Karlstadt eine Komplizin gefunden hatte gegen das Publikum, das eine Welt repräsentierte, die ihn und seine Worte oft missverstand. Er provoziert, irritiert und sprengt vorgegebene Verhaltensmuster. Wenn wir seiner anarchistischen Sichtweise folgen, haben wir die Chance, eine Situation ganz neu wahrzunehmen. Machtstrukturen werden genauso aufgebrochen wie die eingefahrenen Kommunikationsrituale zwischen Mann und Frau.
Der Literaturwissenschaftler Peter Hanusch schreibt in einem unveröffentlichten Text über die Anarchisten des bayerischen Humors „LK+KV“:
Im Firmling versuchen die beiden schon zu Beginn das Chaos entstehen zu lassen (indem sie im Restaurant gleich beim Betreten den Tisch und die Stühle umwerfen). Aber das dauert nicht lange, halten sie auch nicht durch. Es ist so, wie es immer war und endet wiederum dort, wo es immer endet: im Chaosort (und das musste noch gesteigert werden wegen des Anfangs: Nudeln auf dem Kopf und in den Taschen, auf dem Boden herumliegen usw.). Mir scheinen diese Schlüsse fast zwanghaft gewollt; nicht um des Humors willen, sondern einem eigenen Bedürfnis entsprechend. Sie wollten die Welt so, weil sie sonst nicht auszuhalten war.
(Peter Hanusch, Brief an Gunna Wendt, 1998)
Weitere Kapitel:
In Valentin/Karlstadts Stück Die Raubritter vor München ist ein berühmter Dialog des real-surrealen Bühnenpaars enthalten, der die objektive Vernunft außer Kraft setzt, um der eigenen individuellen Wahrnehmung Gültigkeit zu verleihen, Der Ententraum. Ein hinreißendes anarchisch-absurdes Lehrstück und eine Hommage an die Wahrheit des Traumes. Der Wachtposten Bene (Karl Valentin) wird vom Trommlerbub (Liesl Karlstadt) geweckt und ist darüber sehr böse, weil er aus einem besonders schönen Traum gerissen wurde: Er habe geträumt, er sei eine auf einem Weiher herum schwimmende Ente. Plötzlich habe er am Ufer einen langen gelben Wurm entdeckt, sei auf ihn zu geschwommen, habe den Schnabel aufgerissen, aber bevor er den Leckerbissen habe schnappen können, sei er geweckt worden. Der Trommlerbub verteidigt sich: Er habe nichts davon gewusst, sonst hätte er natürlich gewartet und ihn erst nach dem Genuss des Leckerbissens geweckt. Bene beginnt ein Streitgespräch darüber, für wen es ein schöner Traum gewesen sei, ob nur für die Ente selbst oder auch für denjenigen, der geträumt habe, er sei eine Ente. Noch dazu, wo der Träumer doch in Wirklichkeit lieber Schweinsbraten esse als einen Wurm. Bene verwickelt sich immer mehr in Widersprüchlichkeiten, die der Trommlerbub unbarmherzig und scharfsinnig aufdeckt. Dabei wechseln sich Traum- und Realitätsargumente in atemberaubenden Sprüngen miteinander ab. Die beiden Protagonisten, Bene und der Trommlerbub, gelangen zu der Erkenntnis, dass sie eben eine unterschiedliche Weltanschauung haben.
Das gilt auch für den „Zufalls-Dialog“, den der Kapellmeister (Liesl Karlstadt) mit einem Musiker (Karl Valentin) in dem Stück Theater in der Vorstadt, auch bekannt als Orchesterprobe führt. In Liesl Karlstadts Nachlass befinden sich kleine Zettel, auf die handschriftlich Dialogfragmente notiert sind. Auf einem ist zu lesen:
1. Radfahrer wär so auch daher gekommen
auch wenn Sie nicht davon gesprochen hätten
1. Das weiß ich nicht
2. Da bin ich überzeugt davon
3. Dann ham Sie eben eine andere Weltanschauung
(Nachlass Liesl Karlstadt, Monacensia)
Die beiden streiten sich darüber, ob man es als Zufall bezeichnen kann, wenn mitten in der Stadt auf einer belebten Straße ein Radfahrer vorbeifährt, während zwei Leute gerade von einem Radfahrer sprechen. Der Kapellmeister versucht, sein starres Gegenüber von dem Radfahrergedanken abzubringen, indem er eine neue Figur erfindet: einen Ozeanflieger. Den ereilt jedoch dasselbe Schicksal wie zuvor den Radfahrer. Er wird vom Musiker als Variation willkommen geheißen und in das formale System eingebunden. Wieder versucht nun der Kapellmeister, das Gespräch zu beenden.
K: ... Herrgott lassens mir jetzt mal mei Ruh! Erzähls mir nix mehr in Zukunft!
V: ... Ja, von mir aus! Aber morgen, gehn wir wieder durch die Kaufingerstrass und da redn wir von einem Ozeanflieger.
K: ... Das ist mir ganz gleich. Redns von was Sie wolln! Von mir aus redns vom Deifel.
V: ... Nein, nicht vom Deifel, sondern von einem Ozeanflieger.
K: ... Ja, von mir aus! Der Gescheitere gibt doch nach.
V: ... I geb ja nicht nach.
K: ... In Gottes Namen von einem Ozeanflieger!
V: ... Aber wehe Ihnen, wenn dann a Radfahrer daherkommt!
(Nachlass Liesl Karlstadt, Monacensia)
Die Reihe der Sketche Valentin/Karlstadts erscheint als unendliches Gespräch. Karl Valentin wusste, dass er in Liesl Karlstadt eine Komplizin gefunden hatte gegen das Publikum, das eine Welt repräsentierte, die ihn und seine Worte oft missverstand. Er provoziert, irritiert und sprengt vorgegebene Verhaltensmuster. Wenn wir seiner anarchistischen Sichtweise folgen, haben wir die Chance, eine Situation ganz neu wahrzunehmen. Machtstrukturen werden genauso aufgebrochen wie die eingefahrenen Kommunikationsrituale zwischen Mann und Frau.
Der Literaturwissenschaftler Peter Hanusch schreibt in einem unveröffentlichten Text über die Anarchisten des bayerischen Humors „LK+KV“:
Im Firmling versuchen die beiden schon zu Beginn das Chaos entstehen zu lassen (indem sie im Restaurant gleich beim Betreten den Tisch und die Stühle umwerfen). Aber das dauert nicht lange, halten sie auch nicht durch. Es ist so, wie es immer war und endet wiederum dort, wo es immer endet: im Chaosort (und das musste noch gesteigert werden wegen des Anfangs: Nudeln auf dem Kopf und in den Taschen, auf dem Boden herumliegen usw.). Mir scheinen diese Schlüsse fast zwanghaft gewollt; nicht um des Humors willen, sondern einem eigenen Bedürfnis entsprechend. Sie wollten die Welt so, weil sie sonst nicht auszuhalten war.
(Peter Hanusch, Brief an Gunna Wendt, 1998)