Der erste Wiesnbesuch

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V.r.n.l.: Erika Mann, Liesl Karlstadt und deren Schwester Amalie im Bräusaal der Augustiner

Als einen ausgeprochenen Höhepunkt empfand Therese Giehse ihren ersten Oktoberfestbesuch, den sie ihrem großen Bruder Max verdankte. Er schwärmte ihr von der Wiesn vor, lud sie ein, verführte die Halbwüchsige zu ihrem ersten Bier in einem der riesigen Bräusäle. Der Funke sprang sofort über: Von diesem Zeitpunkt an liebte Therese das berühmte bayerische Volksfest, traf sich dort jedes Jahr mit Freundinnen und Freunden und war unglücklich, wenn sie einmal nicht dabei sein konnte, weil ein Engagement außerhalb von München sie daran hinderte.

Erika Mann hatte das, was das Oktoberfest für die Münchner und für die Welt bedeutete, 1929 in einer Glosse dargestellt, die mit dem Satz beginnt: „Bei uns in München ist große Zeit.“ Die größte Festwiese der Welt sei herrlich anzuschauen, schwärmte sie, und die Einwohner dieser Stadt, die gemacht sei für Feste, jubelten und scheuten sich nicht, all ihr Erspartes auszugeben. „Diese sparen aufs Oktoberfest, wie andere auf die Sommerreise.“ Erst beim Feiern zeige München sein wahres Gesicht, tue es mit ganzer Seele, ohne in diesen Tagen überhaupt nur einen Gedanken ans Arbeiten zu verschwenden. Der „Wiesenmagen“ sei die bekannte und populäre saisonale Krankheit, die viele Münchner befalle. Sie gehe auf das zurück, was während eines Oktoberfestbesuchs durcheinander gegessen, getrunken, gefahren und gerutscht wird.

Ihr Lieblingsort auf der Wiesn war der Bräusaal der Augustiner, in dem man sich niederließ, um eine Riesenmaß Augustiner Edelstoff zu trinken, Rettich, Wurst, Huhn und „kollossale Brezeln“ zu essen. Ein Foto zeigt sie dabei mit Liesl Karlstadt und deren Schwester Amalie: drei Frauen in ausgelassener Stimmung, die Maßkrüge zum Prost erhoben – fehlte nur noch Therese Giehse, die Freundschaft zu allen dreien pflegte und meistens dabei war. 

Die Verfasserin der Glosse wäre jedoch nicht Erika Mann, wenn sie nicht auch das Abseitige des berühmten Volksfests anführen und sich über die „Psychologie des Vergnügens“ wundern würde: „Instrumente gibt es auf diesem Oktoberfest, Vorrichtungen, von denen ich sicher weiß, dass sie im Grunde Marterwerkzeuge sind und aus dem frühen Mittelalter stammen.“ Dazu zählen die „lustigen Tonnen“, die die Besucher freiwillig besteigen und in denen sie sich herumrollen lassen. „Du siehst Damenbeine, verrutschte Blusen und die unverhohlenste Verzweiflung.“ Doch um 10 Uhr wird dem wilden Treiben Einhalt geboten: Das Fest ist zu Ende, „Kinder und Volk gehören um 10 ins Bett.“

Verfasst von: Bayerische Staatsbibliothek / Gunna Wendt