Balthasar Hierl
Ein Kapitel des Romans Erfolg widmet Feuchtwanger dem Komiker Balthasar Hierl, für den Karl Valentin Vorbild war.
Der große Minervasaal, ein volkstümliches Varieté in der Nähe des Hauptbahnhofes, war dicht gefüllt; denn der Komiker Balthasar Hierl, der heute nach längerer Pause zum erstenmal wieder auftrat, war populär. Die Zuhörer waren zumeist Kleinbürger, Leute aus dem Mittelstand, Dreiviertel-Liter-Rentner, Drei-Quartl-Privatiers wurden sie genannt, weil ihr Vermögen zu einem ganzen Liter Bier nicht reichte.
(Lion Feuchtwanger: Erfolg, a.a.O., S. 232ff.)
Feuchtwanger schildert einen Auftritt des Sprachkünstlers – unverkennbar die „Orchesterprobe“. Dabei übersieht er erstaunlicherweise die Partnerin des Akteurs, ohne die der Sketch nicht funktionieren würde.
Auf der Bühne erschien der Komiker Balthasar Hierl. Ein verschlissener Samtvorhang war da, rot und gold, überladen und sehr dreckig. Vor diesem Vorhang saßen einige Orchestermusiker, unter ihnen lang, dürr, traurig der Komiker. Auf billige Art geschminkt, die Gurkennase kläglich weiß, zwei feuerrote Clownflecken auf den Backen, klebte er wie eine Fliege auf einen armseligen Stuhl; die hageren Waden, aus viel zu weiten Stiefeln herausstelzend, hatte er kunstvoll um die Stuhlbeine gewickelt. Es galt eine Orchesterprobe. Der Komiker Hierl spielte zunächst Geige, aber da der Kollege an der Pauke fehlte, hat er es übernommen, auch dessen Part zu vertreten. Das war schwierig. Das ganze Leben war schwierig. Es kamen einem harmlosen, friedfertigen Menschen überall Tücken dazwischen, hundsgemeine Ablenkungen, mit denen man sich herumschlagen mußte. Da rutschte zum Beispiel dem Kapellmeister die Krawatte, darauf mußte man ihn doch aufmerksam machen. Das war schwierig so mitten im Spielen. Man konnte zwar schnell und eifrig mit dem Geigenbogen auf die Krawatte deuten, doch das verstand der Kapellmeister nicht. Man mußte also aussetzen. Da kam das ganze Orchester in Unordnung; man mußte von vorn anfangen. Da rutschte wieder die Krawatte. Überhaupt war es hoffnungslos, sich zu verständigen. Alle einfachsten Dinge gerieten sogleich ins Problematische. Das Sprachliche reichte nicht. Dazu sollte man zwei Instrumente spielen. Die Hände reichten nicht, die Füße reichten nicht, die Zunge reichte nicht. Es war eine schwierige Welt.
(Ebda., S. 235)
Balthasar Hierls Partnerin, „ein resolutes Frauenzimmer“ bleibt namenlos. Sie hat bei Feuchtwanger auf der Bühne keinen Platz, erst nach der Vorstellung tritt sie, für die Liesl Karlstadt Vorbild war, als „Gefährtin“ des Künstlers in Aktion. Während er sich abschminkt, schimpft er über das zu kalte Bier.
Sie erklärte ihm, das Bier habe genau die vorgeschriebene Temperatur. Aber er murrte nur unzugänglich vor sich hin über die Weibsbilder, die damischen, die immer das letzte Wort haben müßten. Man hatte ihm natürlich gesagt, was für prominentes Publikum er heute gehabt hatte, und er, bei aller gespielten Verschlafenheit, hatte aufmerksam jede Wirkung beobachtet, wütend, wenn der winzigste Teil einer Pointe unter den Tisch fiel. Jetzt schimpfte er auf die Hammel, die sich an ihm ergötzt hatten. Er hatte nichts davon. Glaubte man etwa, daß ihm seine Späße Spaß machten? Einen Schmarren. Er war erfüllt von seiner Vaterstadt München; er sehnte sich nach einer Komödie, in der er sich, die Stadt München und die Welt hätte ausdrücken können. Aber das verstanden sie nicht, die Zwetschgenschädel, die blöden. Das ließen sie nicht zu. Knurrig, mit gelangweiltem, hohlwangigem Kopf, ausgemergelt, in schlotterigen, langen Unterhosen stand er da, kläglich, trank, blinzelte seine Gefährtin an, schimpfte leise vor sich hin. Endlich, er war trotz guter Einnahmen geizig und scheute den Luxus einer Mietdroschke, ließ er sich von ihr zu einem Straßenbahnwagen ziehen. Auf der Plattform drängte er sich an sie, voll Angst vor der Berührung der fremden Leute.
(Ebda., S. 240)
Weitere Kapitel:
Ein Kapitel des Romans Erfolg widmet Feuchtwanger dem Komiker Balthasar Hierl, für den Karl Valentin Vorbild war.
Der große Minervasaal, ein volkstümliches Varieté in der Nähe des Hauptbahnhofes, war dicht gefüllt; denn der Komiker Balthasar Hierl, der heute nach längerer Pause zum erstenmal wieder auftrat, war populär. Die Zuhörer waren zumeist Kleinbürger, Leute aus dem Mittelstand, Dreiviertel-Liter-Rentner, Drei-Quartl-Privatiers wurden sie genannt, weil ihr Vermögen zu einem ganzen Liter Bier nicht reichte.
(Lion Feuchtwanger: Erfolg, a.a.O., S. 232ff.)
Feuchtwanger schildert einen Auftritt des Sprachkünstlers – unverkennbar die „Orchesterprobe“. Dabei übersieht er erstaunlicherweise die Partnerin des Akteurs, ohne die der Sketch nicht funktionieren würde.
Auf der Bühne erschien der Komiker Balthasar Hierl. Ein verschlissener Samtvorhang war da, rot und gold, überladen und sehr dreckig. Vor diesem Vorhang saßen einige Orchestermusiker, unter ihnen lang, dürr, traurig der Komiker. Auf billige Art geschminkt, die Gurkennase kläglich weiß, zwei feuerrote Clownflecken auf den Backen, klebte er wie eine Fliege auf einen armseligen Stuhl; die hageren Waden, aus viel zu weiten Stiefeln herausstelzend, hatte er kunstvoll um die Stuhlbeine gewickelt. Es galt eine Orchesterprobe. Der Komiker Hierl spielte zunächst Geige, aber da der Kollege an der Pauke fehlte, hat er es übernommen, auch dessen Part zu vertreten. Das war schwierig. Das ganze Leben war schwierig. Es kamen einem harmlosen, friedfertigen Menschen überall Tücken dazwischen, hundsgemeine Ablenkungen, mit denen man sich herumschlagen mußte. Da rutschte zum Beispiel dem Kapellmeister die Krawatte, darauf mußte man ihn doch aufmerksam machen. Das war schwierig so mitten im Spielen. Man konnte zwar schnell und eifrig mit dem Geigenbogen auf die Krawatte deuten, doch das verstand der Kapellmeister nicht. Man mußte also aussetzen. Da kam das ganze Orchester in Unordnung; man mußte von vorn anfangen. Da rutschte wieder die Krawatte. Überhaupt war es hoffnungslos, sich zu verständigen. Alle einfachsten Dinge gerieten sogleich ins Problematische. Das Sprachliche reichte nicht. Dazu sollte man zwei Instrumente spielen. Die Hände reichten nicht, die Füße reichten nicht, die Zunge reichte nicht. Es war eine schwierige Welt.
(Ebda., S. 235)
Balthasar Hierls Partnerin, „ein resolutes Frauenzimmer“ bleibt namenlos. Sie hat bei Feuchtwanger auf der Bühne keinen Platz, erst nach der Vorstellung tritt sie, für die Liesl Karlstadt Vorbild war, als „Gefährtin“ des Künstlers in Aktion. Während er sich abschminkt, schimpft er über das zu kalte Bier.
Sie erklärte ihm, das Bier habe genau die vorgeschriebene Temperatur. Aber er murrte nur unzugänglich vor sich hin über die Weibsbilder, die damischen, die immer das letzte Wort haben müßten. Man hatte ihm natürlich gesagt, was für prominentes Publikum er heute gehabt hatte, und er, bei aller gespielten Verschlafenheit, hatte aufmerksam jede Wirkung beobachtet, wütend, wenn der winzigste Teil einer Pointe unter den Tisch fiel. Jetzt schimpfte er auf die Hammel, die sich an ihm ergötzt hatten. Er hatte nichts davon. Glaubte man etwa, daß ihm seine Späße Spaß machten? Einen Schmarren. Er war erfüllt von seiner Vaterstadt München; er sehnte sich nach einer Komödie, in der er sich, die Stadt München und die Welt hätte ausdrücken können. Aber das verstanden sie nicht, die Zwetschgenschädel, die blöden. Das ließen sie nicht zu. Knurrig, mit gelangweiltem, hohlwangigem Kopf, ausgemergelt, in schlotterigen, langen Unterhosen stand er da, kläglich, trank, blinzelte seine Gefährtin an, schimpfte leise vor sich hin. Endlich, er war trotz guter Einnahmen geizig und scheute den Luxus einer Mietdroschke, ließ er sich von ihr zu einem Straßenbahnwagen ziehen. Auf der Plattform drängte er sich an sie, voll Angst vor der Berührung der fremden Leute.
(Ebda., S. 240)