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Nora Zapf stellt in München die Initiative "wolkenschlösser" vor

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Sebastian Planck bei Literatur Moths in München; alle Fotos (c) Verena Kathrein

Auf Betreiben einer Reihe von Münchner AutorInnen, JournalistInnen und LektorInnen (u.a. Lena Gorelik, Marion Hertle, Björn Bicker, Sandra Hoffmann, Katja Huber, Fridolin Schley, Kathrin Reikowski, Nora Zapf, Denijen PauljevićAndreas Unger und Silke Kleemann) wird seit April 2016 einmal im Monat eine Münchner Buchhandlung zum Begegnungsort von Alt- und Neu-Münchnern. Die Beteiligten stellen Menschen vor, die auf der Flucht nach München gekommen sind. Dazu treffen sie sich in ihren Lieblingsbuchhandlungen und laden alle interessierten Münchnerinnen und Münchner mit und ohne Fluchterfahrung ein. Die Reihe ist unter dem Dach des Aktionsbündnisses Wir machen das entstanden, mit dem auch das Literaturportal Bayern kooperiert. Am 12. April stellte Nora Zapf Initiatoren und Teilnehmer von wolkenschlösser vor. Seit 2014 vermittelt die Initiative jungen Geflüchteten die deutsche Sprache anhand von Erzählungen, Gedichten, Filmen, Sketchnotes und Comics. Ihr Motto: Aus Zahlen (Bürokratie) wird Erzählen (Kunst). Katja Huber berichtet.

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Sommer 2014: Bevor der Münchner Literaturwissenschaftler Sebastian Planck nach Abschluss seiner Doktorarbeit in das obligatorische tiefe Loch fallen kann, füllt er es mit einer großen Idee. Gemeinsam mit zwei Freunden beschließt er, wolkenschlösser zu gründen. Ein Projekt, das junge Geflüchtete zum Schreiben bringt. Alle drei haben bereits erste Erfahrungen in der Flüchtlingshilfe gesammelt und sind überzeugt davon, dass eine neue Sprache nicht mit Bürokraten-Wendungen gelernt werden sollte. Also lehren sie Kreatives Schreiben: bieten Workshops an, in denen sie mit Geflüchteten Geschichten schreiben, Comics zeichnen und Figuren erfinden. Das Vokabular erweitert sich dabei ganz von selbst, denn auch Superhelden haben Augen, Nase, Mund …

Der erste Workshop ist bunt zusammengewürfelt: Die Teilnehmer sprechen unterschiedliche Sprachen, wenn Deutsch, dann auf unterschiedlichen Levels. Sie sind zwischen 25 und 55 Jahre alt. Eine ihrer wenigen Gemeinsamkeiten: Keiner ist mit Comics aufgewachsen.

Fast drei Jahre später: 12. April 2017, Literatur Moths. „Und doch”, erzählt Sebastian Planck, fast erstaunt, „hat dieser Workshop super funktioniert. Der Comic-Ansatz bietet einfach eine Art von Empowerment. Das relativ schnelle und einfache Schaffen von Sprache und Geschichte schafft Selbstbewusstsein.”

Eins wird im Gespräch mit Moderatorin Nora Zapf schnell klar: Sebastian Planck, der wolkenschlösser zu einem seiner vier Jobs zählt (dass nicht alle Brotjobs sind, versteht sich von selbst) und sich bei der Begrüßung des Publikums angesichts der ersten öffentlichen Vorstellung des Projekts mit Franz Kafka vergleicht („Der hatte auch immer Angst, Sachen zu veröffentlichen.”) hat sich sein Staunen in drei Jahren Arbeit mit Geflüchteten bewahrt und ist gleichzeitig extrem routiniert. Eine gute Mischung, die es ihm erlaubt, seinen Mitmenschen mit einem gesunden Maß an Naivität, aber auch mit Selbstverständlichkeit zu begegnen. Eine Mischung, die ihm sicherlich dabei hilft, Barrieren zu überwinden. Und eine Mischung, die für viele Zuhörer des Abends gar nicht so selbstverständlich ist: Man ist interessiert an und offen gegenüber Neuangekommenen und Neuem. Doch wie kommt man ins Gespräch, wie lassen sich Berührungsängste überwinden? Das sind Fragen, die bei Meet your neighbours-Veranstaltungen immer wieder auftauchen.

 

Rechts: die Illustratorin Annemarie Otten

Die Illustratorin Annemarie Otten hat Kunstpädagogik studiert. Seit zwei Jahren ist sie bei wolkenschlösser vor allem für zeichnerische und malerische Workshops verantwortlich. Bevor sie junge Geflüchtete dabei unterstützte, Erfahrungen und Erlebnisse anhand von Comics und Zeichnungen zu verarbeiten, hat sie sich im Rahmen ihrer Bachelor-Arbeit im Fach Kommunikationsdesign mit der Fluchtgeschichte ihrer Großmutter befasst, die aus dem rumänischen Banat stammt.

Otten liest den ersten Teil ihrer in der Ich-Perspektive geschriebenen Graphic Novel Elternerde, dazu werden Zeichnungen von „Ich, Anna, 5", „Meine Mutter, Marianne", „Peter (8 Monate)", „Maria (3)" und „Johann (7)" auf Leinwand projiziert. Auch wenn man bei den ersten Bildern und Zeilen noch feststellt, dass es gar nicht so leicht ist, sich anhand des Genres Graphic Novel ins Jahr 1943 und in eine in Rumänien geborene deutsche Fünfjährige zu versetzen, entwickelt die Geschichte bald ihren Sog. Und stellt unausgesprochene Fragen in den Raum, an einem Abend, der Biografien, Geschichte(n) und Erfahrungen von ‚heutigen‘ und ‚damaligen’ Geflüchteten vereint

Elternerde wurde 2014 veröffentlicht, im Gründungsjahr von wolkenschlösser, ein Jahr bevor hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland kamen, darunter zahlreiche minderjährige. Studien kommen zu dem Ergebnis, dass jeder zweite der 2015 nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge im Heimatland und auf der Flucht so Schlimmes erlebt hat, dass er als seelisch schwer belastet gilt. Welche Gemeinsamkeiten haben diese ‚neuen’ Geflüchteten mit den Flüchtlingen unserer eigenen Geschichte? Wie beeinflussen die Fluchterfahrungen der Deutschen ihre Einstellungen zu den Flüchtlingen von heute? Und wer kann von wem lernen, und wenn nicht, warum?

Pa Modou aus Gambia lebt seit drei Jahren in Deutschland und ist wolkenschlösser-Teilnehmer der ersten Stunde. Mit einem vom Who-is-Who der Geisteswissenschaften nur so überbordenden Text liefert er ein überzeugendes Statement zum Thema übertriebene Berührungsängste, Ressentiments, Fremdenfeindlichkeit und Generationenkonflikt.

In Nobelpreisgespräch setzt er sich mal eben mit „einigen verrückten Freunden“, darunter William Shakespeare, Isaac Newton, Galileo und Goethe an die Isar und lässt das Radio verkünden, „dass Albert Einstein den Nobelpreis für seine revolutionäre moderne Physik gewonnen hat“. Zumindest der Ich-Erzähler freut sich aufrichtig für Einstein, „Waaw, gratuliere Buddy“, sagt er. Doch schon fühlt sich Isaac Newton ungerecht behandelt, William Shakespeare will einen aufkommenden Streit schlichten, wird dabei aber von Goethe zurechtgewiesen: „Halt dein Maul!! Du hast hier gar nichts zu sagen!“ Im weiteren Verlauf des Gesprächs wiederum macht sich Susanne Eger, „deutsche Dichterin, Schriftstellerin und Verfasserin des Leipziger Kochbuchs”, über Shakespeare lustig und wird dafür von Elizabeth Augustin gemaßregelt: „Hallo! Susanne, sei nicht so respektlos, sie sind deine Ältesten!“ – woraufhin der Ich-Erzähler die illustre Schar ermahnt, das Mobbing zu beenden.

Pa Modous zweiter, wesentlich assoziativerer und gleichzeitig schlüssiger Text an diesem Abend sind seine The I and I Whatsapp Philosophies, geschrieben und vorgetragen auf Englisch. Pa Modou ist überzeugter Social Media- und sogar Internet-Skeptiker. Er möchte keine Fotos von sich ins Netz stellen, aber keinesfalls auf den Messaging-Dienst verzichten, der ihm zur Kommunikation dient, aber auch Baustein seiner kreativen Arbeit ist. Ständig wechselt er sein Profilbild und vor allem seine Statusmeldung – meist ein Zweizeiler zu einer konkreten Stimmung, einer Schlagzeile, einem Ereignis oder Gedanken. Diese Zweizeiler hat Pa Modou gesammelt, nach Themenkomplexen sortiert und kunstvoll miteinander verbunden:

But i heard the i and i say, my vision is longer than the river Nile and my dreams are bigger than the i and you can imagine
But the Most- high not him, her, he, she, or it but the i call it, guide our steps. Acceptance is my Philosophy only then you can make a change.
There should be no intimidation in education, because our knowledge has its origins in our perceptions. So teach the children to be wise and smart
Be open minded, spread love und compassion. Pay tributes to those people who positively influence you in your endeavors.
Beware of plastic smiles around you some of them are not real
And remember that there is no better legacy than being human.

Pa Modou, heute 19, mit 16 Jahren von Gambia nach Deutschland gekommen, scheint in vielen Sprachen und auch Künsten zuhause zu sein‚ und er ist – Humanist. Die Lanze, die er während seines Vortrags, mal nüchtern lesend, mal predigend, mal singend für Menschsein und Menschlichkeit bricht, bricht er später im Gespräch auch für die Literatur. „Sie darf nicht sterben. Was soll denn sonst aus zukünftigen Generationen werden?” fragt er und betont gleichzeitig, dass Schreiben seine Leidenschaft ist. Im Gespräch mit Nora Zapf findet er sogar eine nüchterne Formel für das, was ihn so bewegt: „Die Transformation von Gefühlen mit Hilfe von Grammatik und Sprache“, die für ihn aber ganz eindeutig keine berufliche Option ist. Genauso wie das Musikmachen. Gerade ist er dabei, im Tonstudio von Refugio München ein Mix-Tape zu erstellen, Lieder mit eigens geschriebenen Texten, die er über Beats singt. Alles (nur) Hobby – deshalb ist er auch froh, dass er an der Münchner SchlaU-Schule seinen Qualifizierten Hauptschulabschluss machen konnte und sich derzeit zum Industriemechaniker ausbilden lässt, einen Beruf, den er richtig gut findet und den er auch ausüben will.

Khalaf Almohamad

Khalaf Almohamad lebt erst seit Anfang 2016 in Deutschland, und er singt ein Loblied auf München, „die beste Stadt in Deutschland“, auch wenn er zugibt, Kassel als einzigen Vergleich zu haben. Nachdem er 2014 Syrien und damit auch seine große Familie verlassen musste, lebte er eineinhalb Jahre in der Türkei. Eineinhalb Jahre, in denen er, wie er sagt, viel Zeit hatte, wenig Austausch und nichts zu tun. Also tat er das, wozu sein Onkel ihn schon als Kind motiviert hat. Dieser hat die Straßen, Mauern, Laternenmasten seiner Stadt „markiert“, mit kleinen Schriftzügen und vor allem Zeichnungen. Khalaf wuchs in einem kleinen Dorf auf, doch schon als Achtjähriger ging er durch die Straßen Aleppos und konnte genau erkennen, wo sein Onkel seinen letzten „tag“ hinterlassen hatte. In der Türkei zeichnete Khalaf mehr denn je und begann zu schreiben. Geschichten und Gedichte. Einige seiner Bleistift-Zeichnungen werden während seines Gesprächs mit Nora Zapf auf die Leinwand projiziert: Selbstporträts, Porträts von Freunden und Freundinnen, von Annemarie Otten, mit der er auch in einem Workshop zusammengearbeitet hat, und von seinem Lieblingstier, dem Pferd.

Als Khalaf Almohamad schließlich ein Gedicht auf Arabisch vorträgt, herrscht Stille im Raum. Und sie hält an, als Nora Zapf die Übersetzung von Peter Tarras liest. Ein Auszug:

 

Eines Tages werde ich an einen Ort gehen, den ich nicht kenne.
Aber es wird alles so sein, wie es sein sollte.

Als Mensch werde ich einen Wert haben
ein Recht haben auf Respekt

eine Person sein, in der Gesellschaft etwas
bewegen

Tun, was ich möchte, ohne dass jemand sagt:
Halt! Das ist verboten, das geht nicht
Das ist nichts für dich, das ist eine rote Linie,
die nicht überschritten wird
Und das und das und das und das …

Genug mit Euren Lügen, Unwahrheiten,
Witzen, Spekulationen
Dass ihr mir sagt, was ich tun soll
Ich bin es, der entscheidet

Ihr verdreht nur die Wahrheit,
kleidet Verderben in schöne Kleider

Ihr denkt über Menschen wie Vieh,
führt sie an wie zur Schlachtbank

Ich habe mich heute entschieden

Ihr habt euren Tag, doch ich habe meinen
ihr habt, was ihr habt, ich habe meinen Stift
ihr habt euer Recht, ich habe meinen Herrn,

wie könnte Er mich vergessen?

 

In München, erzählt Khalaf Almohamad, ist er längst nicht so allein, wie er es in der Türkei war. Hier hat er Freunde gefunden. Er spricht kein Englisch, was das Deutsch-Lernen vielleicht sogar etwas beschleunigt, und längst lernt er nicht mehr nur, erzählt Sebastian Planck nach der Veranstaltung, sondern lehrt auch, ist nicht mehr Workshop-Teilnehmer, sondern unterrichtet selbst Geflüchtete. Er bringt ihnen das Zeichnen bei, zum Beispiel im Welcome Café der Münchner Kammerspiele. Außerdem wird er von wolkenschlösser gerade zum neuen Bob Ross aufgebaut. In kleinen Videos gibt er Zeichenstunden in deutscher Sprache, das Ganze ist arabisch untertitelt und demnächst auf youtube zu sehen sowie auf Facebook und Instagram. Doch auch Khalaf sieht sich nicht wirklich als Künstler, er zeichnet und schreibt, um seine Gefühle auszudrücken, und ‚lernen’ bedeutet für ihn auch wirklich ganz klassisch lernen. Auch er würde gerne seinen Quali machen und eine Ausbildung, doch noch besteht diese Möglichkeit nicht.

Die Protagonisten an diesem Abend sind so unterschiedlich wie ihre derzeitigen Lebenssituationen: In ihren Werken unternehmen sie den Versuch, Geschichte und Geschehenes eins zu eins abzubilden, sie spielen mit Parodie und Ironie, sie postulieren ein besseres Leben. An einem Abend präsentiert, zeichnen sie das weite Spektrum des Themas ‚Ankommen'. Und dabei wird klar: Ankommen kann nur, wer auch angenommen wird. wolkenschlösser können dabei eine große Hilfe sein.

 

Links: Khalaf Rajab Almohamad und Nora Zapf

 

Die Veranstaltungen der Meet your neighbours–Reihe 2017 finden statt in Zusammenarbeit mit der Allianz Kulturstiftung und der Stiftung :do.

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