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14.03.2017, 10:42 Uhr
Laura Velte
Schullesereihe
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© Katharina Kreye

Die Schullesereihe „So fremd wie wir Menschen“ mit Tilman Spengler

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Alle Fotos © Laura Velte / Literaturportal Bayern

Seit zwei Jahren ist die sogenannte Flüchtlingskrise ein zentrales gesellschaftliches Thema. Auch das Literaturportal Bayern beteiligt sich mit mehreren Projekten: 2015 war es Kooperationspartner der Buchpublikation Fremd, einer Anthologie gegen Fremdenfeindlichkeit, es hat zudem etliche Lesungen veranstaltet und unterstützt das Aktionsbündnis Wir machen das. Nun geht es noch einen Schritt weiter, oder eher: tiefer, bis an die Graswurzeln der Gesellschaft, hinein in die Schulen. Die Reihe So fremd wie wir Menschen setzt auf Lesungen und Diskussionen nicht nur mit Erwachsenen und Tonangebern, die ihre festen Meinungen oft schon haben, sondern mit Heranwachsenden, mit Schülerinnen und Schülern, die von dem Flüchtlingsthema mindestens ebenso betroffen sind und ganz eigene Erfahrungen und Blickwinkel darauf haben. Die Schullesereihe möchte mit Jugendlichen aus allen Schultypen Texte lesen, die aktuelle Situation diskutieren, über Hoffnungen und Ängste sprechen – und Anregungen zum eigenen kreativen Umgang damit bieten. Unterstützt vom Bayerischen Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst fand am 7. März 2017 an der Mittelschule in der Wittelsbacherstraße in München die dritte Veranstaltung der Reihe statt. Vorgestellt von Fridolin Schley, war diesmal Tilman Spengler zu Gast, der mit den Schülern über das Leben als Schriftsteller sprach – und über die wertvolle Begegnung mit dem 'Fremden'.

*

Mit Beifall wird der prominente Gast von den Schülerinnen und Schülern der Wittelsbacher Mittelschule in München gleich vis-à-vis der Isar begrüßt. Einige haben ihn vorher noch schnell gegoogelt und nicht schlecht gestaunt, wen sie da vor sich haben. Den Dienstagnachmittag nutzen sie normalerweise zum Lesen, heute verlaufen die beiden Schulstunden einmal anders: Es wird für sie gelesen. Der Schriftsteller und allgemeine Tausendsassa Tilman Spengler, der auch an der Anthologie Die Hoffnung im Gepäck (Allitera Verlag) mitgewirkt hat, berichtet von seinen Begegnungen mit Geflüchteten. In ganz unterschiedlicher Form, mit unterschiedlichen Zugängen und mal mehr, mal weniger fiktional könne man deren Geschichten aufschreiben. In der Literatur gibt es eben nicht nur eine Wahrheit. Die Geschichte Schließkreuz erzählt zum Beispiel davon, wie Spengler (oder sein literarischer Zwilling) an einem Bahnhof irgendwo im Nirgendwo Bayerns auf Omar trifft.

 

Es ist ein heißer Tag. Der junge Mann, der vor dem Bildschirm steht, trägt eine grob gestrickte Wollmütze, so dunkel wie seine Hautfarbe, einen grünen Parka, Jeans und dunkelblaue Schuhe aus Baumwolle. Über seinen schmalen Rücken sehe ich, wie er mehrfach auf das Fenster „Fahrkarte schnell und einfach kaufen" drückt, daber aber immer wieder an der Aufforderung scheitert, die, wenn ich es recht erinnere, lautet: „Berühren des Schließkreuzes oben rechts".

Schließlich wendet er sich mit einem hilflosen Blick an mich, zeigt auf das immer wieder aufblinkende Wort „Schließkreuz" und sagt: „Können Sie mir helfen, bitte?"

Das kann auch ich nicht. Der Apparat folgt offenbar Befehlen einer Macht, die sich durch die Hitze oder einen einfachen digitalen Schaltfehler rationaler Kontrolle entzogen hat. Doch so kommen wir ins Gespräch. Über das Wort Schließkreuz.

 

Im Gespräch mit den Schülern beschreibt Tilman Spengler seinen neuen Bekannten als einen jungen Mann, der vor allem Angst hat. Im Austausch mit dem Schriftsteller wollte er zunächst nicht viel über sich erzählen, da sein Aufenthaltsstatus unklar, sein Asylantrag noch nicht genehmigt war. Die Identifizierbarkeit über seine Lebensdaten sah er als großes Risiko an. Deswegen machte Omar „aus seinem Leben ein Geheimnis“, wie Spengler berichtet. Die Geschichte hat er daher mehr für ihn als über ihn geschrieben. Sie ist der Bericht über ein erfundenes Leben, das Omar vielleicht einmal gebrauchen kann.

Fridolin Schley & Tilman Spengler

Einen wichtigen Aspekt der Aufzeichnung von Fluchtgeschichten sieht Spengler darin, zu notieren, was man selbst dabei wahrnimmt und fühlt und das relativ zeitnah zu der Begegnung mit dem fremden Gegenüber. Denn auch die eigene Offenheit lebt von Unmittelbarkeit, die kreative Umsetzung von Spiegelungen: Kennenlernen bedeutet immer für beide Seiten Gefühle des Fremdseins und der Verunsicherung. Mitunter macht man sich dabei so viele Gedanken, dass man das Einfachste ganz vergisst, schlichte menschliche Zuwendung, kleine Zeichen des Verbundenseins. So kann man auch als Einheimischer manchmal von den Neuankömmlingen lernen:

 

Ich bemerke erst einige Momente später, dass Omar inzwischen für uns beide ein Eis gekauft hat. Zwei doppelte Portionen im Hörnchen. Ich darf zwischen Vanille und Erdbeere wählen.

Hätte mir nicht auch der Gedanke kommen können, meinen Wegbegleiter auf ein Eis einzuladen? Die freundliche Geste gegenüber einem Fremden?

Der Gedanke war mir tatsächlich gekommen. Ich hatte ihn mir aber nur viel zu kompliziert zurechtgelegt. [...] Wenn ich, um ein Beispiel zu nennen, einer erwachsenen Person, die Not leidet, ein wenig helfe und diese Hilfe ein „Taschengeld" nenne, als handele es sich bei diesem Erwachsenen um ein unmündiges Kind, dann demütige ich diese Person, dann verletze ich ihre Würde.

 

Die Unsicherheiten im Miteinander kennen auch die versammelten Schülerinnen und Schüler, wie sie im Gespräch berichten. Allerdings ist, gerade an der Mittelschule, der kulturelle und religiöse Mix zugleich Alltag für sie. Um Konflikten vorzubeugen, empfehlen sie: Austausch und gemeinsame Erfahrungen, und seien diese auch noch so klein. Meist reicht schon ein Hallo auf dem Gang, und alles Suspekte löst sich auf. Man muss ja nicht jeden mögen, mit Akzeptanz ist auch schon viel gewonnen. Die bestehenden Vorurteile, die Schwierigkeiten im Umgang, die oft auch auf fehlender oder falscher Information gründen, werden am besten durch direkten Kontakt umgangen, durch ein Überprüfen und Mut zum eigenen Eindruck.

Neben dem Thema des Fremden interessieren sich die Schülerinnen und Schüler besonders für den Literaturbetrieb, sie fragen Tilman Spengler Löcher in den Bauch: über das Finden von Ideen und Verlagen, über Wahrheit und Unwahrheit in der Literatur und wieviel man als berühmter Schriftsteller denn ungefähr verdiene. So unermüdlich fahren ihre Finger in die Luft, dass am Ende gar keine Zeit mehr für das geplante Schreibspiel bleibt. Doch Spengler weiß Abhilfe: Er ruft kurzerhand einen Wettbewerb aus. Die Schüler können ihm ihre ersten eigenen Geschichten zuschicken, und die beste wird dann mit einer signierten Ausgabe von Die Hoffung im Gepäck ausgezeichnet und natürlich mit einem Eis.

Großer Dank gilt dem Direktorat und den Lehrkräften der Schule für ihr Engagement. Tilman Spengler bringt es auf den Punkt, als er der betreuenden Lehrerin Susanne John im Hinausgehen noch mitgibt: „Ein Klassenzimmer als geschützter Raum für Jugendliche jeden Hintergrundes und dazu Lehrer, die ihnen Offenheit und Toleranz nicht nur predigen, sondern vorleben eine bessere Grundlage für unsere Zukunft kann man sich gar nicht wünschen."

 

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