Interview mit der neuen Leiterin des Münchner Literaturhauses Tanja Graf
Seit dem 1. Juli 2016 leitet Tanja Graf das Literaturhaus in München. Zuvor war sie viele Jahre erfolgreich als Verlegerin und Verlagslektorin tätig und ist Mitbegründerin des ehemaligen SchirmerGraf Verlags und Gründerin des Graf Verlags, der heute zu den Ullstein Buchverlagen gehört. Die Begegnung zwischen Literatur und Leser ist also seit jeher ihr Geschäft, dem sie sich im Literaturhaus München nun von einer neuen Seite widmet. Wir haben Tanja Graf drei Monate nach der Übernahme der Leitung in München getroffen und mit ihr über die Zukunft des Literaturhauses gesprochen.
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Literaturportal Bayern: Tanja Graf, es gab einen großen Rummel rund um die Neubesetzung des Literaturhauses. In München begann schon ein halbes Jahr vor Ihrer Ernennung das öffentliche Rätselraten um mögliche Kandidaten. Wieviel haben Sie davon in der Schweiz, wo Sie damals gearbeitet haben, mitbekommen?
Tanja Graf: Zum Glück habe ich gar nichts davon mitbekommen. Ich war erstens in Zürich bei Diogenes weit weg und außerdem sehr beschäftigt. Das war ganz gut so. Ich wollte gar nicht wissen, wie hier die Gerüchteküche brodelt und wer sich noch beworben hat. Und ich weiß es zum Glück auch bis heute nicht.
Sie blicken auf eine sehr erfolgreiche Verlagskarriere zurück. Warum entschieden Sie sich für einen Wechsel ins Literaturhaus?
Der hat zum einen private Gründe: Meine Familie ist in München und deswegen war das Jahr in Zürich sehr spannend und interessant, aber perspektivisch gesehen kompliziert. Und zum anderen berufliche: So eine interessante Stelle wie im Literaturhaus München ist einmalig, und die Möglichkeit, sich darauf zu bewerben, gibt es nicht so häufig. Außerdem fühlt es sich für mich an wie die logische Konsequenz aus dem, was ich bisher getan habe. Die Hauptaufgabe eines Lektors und Verlegers ist es, Buch und Leser zusammenzubringen und Begegnungen zwischen Autor und Publikum zu ermöglichen. Es ist also eine Fortsetzung meiner bisherigen Arbeit unter anderen Vorzeichen.
Jetzt sind Sie schon ein paar Monate dabei. Wie ist es bisher gelaufen?
Ich war vom ersten Tag an so in die konkrete Planungsarbeit eingebunden, dass der Übergang so gut wie nahtlos war. Die Herausforderung wird sein, in Zukunft mehr Zeit für die Entwicklung neuer Konzepte zu finden. Das Gute ist, dass ich hier mit einem sehr erfahrenen Programmteam arbeiten kann, es war also kein „absoluter“ Neuanfang.
Die „Ära Wittmann“ hatte großen Erfolg. Es wurde aber auch immer wieder bemängelt, dass das Literaturhaus München, überspitzt gesagt, eine „Abspielplattform für Bestseller“ sei. Ist denn bei Ihnen mit mehr Experiment oder mit neuen Kooperationen zu rechnen?
Beides trifft zu, allerdings wird es auch weiterhin die großen Namen geben. Es ist schon auch eine der Missionen des Literaturhauses, Literatur in die Stadt zu bringen und große Namen werden im Literaturhaus erwartet. Aber wir werden auch Debüts bringen und neue Formate ausprobieren, zum Beispiel zusammen mit anderen Institutionen und Medien.
Gleich die erste Veranstaltung im September war mit einer koreanischen Autorin besetzt, die hier naturgemäß noch ganz unbekannt war. Ich bin auf den Namen Han Kang gestoßen, weil sie im Frühsommer den Man Booker International Price verliehen bekommen hat, und ich fand, es klang sehr interessant, was man über das Buch lesen konnte. Deswegen habe ich die Autorin gleich für uns optioniert. Das erwies sich als ein Glücksfall, weil sie überall besprochen wurde – und die Veranstaltung war ausverkauft. Ich finde es toll, dass eine unbekannte Autorin aus Südkorea – im Moment nicht gerade ein naheliegendes Thema – gleich so angenommen wurde.
Han Kang hat ihren Debütroman Die Vegetarierin vorgestellt. Auf welche Veranstaltung oder Ausstellung freuen Sie sich in der nächsten Zeit besonders?
Wir haben ein tolles Programm mit vielen großartigen Autorennamen, es wäre fast unfair, wenn ich jetzt etwas Bestimmtes nennen würde. Im Moment sind wir sehr beschäftigt mit der Helmut Dietl-Ausstellung. Sie ist sicherlich ein Highlight.
Während Ihrer Tätigkeit im Verlagswesen haben Sie bereits große Autorinnen und Autoren entdeckt, zum Beispiel Lena Gorelik oder Daniela Krien. Wie können Sie dieses besondere Gespür für Talente und Texte im Literaturhaus fruchtbar machen?
Als Verlegerin und Lektorin habe ich nicht nur deutsche Autorinnen und Autoren verlegt und lektoriert, sondern auch internationale. Da musste man eine „gute Nase“ beweisen und aus den vielen Angeboten eine Auswahl treffen. Hierin ist die Programmarbeit im Verlag der Arbeit im Literaturhaus gar nicht so unähnlich, denn man muss auf eine ausgewogene Mischung setzen. Es geht nicht nur darum, dass man neue Stimmen findet, obwohl das natürlich auch wichtig ist, sondern auch darum, dass man ein bestimmtes Spektrum abdeckt.
Die Aufgabe des Literaturhauses ist es ja, Literatur in all ihren Facetten und Möglichkeiten abzubilden, und für mich werden die Kriterien, die im Verlag eine Rolle gespielt haben, hier im Literaturhaus auch eine Rolle spielen: Das sind ästhetische und erzählerische Kriterien, aber natürlich auch thematische, politische, historische. Die Themenvielfalt speist sich aus dem, was die Verlage bieten, aber auch aus dem, was man in der Zeitung liest. Meine Hoffnung ist, dass wir nicht nur die Programme der Verlage abbilden, sondern Themen besetzen und Autoren einladen, die nicht gerade ein neues Buch herausgebracht haben, sondern die zu einem bestimmten Thema etwas Interessantes beitragen können.
Überhaupt sind Sie als große Leserin bekannt. Haben Sie denn einen besonderen Tipp oder gerade selbst eine besonders schöne Leseerfahrung gemacht?
Zum einen freue ich mich sehr über die vielen tollen Bücher, die wir für unser Herbstprogramm vorbereitet haben, und ich habe das Gefühl, aus dem Vollen schöpfen zu können. Aber ich habe die Sommerzeit auch genutzt, um etwas zu lesen, was ich schon lange lesen wollte: Das war dieses Jahr Hiob von Joseph Roth. Wenn man einen solchen Klassiker liest und die sprachliche Meisterschaft in jeder Zeile spürt, dann ist das ein sehr hoher Maßstab für alles andere, was man sonst so zu lesen bekommt. Es tut immer wieder gut, Bücher zu lesen, die einem zeigen, was für ein literarisches Niveau wir alle anstreben sollten.
Interview mit der neuen Leiterin des Münchner Literaturhauses Tanja Graf>
Seit dem 1. Juli 2016 leitet Tanja Graf das Literaturhaus in München. Zuvor war sie viele Jahre erfolgreich als Verlegerin und Verlagslektorin tätig und ist Mitbegründerin des ehemaligen SchirmerGraf Verlags und Gründerin des Graf Verlags, der heute zu den Ullstein Buchverlagen gehört. Die Begegnung zwischen Literatur und Leser ist also seit jeher ihr Geschäft, dem sie sich im Literaturhaus München nun von einer neuen Seite widmet. Wir haben Tanja Graf drei Monate nach der Übernahme der Leitung in München getroffen und mit ihr über die Zukunft des Literaturhauses gesprochen.
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Literaturportal Bayern: Tanja Graf, es gab einen großen Rummel rund um die Neubesetzung des Literaturhauses. In München begann schon ein halbes Jahr vor Ihrer Ernennung das öffentliche Rätselraten um mögliche Kandidaten. Wieviel haben Sie davon in der Schweiz, wo Sie damals gearbeitet haben, mitbekommen?
Tanja Graf: Zum Glück habe ich gar nichts davon mitbekommen. Ich war erstens in Zürich bei Diogenes weit weg und außerdem sehr beschäftigt. Das war ganz gut so. Ich wollte gar nicht wissen, wie hier die Gerüchteküche brodelt und wer sich noch beworben hat. Und ich weiß es zum Glück auch bis heute nicht.
Sie blicken auf eine sehr erfolgreiche Verlagskarriere zurück. Warum entschieden Sie sich für einen Wechsel ins Literaturhaus?
Der hat zum einen private Gründe: Meine Familie ist in München und deswegen war das Jahr in Zürich sehr spannend und interessant, aber perspektivisch gesehen kompliziert. Und zum anderen berufliche: So eine interessante Stelle wie im Literaturhaus München ist einmalig, und die Möglichkeit, sich darauf zu bewerben, gibt es nicht so häufig. Außerdem fühlt es sich für mich an wie die logische Konsequenz aus dem, was ich bisher getan habe. Die Hauptaufgabe eines Lektors und Verlegers ist es, Buch und Leser zusammenzubringen und Begegnungen zwischen Autor und Publikum zu ermöglichen. Es ist also eine Fortsetzung meiner bisherigen Arbeit unter anderen Vorzeichen.
Jetzt sind Sie schon ein paar Monate dabei. Wie ist es bisher gelaufen?
Ich war vom ersten Tag an so in die konkrete Planungsarbeit eingebunden, dass der Übergang so gut wie nahtlos war. Die Herausforderung wird sein, in Zukunft mehr Zeit für die Entwicklung neuer Konzepte zu finden. Das Gute ist, dass ich hier mit einem sehr erfahrenen Programmteam arbeiten kann, es war also kein „absoluter“ Neuanfang.
Die „Ära Wittmann“ hatte großen Erfolg. Es wurde aber auch immer wieder bemängelt, dass das Literaturhaus München, überspitzt gesagt, eine „Abspielplattform für Bestseller“ sei. Ist denn bei Ihnen mit mehr Experiment oder mit neuen Kooperationen zu rechnen?
Beides trifft zu, allerdings wird es auch weiterhin die großen Namen geben. Es ist schon auch eine der Missionen des Literaturhauses, Literatur in die Stadt zu bringen und große Namen werden im Literaturhaus erwartet. Aber wir werden auch Debüts bringen und neue Formate ausprobieren, zum Beispiel zusammen mit anderen Institutionen und Medien.
Gleich die erste Veranstaltung im September war mit einer koreanischen Autorin besetzt, die hier naturgemäß noch ganz unbekannt war. Ich bin auf den Namen Han Kang gestoßen, weil sie im Frühsommer den Man Booker International Price verliehen bekommen hat, und ich fand, es klang sehr interessant, was man über das Buch lesen konnte. Deswegen habe ich die Autorin gleich für uns optioniert. Das erwies sich als ein Glücksfall, weil sie überall besprochen wurde – und die Veranstaltung war ausverkauft. Ich finde es toll, dass eine unbekannte Autorin aus Südkorea – im Moment nicht gerade ein naheliegendes Thema – gleich so angenommen wurde.
Han Kang hat ihren Debütroman Die Vegetarierin vorgestellt. Auf welche Veranstaltung oder Ausstellung freuen Sie sich in der nächsten Zeit besonders?
Wir haben ein tolles Programm mit vielen großartigen Autorennamen, es wäre fast unfair, wenn ich jetzt etwas Bestimmtes nennen würde. Im Moment sind wir sehr beschäftigt mit der Helmut Dietl-Ausstellung. Sie ist sicherlich ein Highlight.
Während Ihrer Tätigkeit im Verlagswesen haben Sie bereits große Autorinnen und Autoren entdeckt, zum Beispiel Lena Gorelik oder Daniela Krien. Wie können Sie dieses besondere Gespür für Talente und Texte im Literaturhaus fruchtbar machen?
Als Verlegerin und Lektorin habe ich nicht nur deutsche Autorinnen und Autoren verlegt und lektoriert, sondern auch internationale. Da musste man eine „gute Nase“ beweisen und aus den vielen Angeboten eine Auswahl treffen. Hierin ist die Programmarbeit im Verlag der Arbeit im Literaturhaus gar nicht so unähnlich, denn man muss auf eine ausgewogene Mischung setzen. Es geht nicht nur darum, dass man neue Stimmen findet, obwohl das natürlich auch wichtig ist, sondern auch darum, dass man ein bestimmtes Spektrum abdeckt.
Die Aufgabe des Literaturhauses ist es ja, Literatur in all ihren Facetten und Möglichkeiten abzubilden, und für mich werden die Kriterien, die im Verlag eine Rolle gespielt haben, hier im Literaturhaus auch eine Rolle spielen: Das sind ästhetische und erzählerische Kriterien, aber natürlich auch thematische, politische, historische. Die Themenvielfalt speist sich aus dem, was die Verlage bieten, aber auch aus dem, was man in der Zeitung liest. Meine Hoffnung ist, dass wir nicht nur die Programme der Verlage abbilden, sondern Themen besetzen und Autoren einladen, die nicht gerade ein neues Buch herausgebracht haben, sondern die zu einem bestimmten Thema etwas Interessantes beitragen können.
Überhaupt sind Sie als große Leserin bekannt. Haben Sie denn einen besonderen Tipp oder gerade selbst eine besonders schöne Leseerfahrung gemacht?
Zum einen freue ich mich sehr über die vielen tollen Bücher, die wir für unser Herbstprogramm vorbereitet haben, und ich habe das Gefühl, aus dem Vollen schöpfen zu können. Aber ich habe die Sommerzeit auch genutzt, um etwas zu lesen, was ich schon lange lesen wollte: Das war dieses Jahr Hiob von Joseph Roth. Wenn man einen solchen Klassiker liest und die sprachliche Meisterschaft in jeder Zeile spürt, dann ist das ein sehr hoher Maßstab für alles andere, was man sonst so zu lesen bekommt. Es tut immer wieder gut, Bücher zu lesen, die einem zeigen, was für ein literarisches Niveau wir alle anstreben sollten.