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Vergabe der Arbeitsstipendien für Münchner Autorinnen und Autoren 2024 an Sandra Hoffmann und Thomas Lang

Die diesjährigen Arbeitsstipendien für Münchner Autorinnen und Autoren werden an Sandra Hoffmann und Thomas Lang vergeben. Über die Vergabe beschloss der Feriensenat auf Empfehlung der Jury. Mit den 2015 von der Landeshauptstadt München eingerichteten Arbeitsstipendien werden jährlich Münchner Autorinnen und Autoren gefördert, die sich mit ihrem Werk bereits literarisch ausgewiesen haben und im Literaturbetrieb in Erscheinung getreten sind. Die Arbeitsstipendien sind mit jeweils 8.000 Euro dotiert und werden für literarische Projekte vergeben; die Autorinnen und Autoren müssen sich mit ihren Texten selbst bewerben. 

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Die Projekte 

Sandra Hoffmann: Mogadischu

Schon der Titel des Romanprojekts verweist chiffrenartig auf den Zeitraum, in dem der Text angesiedelt ist und in dem er sich, so die Arbeitsskizze, auch zum überwiegenden Teil bewegen wird: dem deutschen Herbst und seiner „bleiernen Zeit“ (Margarethe von Trotta), genauer der Spanne zwischen Ende August und Oktober 1977 mit der Entführung der Lufthansamaschine Landshut, zuletzt nach Mogadischu. Erzählt wird dabei rückblickend aus der Perspektive einer 57jährigen Ich-Erzählerin, was keineswegs zufällig dem Alter der Autorin entspricht, die zwischen 2002 und 2023 bereits sieben Romane vorgelegt hat und dafür – so zuletzt 2018 für den Roman Paula – mehrfach ausgezeichnet wurde.

Denn obwohl der Roman, so das Exposé, weder autobiographisch noch autofiktional sein will, spricht schon die erste Szene von einer gewissen Vertrautheit mit der spezifischen Atmosphäre jener Jahre. Der Sommerurlaub einer vierköpfigen Familie, die Eltern beide Mittdreißiger, findet ein jähes Ende, nachdem die als egozentrisch und dominant geschilderte Mutter mit dem fünfjährigen Sohn buchstäblich über Nacht verschwindet und den Vater mit seiner elfjährigen Tochter allein zurücklässt. Die Fülle und Detailgenauigkeit vergegenwärtigen die Realiät des Alltags. Dem steht das Misstrauen der eigenen Erinnerung gegenüber. Die Zweifel, ob sie trügt und auch nur ein postumes Konstrukt sein könnten, grundieren den Text, ohne sich dabei plakativ in den Vordergrund zu drängen. Vieles bleibt in der Eingangssequenz (noch) rätselhaft, weckt aber die Neugier auf den weiteren Fortgang: wie sich in Mogadischu dann Familien- und Weltgeschichte verknüpft, wie und ob überhaupt das Verschwinden der Mutter aufgeklärt wird. Und welche Linien zuletzt vom Tod des Vaters am 7. Oktober 2023 zu den Anschlägen der Hamas auf israelischem Boden am selben Tag gezogen werden, ist noch offen.

 

Thomas Lang: Liebe und Furcht

Thomas Lang schreibt einen Roman über Herman Melville, der seinerseits mit Moby Dick einen der wichtigsten Romane der Weltliteratur geschaffen hat. Sich im verspiegelten intertextuellen Echoraum einer so bedeutenden Figur der Literaturgeschichte anzunähern, ist ein schriftstellerisches Vorhaben, dem man leicht mit Skepsis begegnen könnte.  Thomas Lang hat aber längst bewiesen, dass er ihm gewachsen ist. Mit dem Roman Immer nach Hause (2016) hat er sich schon einmal bravourös einem großen Schriftstellerleben anverwandelt – dem Hermann Hesses. Und auch diesmal beeindruckt Thomas Langs Umsetzung: durch den Mut, sich weit hineinzubegeben in dieses andere, längst vergangene Leben und zugleich durch das Geschick, sich nicht historisch pinselnd darin zu verlieren.

Über seinen (bisweilen aufs Schönste mäandernden) Erzähler Meander, ein erfolgloser Schriftsteller, der an einem Buch über Melville scheitert, findet er einen interessanten, beinahe schon ironischen Zugriff auf das große Thema. In der Meta-Ebene bequem macht es sich Thomas Lang aber nicht. Indem er beide Biographien gegeneinander laufen lässt, öffnet er Räume für verblüffend aktuelle Gegenwartsbezüge. Dass die narrativen Verschränkungen dabei nie forciert wirken, verdankt sich vor allem der schlafwandlerisch souveränen Sprachbehandlung. Liebe und Furcht wirkt nicht nur in seiner Skizzierung facettenreich und bis tief in die Subebenen durchdacht, es ist stilistisch enorm fein gearbeitet.

Ein mutiges Romanprojekt, das sich um derzeit gängige Erfolgsrezepte nicht zu scheren scheint, sondern für seinen Gegenstand die spezifisch schlüssige Form gesucht und gefunden hat.

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Die Jury 

Der Jury gehörten unter der Leitung von Kulturreferent Anton Biebl an: Agnes Brunner (C.H. Beck Verlag), Marianna Geier (Buchhandlung Buch & Bohne), Dr. Klaus Hübner (Literatur in Bayern, Münchner Feuilleton), Dr. Johannes John (Bayerische Akademie der Wissenschaften), Franz Xaver Karl (Bayerischer Rundfunk), Sabine Reithmaier (Süddeutsche Zeitung) an. Aus dem Stadtrat kamen hinzu: Marion Lüttig (Fraktion Die Grünen-Rosa Liste), Thomas Niederbühl (Fraktion Die Grünen-Rosa Liste), Andreas Babor (Fraktion der CSU mit FREIE WÄHLER), Beatrix Burkhardt (Fraktion der CSU mit FREIE WÄHLER), Kathrin Abele (Fraktion SPD/Volt).