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15.11.2023, 09:00 Uhr
Stadt München
Betriebsgeflüster
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Ernst Hoferichter beim Heiteren Autorenabend des Tukan-Kreises am 10. Januar 1955 (Bayerische Staatsbibliothek/Timpe)

Ernst-Hoferichter-Preis 2024 an Katja Huber und Pierre Jarawan

Die Autorin Katja Huber und der Autor Pierre Jarawan werden mit dem Ernst-Hoferichter-Preis 2024 ausgezeichnet. Der mit je 5.000 Euro dotierte Preis wird seit 1975 jährlich an Münchner Künstlerinnen und Künstler der erzählenden Kunst vergeben, die – wie Ernst Hoferichter – Originalität mit Weltoffenheit und Humor verbinden. Der Preis wurde von Franzi Hoferichter, der Witwe des Münchner Schriftstellers, gestiftet. Über die Vergabe entscheidet der Stiftungsbeirat der Ernst-Hoferichter-Stiftung, der auch als Jury fungiert.

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Unter den rund 100 Künstlerinnen und Künstlern, die bisher mit dem Ernst-Hoferichter-Preis ausgezeichnet wurden, sind Herbert Achternbusch, Doris Dörrie, Axel Hacke, Jörg Hube, Bruno Jonas, Luise Kinseher, Ali Mitgutsch, Erwin Pelzig, Maria Peschek, Gerhard Polt, Herbert Riehl-Heyse, Tilman Spengler, Marcus H. Rosenmüller, Christoph Süß, Barbara Yelin sowie zuletzt Deniz Aykanat und Karl Stankiewitz.

Dem Stiftungsbeirat gehören der Kulturreferent der Landeshauptstadt München, Anton Biebl  (Vorsitz), der Leiter der Münchner Stadtbibliothek, Dr. Arne Ackermann, sowie Wolfgang Görl,  Dr. Brigitta Rambeck, Michael Skasa und Christian Ude an.

 

Die Jurybegründungen:

Katja Huber

Originalität, Weltoffenheit, Humor – was davon das hervorstechendste Merkmal im Werk von  Katja Huber ist, fällt schwer zu sagen. Schließlich gelingt der Münchner Autorin und Hörfunk-Journalistin in ihren Büchern eine mitreißende Verquickung all dieser Elemente: In ihren Romanen Fernwärme (2005), Reise nach Njetowa (2007), Coney Island (2012), Nach New  York! (2014) und Unterm Nussbaum (2018) setzt sie sich, wie die Titel schon anklingen lassen, immer wieder mit dem Aufeinanderprallen fremder Kulturen, Zeiten und Lebenswelten  auseinander. Wiederholt spiegelt ihr Erzählen dabei Eindrücke wider, die sie während längerer Auslandsaufenthalte in den USA, in Moskau sowie an der Wolga gewinnen konnte. So fächert etwa Fernwärme die Familiengeschichte mehrerer Generationen auf, die sich zwischen Russland und Deutschland bewegen, und macht dabei zugleich die Faszination wie  auch die Befremdung in der Begegnung mit der russischen Kultur spürbar.

Ihren politischen Anspruch verbindet Katja Huber mit stilistischer Raffinesse, Witz und einem  rasanten, lockeren Ton. In kunstvoller, phantasiereicher Prosa erzählt Reise nach Njetowa von tiefer Verlorenheit, wohingegen sich Coney Island wie eine wilde Achterbahnfahrt durch den wohl berühmtesten Vergnügungspark der Weltgeschichte liest. Der enorme Facettenreichtum von Katja Hubers Werk ist damit angedeutet. Mit leichter Hand und doch tiefgründig berührt ihre Literatur Themen wie die Recherche einer jungen Frau über das Leben jüdischer Immigrant*innen in New York oder die tief verborgenen innerfamiliären Tabus zur Nazi-Zeit wie in Unterm Nussbaum. Die Süddeutsche Zeitung schrieb dazu: „Der komplexe Plot […]  spielt durch, was passiert, wenn Menschen, die sich durch die politischen Umstände ermutigt fühlen, in sich das Böse zu- und an anderen auslassen“ – dieser Tage in mehrfacher Hinsicht wieder erschreckend aktuell.

Gesellschaftspolitisches Engagement zeigt Katja Huber unter anderem als Gründungsmitglied der Münchner Kulturinitiative Meet your neighbours. Diese stellt Menschen verschiedenster Herkunft vor, die auf ihrer Flucht nach Deutschland gekommen sind, und setzt damit  ein Statement für eine offene, humane Gesellschaft. Beim daraus entstandenen Band Wir sind hier. Geschichten über das Ankommen (2018) war Katja Huber Mitherausgeberin.

Pierre Jarawan

Pierre Jarawan, der sich selbst als Autor, Slam-Poet, Bühnenliterat und Veranstalter versteht,  ist seit langem eine feste Größe in der Münchner Literatur-Szene. Die literarische Bühne eroberte er als Poetry-Slammer, mit vorerst kleinen Textformen und mündlichem Erzählen. „Mal mit lyrischer Leichtigkeit, mal auf ernsthafte, berührende Weise beschreibt er die Welt aus einem etwas schrägeren Blickwinkel heraus“, hieß es einführend zu einer Auswahl von Bühnentexten (Lektora, 2011) mit dem bezeichnenden Titel Anders sein ist ganz normal. Gekonntes Jonglieren zwischen Witz und Sprachpoesie verschaffte Pierre Jarawan schnell eine große Fangemeinde und 2012 den internationalen deutschsprachigen Meistertitel im Poetry Slam. Die Stuttgarter Zeitung kommentierte einen seiner Bühnenauftritte damals so: „Er tänzelt auf einem schmalen Grat zwischen Tiefgründigem und Humorvollem. Er verliert selten das Gleichgewicht.“

Dieser Satz könnte genauso treffend über dem gesamten künstlerischen Schaffen von Pierre Jarawan stehen. Inzwischen ist er allerdings vom tänzelnden (Wort-)Akrobaten im modernen Dichterwettstreit eher ins Fach des epischen Langstreckenläufers hinüber gewechselt: Zwei opulente, durchaus autobiografisch gefärbte Romane, Am Ende bleiben die Zedern und Ein Lied für die Vermissten, erschienen 2016 und 2020 (beide im Berlin Verlag), ein dritter ist für das Frühjahr 2025 angekündigt. Die hohe Kunst des Gleichgewichts beherrscht Pierre Jarawan auch in diesem Metier meisterlich – im Austarieren von Gegensätzen zwischen libanesischem Vater- und deutschem Mutterland, zwischen eigener Erinnerung und literarischer Fiktion, zwischen dem Geschichtenerzählen und dem Erzählen von Geschichte.

Seine Erfahrung, eine unbändige Fabulierlust und seine (nach eigenem Bekunden) Schulung an klassischem amerikanischen Erzählen teilt Pierre Jarawan in zahlreichen Workshops, Seminaren und Weiterbildungen zu den Themen Poetry-Slam, Kreatives Schreiben oder Mehrsprachigkeit – und das (in Zusammenarbeit mit Literaturhäusern, Universitäten und Goethe-Instituten) weltweit.

Ganz vorbei ist wohl auch seine Poetry-Slam-Laufbahn trotz seines großen Erfolgs als Romanautor nicht: „Du fängst einmal damit an und hörst nie wieder damit auf. Es ist wie in einer großen Familie“, sagte er einmal. Mit der Verleihung des Ernst-Hoferichter-Preises gehört Pierre Jarawan nun auch dem illustren Kreis der „Schwägerinnen und Schwager“ an – so nannte Hoferichter ja bekanntlich am liebsten alle seine Freunde! Ernst und Franzi hätten diesen neuen Schwager sofort ins Herz geschlossen und an seiner Originalität, seiner Weltoffenheit und an seinem feinsinnigen Humor ihre helle Freude gehabt.

 

Die Preisverleihung (mit geladenen Gästen) ist am 23. Januar 2024 im Literaturhaus München geplant. Aktuelle Informationen dazu unter www.muenchen.de/hoferichter-preis.