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26.04.2019, 11:50 Uhr
Redaktion
Betriebsgeflüster

Die zweite Ausgabe der Zeitschrift „Feuerstuhl" ist erschienen

Feuerstuhl ist eine anti­auto­ritäre Zeit­schrift, ein befeu­erndes Scheit Holz, benannt nach einer mexikani­schen Geschichte aus dem Roman Regie­rung" des ge­heim­nis­vollen B. Traven – so beschreibt Egon Günther seine Zeitschrift. Nun ist die zweite Ausgabe erschienen.

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Der Feuerstuhl beschäftigt sich diesmal mit dem Surrealismus. Die ursprünglich französische Bewegung wird erstmals im Jahre 1919 erwähnt und feiert demnach heuer ihren 100. Geburtstag. Grund genug für Herausgeber Heribert Becker, ihr die zweite Ausgabe der Zeitschrift zu widmen.

In einer Vorbemerkung erklärt Becker zudem, surrealistische Texte seien in der Öffentlichkeit unterrepräsentiert, was sicher auch an ihrer gesellschaftlichen Non-Konformität und ihrem revolutionären Gestus liege. Mit den hier präsentierten Texten will er nun Vorurteilen entgegenwirken, die den Surrealismus vor allem auf das Ästhetische reduzieren. Schließlich fordern viele seine Vertreter über die Kunst und Literatur hinaus rebellische Denkweisen und eine andere gesellschaftliche Ordnung.

Viele der versammelten Beiträge stammen von französischen Autoren wie Georges Sadoul oder René Crevel; die Übersetzugen erscheinen hier teils zum ersten Mal. Aber auch amerikanische und deutsche Autoren sind vertreten, etwa Bert Papenfuß oder Manfred Ach. Was die Entstehung angeht, sind die 1960er und 1970er Jahren besonders berücksichtigt, eine eigene Rubrik bringt Die Pariser Surrealisten und den Mai 1968 zum Klingen.

Die Texte, Lyrik und Prosa, präsentieren sich dem Leser auf angenehm offene und direkte Weise, die unprätentiöse Gestaltung stützt diesen Eindruck noch. Gleichzeitig wirken sie oft abstrakt, man liest vieles mehrfach und entschlüsselt es nach und nach, mit Gewinn. Es ist eine Ausgabe, die langsames Lesen schult. Wenn man sich auf die Sprache und den Stil einlässt und zudem die Aufforderung des Herausgebers, das Ästhetische nicht in den Vordergrund zu stellen, beherzigt, so begegnen einem aufrichtige Texte, die zum Nachdenken über die politischen Zustände und gesellschaftlichen Normen einladen. Hinter der von Kritikern oft als provokativ, schwer verständlich oder unerhört wahrgenommenen Sprache zeichnet sich die eigentliche Absicht ab: der Wunsch nach Veränderung und Umdenken, ein Aufbrechen von (eben auch sprachlichen) Verkrustungen. Wie aktuell vieles klingt, ist manchmal fast erschreckend.

Zahlreiche Bilder, Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen und Fotografien flankieren die Texte und verschaffen den eng gesetzten Seiten etwas mehr Luft. Besonders zwei Inversagen surrealistischer Fotocollagen bleiben im Gedächtnis und wirken lange nach wie die ganze Lektüre dieses schönen Liebhaberprojekts.