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14.03.2018, 11:34 Uhr
Redaktion
Betriebsgeflüster
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Die Münchner Autorin Jovana Reisinger gewinnt den Bayern 2-Wortspiele-Preis

Freitagabend, kurz vor 23.00 Uhr, Höhepunkt der 18. Wortspiele in München: Die Münchner Schriftstellerin und Filmemacherin Jovana Reisinger wird für den Auszug aus ihrem Debüt-Roman Still halten mit dem Bayern 2-Wortspiele-Preis 2018 ausgezeichnet. In der Jurybegründung heißt es, mit ihrer „furiosen Sprache“, dem Ringen zwischen „irrlichterndem Humor und rasendem Wahn in treibenden Rhythmen“ hinterfrage sie die „soziale Kälte und verschorften Rollenzwänge als gesellschaftliche Symptome, die die grell-dunkle Schwere mit grantiger Leichtigkeit durchzieht“.

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18. Wortspiele – Internationales Festival junger Literatur

Für drei Tage verwandelte sich der Club Ampere im Münchner Muffatwerk, wo sonst gefeiert, getanzt und geslammt wird, zum Austragungsort des Wortspiele Festivals für junge Literatur. Am Lesemarathon mit 18 SchriftstellerInnen nahmen in diesem Jahr unter anderem auch Lilian Loke und Marie Gamillscheg teil. Täglich nahmen sechs TeilnehmerInnen mit je 17 Minuten Leseszeit auf der Bühne Platz – Stuhl, Tisch, Wasserglas und im Hintergund Nikolai Vogels Installation Cover-Shuffle – und lasen für ein aufmerksames Publikum. Dieses bestimmte jeden Abend einen Tagessieger, und zwar:

 

7. März: Anna Herzig für Sommernachtsreigen

8. März: Mareike Fallwickl für Dunkelgrün fast Schwarz

9. März: Karosh Taha für Beschreibung einer Krabbenwanderung

 

Höhepunkt des jedes Jahr in München und Wien stattfindenden Festivals ist allerdings traditionell der Freitagabend, an dem der Bayern-2-Wortspiele-Preis verliehen wird. 2018 ging er an Jovana Reisinger für den Auszug aus ihrem Debüt Still halten. Die Jury bestand aus Cornelia Zetzsche vom Bayerischen Rundfunk, Fridolin Schley und Katrin Lange von der Bayerischen Akademie des Schreibens.

Die Preisträgerin

Jovana Reisinger, geboren 1989 in München und aufgewachsen in Oberösterreich, studiert Drehbuch und Dokumentarfilmregie an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film. Ihr großes Vorbild ist Herbert Achternbusch. Sie drehte bereits diverse Kurzfilme, die in Ausstellungen gezeigt und ausgezeichnet wurden, sowie Musikvideos für die Bands Pollyester und Das weiße Pferd. 2016 veröffentlichte sie in der Reihe 100for10 das multimediale Konzeptbuch Donna Euro is poisoned by rich men in need, zu dem sie 45 Videos produzierte. Für den Kurzfilm pretty boys don’t die bekam sie den ZONTA-Preis der Festspielleitung der Oberhausener Kurzfilmtage. Still halten, ihr erster Roman, erschien im Herbst 2017 im Verbrecher Verlag.

Jurybegründung

Sie beschwört die eigene Beerdigung, das entsetzliche Geräusch, mit dem ihr Körper im Grab aufschlägt. Sie kehrt zurück ins Dorf ihrer Kindheit, im Schäferhundeverein hängt noch das Porträt ihres Vaters, der sich erhängt hat, und die Familie im Erdgeschoss betrachtet sie feindselig, während ihr Blut über das Gesicht läuft: Alles hält still, wenn eine Fremde gegen die Scheibe prallt, wie von innen gegen den eigenen Sargdeckel.

Jovana Reisinger erzählt in ihrem Debütroman Still halten von der Entfremdung einer versehrten Seele, von entzündetem Innenfleisch. Mit schrill-expressiven Bildern erspürt sie jene durchsichtige Scheibe, die den Kranken von seiner Umwelt trennt, aber auch den Zurückkehrenden von seiner Heimat, der man nicht entkommt, bis man sich ihr stellt.

Als ihre Mutter stirbt, zerfällt das Leben der Erzählerin. Sie fällt. Und geht zurück, um etwas wiederzufinden. Sie reist in die dunkle Provinz der Vergangenheit, immer entlang des Abgrunds ihres gequälten Selbst, ein Ringen zwischen Abwehr und Annäherung, lichten Momenten, irrlichterndem Humor und rasendem Wahn – eine Entrückung, furios in Sprache gesetzt, als Bruchstücke zerfallener Absätze zum Klingen gebracht, in treibenden Rhythmen statt eingängigen Melodien.

Jovana Reisinger gestaltet das Paradox aus Ich-Manie und Ich-Verlust als formbewusste Deformierung. Doch wie die österreichische Avantgarde, der sie sich annähert, steht die radikale Subjektivität immer im Verhältnis zu ihrer Umgebung – gerade, wo dieses Verhältnis bröselt. Die unsichtbare Scheibe trennt beide Seiten nicht nur, sie gewährt der Erzählerin einen geschärften Blick auf die Welt dahinter – und deren Entstellungen. Sie hinterfragt soziale Kälte und verschorfte Rollenzwänge als gesellschaftliche Symptome oder Depression als weiblichen Topos und verkantet dabei Inneres und Äußeres zu einer verwinkelten Textkluft, die die grell-dunkle Schwere mit grantiger Leichtigkeit durchzieht.

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