Helene Böhlau
Helene Böhlau wird 1856 in Weimar geboren und wächst in einem hochkultivierten Elternhaus auf. Sie ist die Tochter des Weimarer Verlagsbuchhändlers und Verlegers Hermann Böhlau und dessen Frau Therese geb. Thon, die aus einer alten für Weimar bedeutenden Juristenfamilie stammt. Diese verfasst über ihren Vater und dessen Familie ein mehrere Generationen umfassendes kulturhistorisches Buch, das für die Familie gedruckt und mehreren Bibliotheken geschenkt wird. Die Brüder der Mutter sind Minister, ihr Großvater wiederum war während der Zeit des Wiener Kongresses Adjutant bei Großherzog Karl August (1757-1858). Im Bewusstsein dieser Familientradition wird Helene Böhlau erzogen. Wegen ihrer Kränklichkeit erhält sie eine sorgfältige Erziehung durch Privatlehrer und wird auch auf ausgedehnte Reisen ins Ausland geschickt. Schon früh zeigt sich ihr Hang zur Schriftstellerei.
Bald geht Helene Böhlau gänzlich andere Wege, als die Frauen in ihrer Familie zuvor es getan haben. Sie wird Schriftstellerin. Ab 1882 veröffentlicht sie Novellen und Kurzgeschichten. Auf einer Reise in den Orient lernt sie den Architekten und Privatgelehrten Friedrich Arnd (1839-1911) kennen und lieben. Um Helene als zweite Frau heiraten zu können, konvertiert er vom Judentum zum Islam und nennt sich fortan Omar al Raschid Bey. 1886 heiratet sie ihn in Konstantinopel, wo das Paar dann vier Jahre lebt. Ihr Vater verbietet ihr daraufhin das Haus. 1890 siedelt das Ehepaar nach München über. Sie wohnen erst in der Kaulbachstr. 62, später ab 1900 in der Seestraße 3c. 1895 wird Sohn Omar Hermann geboren. In diesen Jahren tritt Böhlau auch in den 1894 von Anita Augspurg und Sophia Goudstikker u.a. gegründeten Verein für geistige Interessen der Frau ein (1899: Verein für Fraueninteressen e.V.), durch den sich die bürgerliche Frauenbewegung in Bayern verbreitet. Er setzt sich für das Recht auf Bildung bürgerlicher Mädchen und Frauen, für ihre Erwerbstätigkeit und finanzielle Unabhängigkeit ein.
Ihre Bücher veröffentlicht die Schriftstellerin unter ihrem Geburtsnamen, manchmal auch mit dem Zusatz „Frau al Raschid Bey“. Ihr Werk umfasst sowohl ambitionierte Kunst- als auch Gebrauchs- und Unterhaltungsliteratur. Seit 1882 veröffentlicht sie Novellen und Romane, die sich in zwei Themengruppen gliedern: das emanzipatorische Recht der Frau (Im frischen Wasser (1891), Der Rangierbahnhof (1896), Das Recht der Mutter (1896) Halbtier (1899) und die Altweimarer Vergangenheit (Ratsmädelgeschichten, 1888; Altweimarische Geschichten, 1897; Der gewürzige Hund, 1916; Die leichtsinnige Eheliebste; 1925). Sie eröffnet ihr Schriftstellerinnendasein mit heiteren Geschichten aus dem Leben ihrer Großmutter.
Ihrer eigenen Aussage zufolge wird ihr Leben dann tiefer und schwerer und somit auch die „Bilder ihres Daseins“. Ausdruck davon sind der 1888 veröffentlichte Roman Reines Herzens schuldig, die 1891 veröffentlichte Erzählung Im frischen Wasser aus ihrer Zeit in Konstantinopel, der Roman Der Rangierbahnhof von 1895 und der Roman Halbtier aus dem Jahr 1899. Letzterer erregt großes Aufsehen und führt dazu, dass Helene Böhlau um 1900 auch als Frauenrechtlerin gilt. 1913 stellt sie klar, dass man sie zwar nach ihrem Roman Halbtier „Frauenrechtlerin“ nenne, sie aber letztlich mit der alleinigen Reduktion darauf missverstanden habe:
Der Roman war der Ausdruck des Erstaunens, des Erschrecktseins – Ich hatte mit einem tiefen, bestürzten Blicke gesehen, daß die Frau, die geistig leben und arbeiten will, ganz ohne Traditionen ist, mißachtet und belächelt. – Ich hatte mir das nicht so vorgestellt. Ich erkannte, daß den Frauen keine geistige Vergangenheit zugehört, daß sie so wenig Spuren auf Erden hinterlassen hatten, wie die Wellen und Tiere, – Ein Weh sondergleichen! Und ich suchte Worte – Bilder – Möglichkeiten mich verständlich zu machen. Es war ein leidenschaftliches Ringen, hier Ausdruck zu verschaffen. Heute würde ich dieser Erkenntnis, daß die Frau am geistigen Eigentum der Menschheit nicht mitgeschaffen hat, diesen leidenschaftlichen Ausdruck, den ich damals fand, nicht mehr geben. Tiefere Einsicht hat mich gelehrt, daß stille Taten der Seele, von denen die Welt nichts weiß, lebendiger und größer sein können als alles Wissen dieser Welt. Ja, daß die Tat an sich das Höchste auf Erden nicht ist. (Zils 1913, S. 6f.)
Danach schreibt Böhlau „frohe Bücher“: Das Sommerbuch (Neue Altweimarische Geschichten 1902), Die Kristallkugel (Altweimarische Geschichte 1-.3. Aufl. 1903), Das Haus zur Flamm (Rom 1907) und ihre Lebensüberschau, den autobiographischen Roman Isebies (Rom 1911).
1911 stirbt Omar al Raschid. Ihr Gatte hinterlässt ein philosophisches Werk, das auch ihr Zuversicht fürs Leben gibt und zu dessen geistigem Gehalt sie sich als „meines Lebens Inhalt und Kraft“ bekennt. Sie sieht es als ihre Aufgabe an, das Werk Omar al Raschids bekannt und zugänglich zu machen „für all die, die eine Sehnsucht über diese Welt hinaus in eine andere Welt haben.“ Und so gibt sie denn 1912 das Hohe Ziel der Erkenntnis. Aranda Upanishad ein Jahr nach seinem Tod im Piper Verlag heraus.
1913 wird sie Mitglied im Münchner Schriftstellerinnenverein, der 1913 von den Schriftstellerinnen und Frauenrechtlerinnen Emma Haushofer-Merk und Carry Brachvogel im gleichen Jahr gegründet wird. Sein Zweck ist der Zusammenschluss der in München lebenden Schriftstellerinnen und Journalistinnen zur Besprechung beruflicher Fragen und zur Vertretung künstlerischer und wirtschaftlicher Interessen. Im Mittelpunkt der Satzungen stehen die Forderung nach Gleichberechtigung bei der Entlohnung und das Verbot, umsonst zu schreiben.
Ihr Wirken und Schaffen überblickend, schreibt Böhlau: „Meine eigene Arbeit war mir immer eine Daseinsfreude, eine Heimat, trotzdem ich schwer arbeite und der Ausdruck mir nicht leicht zu Gebote steht, und was ich erkannte, mußte aus der Tiefe der Erkennens und Empfindens geschöpft werden, und es wurde oft ein Ringen danach, mich verständlich zu machen“. (Zils 1913, S. 6f.)
Die Schriftstellerin stirbt am 26. März 1940. Sie wird auf dem Friedhof in Widdersberg bei Herrsching am Ammersee im Familiengrab beigesetzt. (Inschrift „Helene Böhlau al Raschid Bey“)
Sekundärliteratur:
Brinker-Gabler, Gisela (1988): Perspektiven des Übergangs. Weibliches Bewußtsein und frühe Moderne. In: Dies. (Hg.): Deutsche Literatur von Frauen. Bd. 2. C.H. Beck, München, S. 169-205.
Bruns, Brigitte; Herz, Rudolf (Hg.) (1985): Hof-Atelier Elvira 1887-1928. Ästheten, Emanzen, Aristokraten. Münchner Stadtmuseum. München, S. 96, S. 176f. u. 185.
Friedrichs, Elisabeth (1981): Die deutschsprachigen Schriftstellerinnen des 18. und 19. Jahrhunderts. Ein Lexikon. Metzler, Stuttgart, S. 4.
Schwerte, Hans (1955): Böhlau, Helene. In: Neue Deutsche Biographie 2 (1955), S. 376f. URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118878484.html, (14.12.2017).
Seidel, Ina (1970): Lebensbericht 1885-1923. Stuttgart, S. 165.
Soergel, Albert (1880): Dichtung und Dichter der Zeit. Eine Schilderung der deutschen Literatur der letzten Jahrzehnte. 3. unveränd. Abdruck. Voigtländer Verlag, Leipzig.
Verein für Fraueninteressen (1897): 3. Jahresbericht. München.
Zils, Wilhelm (1913) (Hg.): Al Raschid Bey. In: Geistiges und künstlerisches München in Selbstbiographien. Max Kelleres Verlag, München, S. 6f.
Quelle:
Gabriele Reuter: Vom Kinde zum Menschen. Die Geschichte meiner Jugend. Berlin 1921.
Externe Links:
Literatur von Helene Böhlau im BVB
Helene Böhlau wird 1856 in Weimar geboren und wächst in einem hochkultivierten Elternhaus auf. Sie ist die Tochter des Weimarer Verlagsbuchhändlers und Verlegers Hermann Böhlau und dessen Frau Therese geb. Thon, die aus einer alten für Weimar bedeutenden Juristenfamilie stammt. Diese verfasst über ihren Vater und dessen Familie ein mehrere Generationen umfassendes kulturhistorisches Buch, das für die Familie gedruckt und mehreren Bibliotheken geschenkt wird. Die Brüder der Mutter sind Minister, ihr Großvater wiederum war während der Zeit des Wiener Kongresses Adjutant bei Großherzog Karl August (1757-1858). Im Bewusstsein dieser Familientradition wird Helene Böhlau erzogen. Wegen ihrer Kränklichkeit erhält sie eine sorgfältige Erziehung durch Privatlehrer und wird auch auf ausgedehnte Reisen ins Ausland geschickt. Schon früh zeigt sich ihr Hang zur Schriftstellerei.
Bald geht Helene Böhlau gänzlich andere Wege, als die Frauen in ihrer Familie zuvor es getan haben. Sie wird Schriftstellerin. Ab 1882 veröffentlicht sie Novellen und Kurzgeschichten. Auf einer Reise in den Orient lernt sie den Architekten und Privatgelehrten Friedrich Arnd (1839-1911) kennen und lieben. Um Helene als zweite Frau heiraten zu können, konvertiert er vom Judentum zum Islam und nennt sich fortan Omar al Raschid Bey. 1886 heiratet sie ihn in Konstantinopel, wo das Paar dann vier Jahre lebt. Ihr Vater verbietet ihr daraufhin das Haus. 1890 siedelt das Ehepaar nach München über. Sie wohnen erst in der Kaulbachstr. 62, später ab 1900 in der Seestraße 3c. 1895 wird Sohn Omar Hermann geboren. In diesen Jahren tritt Böhlau auch in den 1894 von Anita Augspurg und Sophia Goudstikker u.a. gegründeten Verein für geistige Interessen der Frau ein (1899: Verein für Fraueninteressen e.V.), durch den sich die bürgerliche Frauenbewegung in Bayern verbreitet. Er setzt sich für das Recht auf Bildung bürgerlicher Mädchen und Frauen, für ihre Erwerbstätigkeit und finanzielle Unabhängigkeit ein.
Ihre Bücher veröffentlicht die Schriftstellerin unter ihrem Geburtsnamen, manchmal auch mit dem Zusatz „Frau al Raschid Bey“. Ihr Werk umfasst sowohl ambitionierte Kunst- als auch Gebrauchs- und Unterhaltungsliteratur. Seit 1882 veröffentlicht sie Novellen und Romane, die sich in zwei Themengruppen gliedern: das emanzipatorische Recht der Frau (Im frischen Wasser (1891), Der Rangierbahnhof (1896), Das Recht der Mutter (1896) Halbtier (1899) und die Altweimarer Vergangenheit (Ratsmädelgeschichten, 1888; Altweimarische Geschichten, 1897; Der gewürzige Hund, 1916; Die leichtsinnige Eheliebste; 1925). Sie eröffnet ihr Schriftstellerinnendasein mit heiteren Geschichten aus dem Leben ihrer Großmutter.
Ihrer eigenen Aussage zufolge wird ihr Leben dann tiefer und schwerer und somit auch die „Bilder ihres Daseins“. Ausdruck davon sind der 1888 veröffentlichte Roman Reines Herzens schuldig, die 1891 veröffentlichte Erzählung Im frischen Wasser aus ihrer Zeit in Konstantinopel, der Roman Der Rangierbahnhof von 1895 und der Roman Halbtier aus dem Jahr 1899. Letzterer erregt großes Aufsehen und führt dazu, dass Helene Böhlau um 1900 auch als Frauenrechtlerin gilt. 1913 stellt sie klar, dass man sie zwar nach ihrem Roman Halbtier „Frauenrechtlerin“ nenne, sie aber letztlich mit der alleinigen Reduktion darauf missverstanden habe:
Der Roman war der Ausdruck des Erstaunens, des Erschrecktseins – Ich hatte mit einem tiefen, bestürzten Blicke gesehen, daß die Frau, die geistig leben und arbeiten will, ganz ohne Traditionen ist, mißachtet und belächelt. – Ich hatte mir das nicht so vorgestellt. Ich erkannte, daß den Frauen keine geistige Vergangenheit zugehört, daß sie so wenig Spuren auf Erden hinterlassen hatten, wie die Wellen und Tiere, – Ein Weh sondergleichen! Und ich suchte Worte – Bilder – Möglichkeiten mich verständlich zu machen. Es war ein leidenschaftliches Ringen, hier Ausdruck zu verschaffen. Heute würde ich dieser Erkenntnis, daß die Frau am geistigen Eigentum der Menschheit nicht mitgeschaffen hat, diesen leidenschaftlichen Ausdruck, den ich damals fand, nicht mehr geben. Tiefere Einsicht hat mich gelehrt, daß stille Taten der Seele, von denen die Welt nichts weiß, lebendiger und größer sein können als alles Wissen dieser Welt. Ja, daß die Tat an sich das Höchste auf Erden nicht ist. (Zils 1913, S. 6f.)
Danach schreibt Böhlau „frohe Bücher“: Das Sommerbuch (Neue Altweimarische Geschichten 1902), Die Kristallkugel (Altweimarische Geschichte 1-.3. Aufl. 1903), Das Haus zur Flamm (Rom 1907) und ihre Lebensüberschau, den autobiographischen Roman Isebies (Rom 1911).
1911 stirbt Omar al Raschid. Ihr Gatte hinterlässt ein philosophisches Werk, das auch ihr Zuversicht fürs Leben gibt und zu dessen geistigem Gehalt sie sich als „meines Lebens Inhalt und Kraft“ bekennt. Sie sieht es als ihre Aufgabe an, das Werk Omar al Raschids bekannt und zugänglich zu machen „für all die, die eine Sehnsucht über diese Welt hinaus in eine andere Welt haben.“ Und so gibt sie denn 1912 das Hohe Ziel der Erkenntnis. Aranda Upanishad ein Jahr nach seinem Tod im Piper Verlag heraus.
1913 wird sie Mitglied im Münchner Schriftstellerinnenverein, der 1913 von den Schriftstellerinnen und Frauenrechtlerinnen Emma Haushofer-Merk und Carry Brachvogel im gleichen Jahr gegründet wird. Sein Zweck ist der Zusammenschluss der in München lebenden Schriftstellerinnen und Journalistinnen zur Besprechung beruflicher Fragen und zur Vertretung künstlerischer und wirtschaftlicher Interessen. Im Mittelpunkt der Satzungen stehen die Forderung nach Gleichberechtigung bei der Entlohnung und das Verbot, umsonst zu schreiben.
Ihr Wirken und Schaffen überblickend, schreibt Böhlau: „Meine eigene Arbeit war mir immer eine Daseinsfreude, eine Heimat, trotzdem ich schwer arbeite und der Ausdruck mir nicht leicht zu Gebote steht, und was ich erkannte, mußte aus der Tiefe der Erkennens und Empfindens geschöpft werden, und es wurde oft ein Ringen danach, mich verständlich zu machen“. (Zils 1913, S. 6f.)
Die Schriftstellerin stirbt am 26. März 1940. Sie wird auf dem Friedhof in Widdersberg bei Herrsching am Ammersee im Familiengrab beigesetzt. (Inschrift „Helene Böhlau al Raschid Bey“)
Brinker-Gabler, Gisela (1988): Perspektiven des Übergangs. Weibliches Bewußtsein und frühe Moderne. In: Dies. (Hg.): Deutsche Literatur von Frauen. Bd. 2. C.H. Beck, München, S. 169-205.
Bruns, Brigitte; Herz, Rudolf (Hg.) (1985): Hof-Atelier Elvira 1887-1928. Ästheten, Emanzen, Aristokraten. Münchner Stadtmuseum. München, S. 96, S. 176f. u. 185.
Friedrichs, Elisabeth (1981): Die deutschsprachigen Schriftstellerinnen des 18. und 19. Jahrhunderts. Ein Lexikon. Metzler, Stuttgart, S. 4.
Schwerte, Hans (1955): Böhlau, Helene. In: Neue Deutsche Biographie 2 (1955), S. 376f. URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118878484.html, (14.12.2017).
Seidel, Ina (1970): Lebensbericht 1885-1923. Stuttgart, S. 165.
Soergel, Albert (1880): Dichtung und Dichter der Zeit. Eine Schilderung der deutschen Literatur der letzten Jahrzehnte. 3. unveränd. Abdruck. Voigtländer Verlag, Leipzig.
Verein für Fraueninteressen (1897): 3. Jahresbericht. München.
Zils, Wilhelm (1913) (Hg.): Al Raschid Bey. In: Geistiges und künstlerisches München in Selbstbiographien. Max Kelleres Verlag, München, S. 6f.
Quelle:
Gabriele Reuter: Vom Kinde zum Menschen. Die Geschichte meiner Jugend. Berlin 1921.