Hans Baumann
Seine familiäre Herkunft und den beruflichen und militärischen Werdegang bis 1945 hat Hans Baumann verschleiert. Als gesichert darf gelten, dass der Sohn eines Berufssoldaten das Lehrerbildungsseminar (heute Max-Reger-Gymnasium) in Amberg besucht und 1933/34 als Junglehrer in einer einklassigen Volksschule in Voithenberg/Bayerischer Wald unterrichtet. Dort führt er, seit 1932 Mitglied der Hitlerjugend, seit dem 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP, das Jungvolk der HJ. Anfang 1934 in die Reichsjugendführung nach Berlin berufen, wird er hauptamtlicher Referent im Amt für weltanschauliche Schulung, dann – nach Ableistung des Wehrdienstes – im Kulturamt. Er organisiert und visitiert „Schulungswochen“ und „Kulturlager“ und den Aufbau national-sozialistischer Jugendgruppen im Baltikum und im europäischen Ausland. Ab 1939 dient er als Leutnant, bald Oberleutnant in der Propaganda-Kompanie der 16. Armee an der ‚Ostfront‘ (ab 1941), was ihm Vortragsreisen zu „Heldengedenktagen“ und Schriftsteller-Tagungen sowie „Dichterreisen“ durch Deutschland ermöglicht.
Baumann wird einer der bekanntesten und wirkmächtigsten Literaten und Propagandisten des NS. Nach kurzer französischer Kriegsgefangenschaft und mehrjähriger Publikationspause beginnt er 1949 seine zweite Karriere als einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren von Kinder- und Jugendbüchern. Eine von ihm selbst verbreitete Widerstandslegende wird durch jüngere Quellenforschungen widerlegt.
Baumann gehört seit 1926 dem von Jesuiten gegründeten und geleiteten Schülerbund Neudeutschland an. Aus dem katholischen Milieu seiner Kinder- und Jugendjahre stammen seine ersten Veröffentlichungen. Eine Weihnachtslegende Der arme Weber und sein Stern erscheint in der von P. Friedrich Muckermann SJ herausgegebenen Zeitschrift Der Gral. Monatsschrift für Dichtung und Leben (H. 3/1931). Wahrscheinlich zwischen 1927 und 1933, bei Veranstaltungen des Bundes Neudeutschland, entstehen Gedichte, die 1933 als Sammlung mit dem Titel Macht keinen Lärm in dem katholischen Verlag Josef Kösel (München) und Friedrich Pustet (Regensburg) erscheinen, gewidmet „Den schweigsamen Werkleuten am Dom des Reiches“. Hier sind durchgängige Motive und Stilmittel des späteren Liedermachers Baumann bereits angelegt: idyllische Heimatdichtung, spätromantische Naturstimmung, fromme Mutterverehrung, idealisiertes Bauernleben im „Volksliedton“, aber auch, in einer Rubrik „Deutschland“, martialische Reime über das deutsche Volk, das endlich seine „Ketten“ abschüttelt. In diesen Zyklus gehört der meistzitierte Text Baumanns: „Und heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt“ („Es zittern die morschen Knochen der Welt vor dem roten Krieg“), der mit einer eigenen Melodie des Verfassers ab 1934 in Liederbüchern der HJ, der SA, des Reichsarbeitsdienstes und der Wehrmacht Karriere macht. Entstanden in der Tradition des bündischen Jugendmythos und Umsturzpathos, die auch die katholische Jugendbünde in der späten Weimarer Republik pflegen, ist das Gedicht mit seiner inhaltlichen Unbestimmtheit zunächst beliebig interpretierbar und wird von Baumann selbst als „Kampflied“ des NS systematisch eingesetzt. Die seit 1945 periodisch wiederkehrende Diskussion über die angeblich mehr oder weniger aggressive Bedeutung einzelner Textvarianten („gehört“ oder „da hört“ uns Deutschland, „roter“ oder „großer“ Krieg) ist ein Musterbeispiel für apologetische Verharmlosungsstrategien.
Zwischen 1934 und 1945 veröffentlicht Baumann rund 300 Lieder, meist mit eigenen Vertonungen. Massenhafte Verbreitung finden sie auch in dem von Baumann herausgegebenen Morgen marschieren wir. Liederbuch der deutschen Soldaten (1939), in Liederbüchern und Periodika der Parteigliederungen, Heimabendmaterialien, Schulungsdiensten, Schul- u. Chorliedersammlungen, Kalendern und Einzelblattdrucken, Zeitschriften wie Musik in Jugend und Volk, Völkische Musikerziehung, Das Innere Reich, Wille und Macht, Nationalsozialistische Monatshefte.
Hinzu kommen Sprechchöre, Kantaten und ein Oratorium. In der Serie „Die Grauen Hefte der Armee Busch. Schriftenreihe zur Truppenbetreuung“ (1942-44) kann er neben eigenen Arbeiten Texte klassischer und zeitgenössischer Autoren, Volkslieder und Erzählungen „aus dem alten Rußland“ und ideologiegesättigte Abhandlungen z.B. über „Das Reich und der Osten“ (1943) verbreiten.
In seiner kunsthandwerklichen Massenproduktion erweist Baumann sich als vielseitiger, für alle Zwecke national-sozialistischer Formationen und Veranstaltungen liefernder Texter und Komponist. Die Inhalte und Stilmittel reichen vom martialischen Marschlied bis zu feinsinniger Naturlyrik. Die Bildersprache beschränkt sich auf wenige Metaphern, die meist schon aus der Spätphase der Bündischen Jugend vertraut sind: Fahrt und Lager, Trommel und Fahne, Feuer und Sterne, Kameradschaft und Gemeinschaft, Führer und Gefolgschaft, Jugend und Kampf. Aus der katholischen Herkunft werden bayerische Volksfrömmigkeit, liturgische Feierlichkeit, religiöse Begrifflichkeit und das dualistische Weltbild von Gut und Böse übernommen. So erweist Baumann sich als ein „Brückenbauer“ aus der Jugendbewegung und dem Christentum in den NS. Allerdings werden die Traditionen transformiert: Aus der Wanderung der Kameraden wird der Marsch der Kolonnen, aus dem christlichen Herrgott der kriegerische Bündnispartner, aus der katholischen „Reichstheologie“ das großgermanische „Dritte Reich“. Auffälligste Leitmotive sind die Verherrlichung des Soldatentodes, die gnadenlose Kampfbereitschaft, der aggressive Ostimperialismus, die Verabsolutierung des Staates, die Preisgabe des „Ich“ an das „Wir“. Seine Beiträge zur national-sozialistischen Religionsstiftung, speziell zur „Führerhymnik“ leistet Baumann vor allem mit der Sakralisierung Adolf Hitlers zum Messias und Hohenpriester, zum Befreier Deutschlands aus feindlicher Knechtschaft und zum Retter des christlichen Abendlandes (einschließlich des alten „heiligen Rußland“) vor dem „satanischen“ Bolschewismus. Seit Kriegsbeginn 1939 häufen sich Soldatenlieder, gegen Kriegsende Durchhalteparolen und Siegesvisionen auch in Reden und Bühnenstücken.
Die bekanntesten Lieder Baumanns haben hohe suggestive und massenpsychologische Kraft und werden unverzichtbarer Bestandteil der NS-Liturgie: „In den Ostwind hebt die Fahnen“, „Junges Volk, tritt an zu deiner Stunde“, „Nur der Freiheit gehört unser Leben“. Sein Lieblingsmotiv Weihnachten, dem er zahlreiche volksliedhafte, auch konventionell fromme Gedichte und Lieder widmet, wandelt sich vom christlichen Fest zum heidnischen Sonnenwendritual; „Hohe Nacht der klaren Sterne“ soll systematisch die alten Weihnachtslieder aus den Familien, Schulen und Verbänden verdrängen. Auch Lieder mit lyrischen Texten und differenzierten Melodien wie „Und die Morgenfrühe, das ist unsere Zeit“, „Von allen blauen Hügeln reitet der Tag ins Land“, „Es geht eine helle Flöte“ oder „Gute Nacht, Kameraden“ sind nicht „unpolitisch“, sondern häufen die Metaphern für den Sieg der „Bewegung“. In nahezu sämtlichen Liedern wird faschistische Ideologie mit affirmativer Religiosität überhöht.
Ähnliche Feststellungen gelten für die erzählerischen und dramatischen Arbeiten. Aus Baumanns Anfangszeit als Jungvolk-Führer stammen etliche eher harmlose Spiele, Parabeln und Sprechchöre oder belehrende Geschichten zum Vorlesen. National-sozialistische Ideologeme transportiert er massiv und lehrhaft in Bühnenwerken, bei denen meist historische Stoffe verarbeitet werden: sein Erstling Kampf um die Karawanken (1938), ein Weihespiel Rüdiger von Bechelaren. Das Passauer Nibelungenspiel (1939), ein Drama Der Turm Nehaj (1941), ein „Weihespiel mit Chören der Jugend“ Konradin (1941), eine Tragödie Ermanerich (1943), ein weiteres Drama Der Kreterkönig (1944). Fast immer geht es um die „Selbstbehauptung“ einer „germanischen“ Volksgruppe gegen „östliche“ Aggressoren, um „Europa“ gegen „Asien“, um einen charismatischen „Führer“. In den Liedern und Gedichten weitgehend vermieden, wird hier auch rassistischer Antisemitismus laut. Im dramatischen Hauptwerk Alexander, am 14. Juni 1941 im Staatstheater Berlin mit Gustav Gründgens als Regisseur und Hauptdarsteller uraufgeführt, einem Schauspiel um Kampf und Opfertod für ein mythisches „Reich“, wird an „Milde“ und „Frieden“ des Herrschers appelliert, was Baumann später als seine Abwendung von der national-sozialistischen Herrenideologie interpretiert. Am 1. Juni 1941 erhält er für Alexander den vom Reichstatthalter Baldur von Schirach verliehenen Raimund-Preis der Stadt Wien, am 9. November 1941 bekommt er als „einer der hervorragendsten Vertreter der jüngeren Dichtergeneration“ den renommierten Dietrich-Eckart-Preis der Stadt Hamburg.
Viele der scheinbar unverfänglichen Lieder und Gedichte Baumanns bleiben, teils mit Auslassungen oder geringen Textänderungen, nach 1945 in Gebrauch. In eigenen Ausgaben oder Neuauflagen werden sie bis in die jüngste Zeit verbreitet, vor allem Die helle Flöte (1950, 1980); als „Volkslieder“ sind sie in zahllosen Sammlungen und auf Internet-Seiten greifbar. Die neuere Produktion an Liedern und Gedichten zeigt thematische Vielfalt und stilistischen Eklektizismus: Boote für morgen (1963), Denkzettel (1970), Ein Stern für alle (1971, 2. Aufl. 1974), Anvertraut ist uns die Erde (1987), Ich suche einen Sonnenstrahl (1991). Eine auf den feinsinnigen Lyriker abgestimmte „Auswahl [...] aus fünfzig Jahren“ ist die Sammlung Reisepaß (1978, 2. Aufl. 1985).
Seit 1949 veröffentlicht Baumann auch mehr als 100 Legenden, Märchen, Bühnenstücke, Bilderbücher und abenteuerliche Erzählungen fast ausschließlich für Kinder und Jugendliche. Die bekanntesten, die sich meist um historische Führergestalten drehen, erreichen viele Auflagen und werden in zahlreiche Sprachen übersetzt, so Der Sohn des Columbus (1951), Steppensöhne. Vom Sieg über Dschingis-Khan (1951), Die Höhlen der großen Jäger (1953), Die Barke der Brüder. Aus der Zeit Heinrichs des Seefahrers (1956), Ich zog mit Hannibal (1960), Der große Alexanderzug (1967), einige mit Literaturpreisen ausgezeichnet. Hinzu kommen Übertragungen von Erzählungen, Gedichten und Volksliedern aus mehreren Sprachen, vor allem dem Russischen. Zu einem Eklat gerät die Zu- und Aberkennung des Gerhart-Hauptmann-Preises der Freien Volksbühne Berlin für das pseudonym eingereichte, am 14. Februar 1962 im Jungen Theater Hamburg uraufgeführte Schauspiel Im Zeichen der Fische (1960). Das Stück, angesiedelt in der Zeit zwischen der Verfolgung und Anerkennung der Christen im Römischen Reich, handelt vom Gehorsamskonflikt bei unmenschlichen Befehlen; die Kritik erkennt als Leitmotiv die Auseinandersetzung des Verfassers mit der national-sozialistischen Vergangenheit und sieht entweder geläuterte Distanzierung vom „Führer“ oder peinliche Selbstrechtfertigung des „Verführten“.
Die Urteile über den Autor und Komponisten insgesamt schwanken extrem zwischen „Ehrenrettung“ eines angeblich unpolitischen Künstlers (Taege 1993) und Zorn über einen Opportunisten, der „es nie für nötig befunden [hat], sich bei der deutschen Jugend, die zu Hunderttausenden jeden Tag zwischen 1933 und 1945 gläubig seine Lieder sang, zu entschuldigen“ (Wilcke 2005): Baumann hat „ein katholisches Janusgesicht“ (Schreckenberg 2009).
Sekundärliteratur:
Koschmal, Walter (2021): „Es zittern die morschen Knochen“. Der Nazi-Barde aus Amberg. Hans Baumann. In: Literatur in Bayern 146, S. 25-27.
Externe Links:
Literatur von Hans Baumann im BVB
Literatur über Hans Baumann im BVB
Zeugenschrifttum Online. ZS 2224, Baumann, Hans (Schriftwechsel betr. chorische Dichtungen)
Hüben und drüben: Hans Baumann
Nichts fällt in Scherben: Sind Hans Baumanns dramatische Fische faschistisch
Seine familiäre Herkunft und den beruflichen und militärischen Werdegang bis 1945 hat Hans Baumann verschleiert. Als gesichert darf gelten, dass der Sohn eines Berufssoldaten das Lehrerbildungsseminar (heute Max-Reger-Gymnasium) in Amberg besucht und 1933/34 als Junglehrer in einer einklassigen Volksschule in Voithenberg/Bayerischer Wald unterrichtet. Dort führt er, seit 1932 Mitglied der Hitlerjugend, seit dem 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP, das Jungvolk der HJ. Anfang 1934 in die Reichsjugendführung nach Berlin berufen, wird er hauptamtlicher Referent im Amt für weltanschauliche Schulung, dann – nach Ableistung des Wehrdienstes – im Kulturamt. Er organisiert und visitiert „Schulungswochen“ und „Kulturlager“ und den Aufbau national-sozialistischer Jugendgruppen im Baltikum und im europäischen Ausland. Ab 1939 dient er als Leutnant, bald Oberleutnant in der Propaganda-Kompanie der 16. Armee an der ‚Ostfront‘ (ab 1941), was ihm Vortragsreisen zu „Heldengedenktagen“ und Schriftsteller-Tagungen sowie „Dichterreisen“ durch Deutschland ermöglicht.
Baumann wird einer der bekanntesten und wirkmächtigsten Literaten und Propagandisten des NS. Nach kurzer französischer Kriegsgefangenschaft und mehrjähriger Publikationspause beginnt er 1949 seine zweite Karriere als einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren von Kinder- und Jugendbüchern. Eine von ihm selbst verbreitete Widerstandslegende wird durch jüngere Quellenforschungen widerlegt.
Baumann gehört seit 1926 dem von Jesuiten gegründeten und geleiteten Schülerbund Neudeutschland an. Aus dem katholischen Milieu seiner Kinder- und Jugendjahre stammen seine ersten Veröffentlichungen. Eine Weihnachtslegende Der arme Weber und sein Stern erscheint in der von P. Friedrich Muckermann SJ herausgegebenen Zeitschrift Der Gral. Monatsschrift für Dichtung und Leben (H. 3/1931). Wahrscheinlich zwischen 1927 und 1933, bei Veranstaltungen des Bundes Neudeutschland, entstehen Gedichte, die 1933 als Sammlung mit dem Titel Macht keinen Lärm in dem katholischen Verlag Josef Kösel (München) und Friedrich Pustet (Regensburg) erscheinen, gewidmet „Den schweigsamen Werkleuten am Dom des Reiches“. Hier sind durchgängige Motive und Stilmittel des späteren Liedermachers Baumann bereits angelegt: idyllische Heimatdichtung, spätromantische Naturstimmung, fromme Mutterverehrung, idealisiertes Bauernleben im „Volksliedton“, aber auch, in einer Rubrik „Deutschland“, martialische Reime über das deutsche Volk, das endlich seine „Ketten“ abschüttelt. In diesen Zyklus gehört der meistzitierte Text Baumanns: „Und heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt“ („Es zittern die morschen Knochen der Welt vor dem roten Krieg“), der mit einer eigenen Melodie des Verfassers ab 1934 in Liederbüchern der HJ, der SA, des Reichsarbeitsdienstes und der Wehrmacht Karriere macht. Entstanden in der Tradition des bündischen Jugendmythos und Umsturzpathos, die auch die katholische Jugendbünde in der späten Weimarer Republik pflegen, ist das Gedicht mit seiner inhaltlichen Unbestimmtheit zunächst beliebig interpretierbar und wird von Baumann selbst als „Kampflied“ des NS systematisch eingesetzt. Die seit 1945 periodisch wiederkehrende Diskussion über die angeblich mehr oder weniger aggressive Bedeutung einzelner Textvarianten („gehört“ oder „da hört“ uns Deutschland, „roter“ oder „großer“ Krieg) ist ein Musterbeispiel für apologetische Verharmlosungsstrategien.
Zwischen 1934 und 1945 veröffentlicht Baumann rund 300 Lieder, meist mit eigenen Vertonungen. Massenhafte Verbreitung finden sie auch in dem von Baumann herausgegebenen Morgen marschieren wir. Liederbuch der deutschen Soldaten (1939), in Liederbüchern und Periodika der Parteigliederungen, Heimabendmaterialien, Schulungsdiensten, Schul- u. Chorliedersammlungen, Kalendern und Einzelblattdrucken, Zeitschriften wie Musik in Jugend und Volk, Völkische Musikerziehung, Das Innere Reich, Wille und Macht, Nationalsozialistische Monatshefte.
Hinzu kommen Sprechchöre, Kantaten und ein Oratorium. In der Serie „Die Grauen Hefte der Armee Busch. Schriftenreihe zur Truppenbetreuung“ (1942-44) kann er neben eigenen Arbeiten Texte klassischer und zeitgenössischer Autoren, Volkslieder und Erzählungen „aus dem alten Rußland“ und ideologiegesättigte Abhandlungen z.B. über „Das Reich und der Osten“ (1943) verbreiten.
In seiner kunsthandwerklichen Massenproduktion erweist Baumann sich als vielseitiger, für alle Zwecke national-sozialistischer Formationen und Veranstaltungen liefernder Texter und Komponist. Die Inhalte und Stilmittel reichen vom martialischen Marschlied bis zu feinsinniger Naturlyrik. Die Bildersprache beschränkt sich auf wenige Metaphern, die meist schon aus der Spätphase der Bündischen Jugend vertraut sind: Fahrt und Lager, Trommel und Fahne, Feuer und Sterne, Kameradschaft und Gemeinschaft, Führer und Gefolgschaft, Jugend und Kampf. Aus der katholischen Herkunft werden bayerische Volksfrömmigkeit, liturgische Feierlichkeit, religiöse Begrifflichkeit und das dualistische Weltbild von Gut und Böse übernommen. So erweist Baumann sich als ein „Brückenbauer“ aus der Jugendbewegung und dem Christentum in den NS. Allerdings werden die Traditionen transformiert: Aus der Wanderung der Kameraden wird der Marsch der Kolonnen, aus dem christlichen Herrgott der kriegerische Bündnispartner, aus der katholischen „Reichstheologie“ das großgermanische „Dritte Reich“. Auffälligste Leitmotive sind die Verherrlichung des Soldatentodes, die gnadenlose Kampfbereitschaft, der aggressive Ostimperialismus, die Verabsolutierung des Staates, die Preisgabe des „Ich“ an das „Wir“. Seine Beiträge zur national-sozialistischen Religionsstiftung, speziell zur „Führerhymnik“ leistet Baumann vor allem mit der Sakralisierung Adolf Hitlers zum Messias und Hohenpriester, zum Befreier Deutschlands aus feindlicher Knechtschaft und zum Retter des christlichen Abendlandes (einschließlich des alten „heiligen Rußland“) vor dem „satanischen“ Bolschewismus. Seit Kriegsbeginn 1939 häufen sich Soldatenlieder, gegen Kriegsende Durchhalteparolen und Siegesvisionen auch in Reden und Bühnenstücken.
Die bekanntesten Lieder Baumanns haben hohe suggestive und massenpsychologische Kraft und werden unverzichtbarer Bestandteil der NS-Liturgie: „In den Ostwind hebt die Fahnen“, „Junges Volk, tritt an zu deiner Stunde“, „Nur der Freiheit gehört unser Leben“. Sein Lieblingsmotiv Weihnachten, dem er zahlreiche volksliedhafte, auch konventionell fromme Gedichte und Lieder widmet, wandelt sich vom christlichen Fest zum heidnischen Sonnenwendritual; „Hohe Nacht der klaren Sterne“ soll systematisch die alten Weihnachtslieder aus den Familien, Schulen und Verbänden verdrängen. Auch Lieder mit lyrischen Texten und differenzierten Melodien wie „Und die Morgenfrühe, das ist unsere Zeit“, „Von allen blauen Hügeln reitet der Tag ins Land“, „Es geht eine helle Flöte“ oder „Gute Nacht, Kameraden“ sind nicht „unpolitisch“, sondern häufen die Metaphern für den Sieg der „Bewegung“. In nahezu sämtlichen Liedern wird faschistische Ideologie mit affirmativer Religiosität überhöht.
Ähnliche Feststellungen gelten für die erzählerischen und dramatischen Arbeiten. Aus Baumanns Anfangszeit als Jungvolk-Führer stammen etliche eher harmlose Spiele, Parabeln und Sprechchöre oder belehrende Geschichten zum Vorlesen. National-sozialistische Ideologeme transportiert er massiv und lehrhaft in Bühnenwerken, bei denen meist historische Stoffe verarbeitet werden: sein Erstling Kampf um die Karawanken (1938), ein Weihespiel Rüdiger von Bechelaren. Das Passauer Nibelungenspiel (1939), ein Drama Der Turm Nehaj (1941), ein „Weihespiel mit Chören der Jugend“ Konradin (1941), eine Tragödie Ermanerich (1943), ein weiteres Drama Der Kreterkönig (1944). Fast immer geht es um die „Selbstbehauptung“ einer „germanischen“ Volksgruppe gegen „östliche“ Aggressoren, um „Europa“ gegen „Asien“, um einen charismatischen „Führer“. In den Liedern und Gedichten weitgehend vermieden, wird hier auch rassistischer Antisemitismus laut. Im dramatischen Hauptwerk Alexander, am 14. Juni 1941 im Staatstheater Berlin mit Gustav Gründgens als Regisseur und Hauptdarsteller uraufgeführt, einem Schauspiel um Kampf und Opfertod für ein mythisches „Reich“, wird an „Milde“ und „Frieden“ des Herrschers appelliert, was Baumann später als seine Abwendung von der national-sozialistischen Herrenideologie interpretiert. Am 1. Juni 1941 erhält er für Alexander den vom Reichstatthalter Baldur von Schirach verliehenen Raimund-Preis der Stadt Wien, am 9. November 1941 bekommt er als „einer der hervorragendsten Vertreter der jüngeren Dichtergeneration“ den renommierten Dietrich-Eckart-Preis der Stadt Hamburg.
Viele der scheinbar unverfänglichen Lieder und Gedichte Baumanns bleiben, teils mit Auslassungen oder geringen Textänderungen, nach 1945 in Gebrauch. In eigenen Ausgaben oder Neuauflagen werden sie bis in die jüngste Zeit verbreitet, vor allem Die helle Flöte (1950, 1980); als „Volkslieder“ sind sie in zahllosen Sammlungen und auf Internet-Seiten greifbar. Die neuere Produktion an Liedern und Gedichten zeigt thematische Vielfalt und stilistischen Eklektizismus: Boote für morgen (1963), Denkzettel (1970), Ein Stern für alle (1971, 2. Aufl. 1974), Anvertraut ist uns die Erde (1987), Ich suche einen Sonnenstrahl (1991). Eine auf den feinsinnigen Lyriker abgestimmte „Auswahl [...] aus fünfzig Jahren“ ist die Sammlung Reisepaß (1978, 2. Aufl. 1985).
Seit 1949 veröffentlicht Baumann auch mehr als 100 Legenden, Märchen, Bühnenstücke, Bilderbücher und abenteuerliche Erzählungen fast ausschließlich für Kinder und Jugendliche. Die bekanntesten, die sich meist um historische Führergestalten drehen, erreichen viele Auflagen und werden in zahlreiche Sprachen übersetzt, so Der Sohn des Columbus (1951), Steppensöhne. Vom Sieg über Dschingis-Khan (1951), Die Höhlen der großen Jäger (1953), Die Barke der Brüder. Aus der Zeit Heinrichs des Seefahrers (1956), Ich zog mit Hannibal (1960), Der große Alexanderzug (1967), einige mit Literaturpreisen ausgezeichnet. Hinzu kommen Übertragungen von Erzählungen, Gedichten und Volksliedern aus mehreren Sprachen, vor allem dem Russischen. Zu einem Eklat gerät die Zu- und Aberkennung des Gerhart-Hauptmann-Preises der Freien Volksbühne Berlin für das pseudonym eingereichte, am 14. Februar 1962 im Jungen Theater Hamburg uraufgeführte Schauspiel Im Zeichen der Fische (1960). Das Stück, angesiedelt in der Zeit zwischen der Verfolgung und Anerkennung der Christen im Römischen Reich, handelt vom Gehorsamskonflikt bei unmenschlichen Befehlen; die Kritik erkennt als Leitmotiv die Auseinandersetzung des Verfassers mit der national-sozialistischen Vergangenheit und sieht entweder geläuterte Distanzierung vom „Führer“ oder peinliche Selbstrechtfertigung des „Verführten“.
Die Urteile über den Autor und Komponisten insgesamt schwanken extrem zwischen „Ehrenrettung“ eines angeblich unpolitischen Künstlers (Taege 1993) und Zorn über einen Opportunisten, der „es nie für nötig befunden [hat], sich bei der deutschen Jugend, die zu Hunderttausenden jeden Tag zwischen 1933 und 1945 gläubig seine Lieder sang, zu entschuldigen“ (Wilcke 2005): Baumann hat „ein katholisches Janusgesicht“ (Schreckenberg 2009).
Koschmal, Walter (2021): „Es zittern die morschen Knochen“. Der Nazi-Barde aus Amberg. Hans Baumann. In: Literatur in Bayern 146, S. 25-27.