Hans Wollschläger
Der Sohn eines Pastors wächst in Herford auf. Nach dem Besuch des Gymnasiums studiert Hans Wollschläger 1955 bis 1957 an der Nordwestdeutschen Musikakademie in Detmold und nimmt Privatunterricht bei dem Dirigenten Hermann Scherchen. Er beschäftigt sich mit Leben und Werk Gustav Mahlers, den er bewundert und dessen 10. Sinfonie er anfänglich vervollständigen will. Über Mahler gelangt Wollschläger schließlich zu Theodor W. Adorno, mit dem er Ende der 50er-Jahre als Vorsitzender der Deutschen Sektion der Internationalen Gustav Mahler Gesellschaft korrespondiert. Sein zweiter maßgeblicher Lehrer und Mentor wird der Schriftsteller und Übersetzer Arno Schmidt. Ihn lernt Wollschläger als freier Mitarbeiter des Bamberger Karl-May-Verlags kennen, wo er ab 1957 arbeitet. Neben der gemeinsamen Vorliebe für Karl May und Arbeit an einer Neuübersetzung der Werke Edgar Allan Poes wird Schmidts experimentelle Prosa prägend für ihn.
Seit 1963 arbeitet Wollschläger als freier Publizist, Schriftsteller und Übersetzer. Zunächst vor allem durch seine Übersetzungen William Faulkners, Raymond Chandlers, James Baldwins, Donald Barthelmes und Dashiel Hammetts bekannt, macht er sich mit einer Übertragung eines Kapitels aus Joyces Finnegans Wake (1970) sowie einer kongenialen Neuübersetzung des Ulysses (1975) in der Fachwelt einen Namen. Die ständig wechselnden Sprach- und Stilebenen, die vielfachen auf die Weltliteratur gemünzten Anspielungen und Zitate werden von Wollschläger dadurch erfasst, dass er eine archaisierende Kunstsprache entwickelt, die vom Mittelhochdeutschen bis zum modernen Gassenjargon alle sprachlichen Register zieht. Als erster Übersetzer bekommt er 1976 den Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste zugesprochen.
In den 70er-Jahren tritt Hans Wollschläger auch als scharfzüngiger Religions- und Kirchenkritiker hervor. Mit der Monografie Die bewaffneten Wallfahrten gen Jerusalem (1970) setzt er sich mit den Kreuzzügen auseinander, während seine Schrift Die Gegenwart einer Illusion. Reden gegen ein Monstrum (1978) unter Berufung auf Freud sich kritisch mit der Institution der Kirche beschäftigt. Überhaupt werden Freud und die Psychoanalyse grundlegend für Wollschlägers gesamtes Werk. Daneben interessiert er sich für den von Freud verstoßenen Psychoanalytiker Wilhelm Reich.
Polemiker im Geiste Karl Kraus' und Kritiker des Literaturbetriebs, findet Wollschläger trotz der erfolgreichen Ulysses-Übertragung bis 1982 keinen Verleger für sein eigenes erzählerisches Werk, den 1962 abgeschlossenen Roman Herzgewächse oder Der Fall Adams (1982). Der Roman entfaltet eine, wie es im Untertitel heißt, „fragmentarische Biographik in unzufälligen Makulaturblättern“ des fiktiven jüdischen Schriftstellers Michael Adams, der 1950 aus der Emigration in seine Heimatstadt Bamberg zurückkehrt. Erinnerungs- und Assoziationssplitter wechseln neben Traumsequenzen und theoretischen Reflexionen ab; indem der Roman die Schriftgröße wechselt und mit Hilfe der Zeichensetzung das Lesetempo beeinflusst, wird eine „Polyphonie des Schreibens“ sichtbar, die der Musiksprache Mahlers entspricht (Claus-Ulrich Bielefeld).
Ein weiterer Schwerpunkt im Schaffen Wollschlägers ist seine literaturhistorische bzw. psychoanalytische Arbeit über Karl May. 1965 gibt er seine erste Karl-May-Monografie bei Rowohlt heraus, die in den kommenden Jahrzehnten zahlreiche Neuauflagen erfährt. Von 1987 bis 1996 ist er Mitherausgeber einer historisch-kritischen Ausgabe von dessen Werken. Gemeinsam mit Rudolf Kreutner publiziert er zudem die Gesammelten Werke des Coburger Dichters Friedrich Rückert.
Auch als Theaterregisseur versucht Hans Wollschläger Fuß zu fassen. 1991 überrascht er das Publikum mit einer Inszenierung von Goethes Torquato Tasso am Bamberger E.-T.-A.-Hoffmann-Theater. Seine von sechs auf vier Stunden gekürzte Bühnenfassung von Kraus' Die letzten Tage der Menschheit scheitert jedoch, weil sie dem Intendanten immer noch zu lang erscheint und Wollschläger dahinter „destruktive Eingriffe“ gegen seine Sprachstrategie als Autor vermutet (vgl. Süddeutsche Zeitung vom 20. Januar 1993).
Für sein vielseitiges und vielschichtiges Werk hat Wollschläger zahlreiche Auszeichnungen erhalten: den Förderungspreis des Landes Nordrhein-Westfalen für Literatur (1968), den Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (1976), den Deutschen Jugendbuchpreis (1977), den Arno-Schmidt-Preis (1982), den Kulturpreis der Stadt Nürnberg (1982), den Preis der Henning-Kaufmann-Stiftung zur Pflege der Reinheit der deutschen Sprache (1988), den E.-T.-A.-Hoffmann-Preis der Stadt Bamberg (1989), die Ehrendoktorwürde der Universität Bamberg (1990), die Ehrengabe der Schillerstiftung Weimar (1995), den Berganza-Preis (1997), das Bundesverdienstkreuz (2000), den Kulturpreis der Bayerischen Landesstiftung (2001), den Friedrich-Rückert-Preis der Stadt Schweinfurt (2003), den Friedrich-Baur-Preis für Literatur der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (2005) sowie postum den August-Graf-von-Platen-Preis der Stadt Ansbach (2007).
Im Alter von 72 Jahren stirbt Hans Wollschläger nach langer Krankheit in seiner Wahlheimat Bamberg, wo er seit 1958 gelebt hat.
Sekundärliteratur:
Wollschläger, Hans. In: Munzinger Online/Personen - Internationales Biographisches Archiv, URL: http://www.munzinger.de/document/00000016809, (19.08.2012).
Externe Links:
Literatur von Hans Wollschläger im BVB
Literatur über Hans Wollschläger im BVB
Bibliographie Hans Wollschläger 1935-2007
Der Sohn eines Pastors wächst in Herford auf. Nach dem Besuch des Gymnasiums studiert Hans Wollschläger 1955 bis 1957 an der Nordwestdeutschen Musikakademie in Detmold und nimmt Privatunterricht bei dem Dirigenten Hermann Scherchen. Er beschäftigt sich mit Leben und Werk Gustav Mahlers, den er bewundert und dessen 10. Sinfonie er anfänglich vervollständigen will. Über Mahler gelangt Wollschläger schließlich zu Theodor W. Adorno, mit dem er Ende der 50er-Jahre als Vorsitzender der Deutschen Sektion der Internationalen Gustav Mahler Gesellschaft korrespondiert. Sein zweiter maßgeblicher Lehrer und Mentor wird der Schriftsteller und Übersetzer Arno Schmidt. Ihn lernt Wollschläger als freier Mitarbeiter des Bamberger Karl-May-Verlags kennen, wo er ab 1957 arbeitet. Neben der gemeinsamen Vorliebe für Karl May und Arbeit an einer Neuübersetzung der Werke Edgar Allan Poes wird Schmidts experimentelle Prosa prägend für ihn.
Seit 1963 arbeitet Wollschläger als freier Publizist, Schriftsteller und Übersetzer. Zunächst vor allem durch seine Übersetzungen William Faulkners, Raymond Chandlers, James Baldwins, Donald Barthelmes und Dashiel Hammetts bekannt, macht er sich mit einer Übertragung eines Kapitels aus Joyces Finnegans Wake (1970) sowie einer kongenialen Neuübersetzung des Ulysses (1975) in der Fachwelt einen Namen. Die ständig wechselnden Sprach- und Stilebenen, die vielfachen auf die Weltliteratur gemünzten Anspielungen und Zitate werden von Wollschläger dadurch erfasst, dass er eine archaisierende Kunstsprache entwickelt, die vom Mittelhochdeutschen bis zum modernen Gassenjargon alle sprachlichen Register zieht. Als erster Übersetzer bekommt er 1976 den Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste zugesprochen.
In den 70er-Jahren tritt Hans Wollschläger auch als scharfzüngiger Religions- und Kirchenkritiker hervor. Mit der Monografie Die bewaffneten Wallfahrten gen Jerusalem (1970) setzt er sich mit den Kreuzzügen auseinander, während seine Schrift Die Gegenwart einer Illusion. Reden gegen ein Monstrum (1978) unter Berufung auf Freud sich kritisch mit der Institution der Kirche beschäftigt. Überhaupt werden Freud und die Psychoanalyse grundlegend für Wollschlägers gesamtes Werk. Daneben interessiert er sich für den von Freud verstoßenen Psychoanalytiker Wilhelm Reich.
Polemiker im Geiste Karl Kraus' und Kritiker des Literaturbetriebs, findet Wollschläger trotz der erfolgreichen Ulysses-Übertragung bis 1982 keinen Verleger für sein eigenes erzählerisches Werk, den 1962 abgeschlossenen Roman Herzgewächse oder Der Fall Adams (1982). Der Roman entfaltet eine, wie es im Untertitel heißt, „fragmentarische Biographik in unzufälligen Makulaturblättern“ des fiktiven jüdischen Schriftstellers Michael Adams, der 1950 aus der Emigration in seine Heimatstadt Bamberg zurückkehrt. Erinnerungs- und Assoziationssplitter wechseln neben Traumsequenzen und theoretischen Reflexionen ab; indem der Roman die Schriftgröße wechselt und mit Hilfe der Zeichensetzung das Lesetempo beeinflusst, wird eine „Polyphonie des Schreibens“ sichtbar, die der Musiksprache Mahlers entspricht (Claus-Ulrich Bielefeld).
Ein weiterer Schwerpunkt im Schaffen Wollschlägers ist seine literaturhistorische bzw. psychoanalytische Arbeit über Karl May. 1965 gibt er seine erste Karl-May-Monografie bei Rowohlt heraus, die in den kommenden Jahrzehnten zahlreiche Neuauflagen erfährt. Von 1987 bis 1996 ist er Mitherausgeber einer historisch-kritischen Ausgabe von dessen Werken. Gemeinsam mit Rudolf Kreutner publiziert er zudem die Gesammelten Werke des Coburger Dichters Friedrich Rückert.
Auch als Theaterregisseur versucht Hans Wollschläger Fuß zu fassen. 1991 überrascht er das Publikum mit einer Inszenierung von Goethes Torquato Tasso am Bamberger E.-T.-A.-Hoffmann-Theater. Seine von sechs auf vier Stunden gekürzte Bühnenfassung von Kraus' Die letzten Tage der Menschheit scheitert jedoch, weil sie dem Intendanten immer noch zu lang erscheint und Wollschläger dahinter „destruktive Eingriffe“ gegen seine Sprachstrategie als Autor vermutet (vgl. Süddeutsche Zeitung vom 20. Januar 1993).
Für sein vielseitiges und vielschichtiges Werk hat Wollschläger zahlreiche Auszeichnungen erhalten: den Förderungspreis des Landes Nordrhein-Westfalen für Literatur (1968), den Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (1976), den Deutschen Jugendbuchpreis (1977), den Arno-Schmidt-Preis (1982), den Kulturpreis der Stadt Nürnberg (1982), den Preis der Henning-Kaufmann-Stiftung zur Pflege der Reinheit der deutschen Sprache (1988), den E.-T.-A.-Hoffmann-Preis der Stadt Bamberg (1989), die Ehrendoktorwürde der Universität Bamberg (1990), die Ehrengabe der Schillerstiftung Weimar (1995), den Berganza-Preis (1997), das Bundesverdienstkreuz (2000), den Kulturpreis der Bayerischen Landesstiftung (2001), den Friedrich-Rückert-Preis der Stadt Schweinfurt (2003), den Friedrich-Baur-Preis für Literatur der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (2005) sowie postum den August-Graf-von-Platen-Preis der Stadt Ansbach (2007).
Im Alter von 72 Jahren stirbt Hans Wollschläger nach langer Krankheit in seiner Wahlheimat Bamberg, wo er seit 1958 gelebt hat.
Wollschläger, Hans. In: Munzinger Online/Personen - Internationales Biographisches Archiv, URL: http://www.munzinger.de/document/00000016809, (19.08.2012).