Anita Augspurg
Anita Augspurg entstammt einer bürgerlich-liberalen Mediziner- und Juristenfamilie. Ihr Vater, ein Rechtsanwalt, hat an den Freiheitskämpfen der Revolution von 1848 teilgenommen. Um der Enge der heimatlichen Kleinstadt und auch dem höheren Töchterdasein zu entkommen, geht sie mit 21 Jahren nach Berlin, um dort das Lehrerinnen- und später auch das Turnlehrerinnenexamen abzulegen. Parallel dazu nimmt sie privaten Schauspielunterricht. Später erhält sie Engagements an der bekannten Meininger Hofbühne und an anderen Theaterbühnen in Europa. Als sie volljährig wird, ermöglicht ihr ein großzügiges Erbe der Großmutter ökonomische Unabhängigkeit. 1886 zieht sie zusammen mit ihrer Freundin Sophia Goudstikker nach München, wo sie mit ihr das Foto-Atelier Elvira gründet, das sich sowohl in der Münchner Moderne als auch am bayerischen Königshof schnell einen großen Ruf erwirbt.
Augspurg startet ihr Engagement für die Frauenbewegung im Rahmen des von Hedwig Kettler gegründeten Frauenvereins „Reform“. Um besser für den Kampf für die Rechte der Frau gerüstet zu sein, nimmt sie seit 1893 in Zürich ein Jurastudium auf, das sie 1897 mit der Promotion abschließt. 1894 ist sie Mitbegründerin und Gründungspräsidentin des in München gegründeten Vereins „Gesellschaft zur Förderung der geistigen Interessen der Frau“. 1896 gibt sie unter großem Bedauern des Vereins den Vorsitz ab, um mit ihren sozialpolitischen Aktivitäten nicht den als gemäßigt geltenden Verein zu gefährden. 1896 startet sie eine Kampagne gegen das Ehe- und Familienrecht im geplanten Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Über die Öffentlichkeit Politik zu betreiben ist eine Strategie, die Augspurg mit großem Geschick verfolgt. Ebenso betreibt sie Lobbying bei einflussreichen Politikern.
Bereits 1890 wird die „Gesellschaft für modernes Leben“ ins Leben gerufen, die unverhohlen für eine neue Sittlichkeit, einen neuen Menschen, für die Moderne eintritt. Ihr Gründer ist der aus Franken stammende Schriftsteller Dr. Michael Georg Conrad. Auch Anita Augspurg und Sophia Goudstikker werden Mitglied in dieser Gesellschaft. Deren Zeitschrift, die Modernen Blätter, stellen ab 1891 eigenständige Frauen dar, auch Frauen selbst kommen zu Wort und reflektieren über Liebe und Ehe, Männer- und Frauenbilder. Als Beispiel sei ein Gedicht von Anita Augspurg aus dem neunten Heft der Modernen Blätter zitiert. In ihm stellt sie die Frage nach Dauer und Reichweite einer Liebe. Ob Anita Augspurg damit die Verliebtheit und Liebe zwischen Mann und Frau gemeint hat oder ob sie damit ganz generell den Verlauf einer Liebe beschreiben will, inbegriffen auch die gleichgeschlechtliche Liebe, bleibt allerdings offen:
Anfang und Ende
Um Liebe werben! − Morgenrot,
Das hold die Menschenseele weckt,
Mit Rosenschleiern, sonng'gen Schein
Des Lebens Ernst und Strenge deckt.
Besitzen − Gold'nes Zauberwort,
Das auf der Menschheit Höhen trägt,
Den Göttern gleich wähnt sich das Herz,
Wenn's nur im Andern webt und schlägt.
Gewöhnen − Eis'ger Todesreif,
Der tausend Blütenkelche knickt.
Wo blieb der göttergleiche Traum?
Gleichgiltigkeit hat ihn erstickt!
Anita Augspurg ist Deutschlands erste promovierte Juristin. Aus persönlichen Gründen (Trennung von Goudstikker), aber auch aufgrund einer anderen politischen Überzeugung verlässt Augspurg 1899 ganz den von ihr in München mitgegründeten Verein zur Förderung der geistigen Interessen der Frau, um sich nun definitiv dem „radikalen Flügel“ der bürgerlichen Frauenbewegung anzuschließen. Fortan ist sie als Vorkämpferin für das Frauenstimmrecht und als radikale Pazifistin bekannt. Von der Gründung des Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht (DVF) im Jahr 1902 bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs gilt ihr Kampf – zusammen mit ihrer neuen Lebenspartnerin Lida Gustava Heymann – nun international dem Frauenwahlrecht und dem Pazifismus. Zusätzlich versucht sie, Politik im Rahmen einer Partei zu betreiben. 1903 tritt sie zusammen mit Heymann der Hamburger Freisinnigen Volkspartei (FVP) bei. Als die Partei sich weigert, die Forderung nach dem Frauenstimmrecht in ihr Programm aufzunehmen, verlässt Augspurg die FVP wieder. Von 1907 bis 1914 gibt sie die Zeitschrift für Frauenstimmrecht heraus.
Während des Ersten Weltkrieges tagt vom 28. April bis zum 1. Mai 1915 in Den Haag der „Internationale Frauenkongress“, an dem über 1.100 Delegierte aus zwölf Ländern teilnehmen. Aus Deutschland sind hier Frauen des „radikalen Flügels“ der bürgerlichen Frauenbewegung vertreten, unter ihnen und an vorderster Front Augspurg und Heymann, die von München aus gegen den Ersten Weltkrieg agieren. Dieser Kongress protestiert gegen den Krieg als einen „Wahnsinn“, der „nur durch eine ‚Massenpsychose‘ möglich gewesen sei“. Er fordert die Regierungen zu Friedensverhandlungen auf, stellt Friedensgrundsätze auf und verlangt die politische Gleichberechtigung der Frauen. Als Hitler 1933 an die Macht kommt, begibt sie sich zusammen mit Heymann von einer Urlaubsreise sofort nach Zürich ins Exil. Der (auch literarische) Nachlass bzw. das Archiv der beiden Frauen wird von den Nationalsozialisten in München zerstört. Von Zürich aus versuchen Augspurg und Heymann, unterstützt von einem internationalen Frauen-Netzwerk, gegen Hitler und später auch gegen den Zweiten Weltkrieg zu agieren. 1941 verfassen sie ihre Lebenserinnerungen. Hier findet sich folgendes Statement: „Gewalt aber kann niemals durch Gewalt überwunden werden, sondern nur [...] durch Vernunft und Geist. Diese einzig richtige Erkenntnis hat sich nicht rechtzeitig durchsetzen können – eine in ihrer Mehrheit dem Wahnsinn verfallene Menschheit ist weder durch Verstand noch Vernunft zu meistern; sie muss letzten Endes an ihrer eigenen Torheit zerschellen – Stirb und werde!“
1943 stirbt Anita Augspurg verarmt und krank in Zürich.
Sekundärliteratur:
Addams, Jane u.a. (2003): Women at The Hague: the International Congress of Women and its result. Illinois.
Henke, Christiane (2000): Anita Augspurg. Hamburg.
Kinnebrock, Susanne (2005): Anita Augspurg (1857-1943). Feministin und Pazifistin zwischen Journalismus und Politik. Herbolzheim.
Richardsen, Ingvild (2019): Leidenschaftliche Herzen, feurige Seelen. Wie Frauen die Welt verändert haben. S. Fischer Verlag, Frankfurt.
Pataky, Sophie (Hg.) (1898): Lexikon deutscher Frauen der Feder. Bd. 1. Berlin, S. 24f.
Twellmann, Margrit (Hg.) (1992): Lida Gustava Heymann. In Zusammenarbeit mit Dr. jur. Anita Augspurg: Erlebtes. Erschautes. Deutsche Frauen kämpfen für Freiheit, Recht und Frieden 1850-1940. Frankfurt/M., S. 306.
Quellen:
Anita Augspurg: Nationalhymne der Frauen. In: Monatshefte des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht. Hg. v. Dr. Anita Augspurg. 1. Jg., München 1912, H. 1/2, S. 2.
Vereins-Anzeiger des Stadtbundes Münchener Frauen-Vereine. 2. Jg., Nr. 2, 27. Januar 1915, Stadtarchiv München/Vereine 2168.
Externe Links:
Literatur von Anita Augspurg im BVB
Anita Augspurg entstammt einer bürgerlich-liberalen Mediziner- und Juristenfamilie. Ihr Vater, ein Rechtsanwalt, hat an den Freiheitskämpfen der Revolution von 1848 teilgenommen. Um der Enge der heimatlichen Kleinstadt und auch dem höheren Töchterdasein zu entkommen, geht sie mit 21 Jahren nach Berlin, um dort das Lehrerinnen- und später auch das Turnlehrerinnenexamen abzulegen. Parallel dazu nimmt sie privaten Schauspielunterricht. Später erhält sie Engagements an der bekannten Meininger Hofbühne und an anderen Theaterbühnen in Europa. Als sie volljährig wird, ermöglicht ihr ein großzügiges Erbe der Großmutter ökonomische Unabhängigkeit. 1886 zieht sie zusammen mit ihrer Freundin Sophia Goudstikker nach München, wo sie mit ihr das Foto-Atelier Elvira gründet, das sich sowohl in der Münchner Moderne als auch am bayerischen Königshof schnell einen großen Ruf erwirbt.
Augspurg startet ihr Engagement für die Frauenbewegung im Rahmen des von Hedwig Kettler gegründeten Frauenvereins „Reform“. Um besser für den Kampf für die Rechte der Frau gerüstet zu sein, nimmt sie seit 1893 in Zürich ein Jurastudium auf, das sie 1897 mit der Promotion abschließt. 1894 ist sie Mitbegründerin und Gründungspräsidentin des in München gegründeten Vereins „Gesellschaft zur Förderung der geistigen Interessen der Frau“. 1896 gibt sie unter großem Bedauern des Vereins den Vorsitz ab, um mit ihren sozialpolitischen Aktivitäten nicht den als gemäßigt geltenden Verein zu gefährden. 1896 startet sie eine Kampagne gegen das Ehe- und Familienrecht im geplanten Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Über die Öffentlichkeit Politik zu betreiben ist eine Strategie, die Augspurg mit großem Geschick verfolgt. Ebenso betreibt sie Lobbying bei einflussreichen Politikern.
Bereits 1890 wird die „Gesellschaft für modernes Leben“ ins Leben gerufen, die unverhohlen für eine neue Sittlichkeit, einen neuen Menschen, für die Moderne eintritt. Ihr Gründer ist der aus Franken stammende Schriftsteller Dr. Michael Georg Conrad. Auch Anita Augspurg und Sophia Goudstikker werden Mitglied in dieser Gesellschaft. Deren Zeitschrift, die Modernen Blätter, stellen ab 1891 eigenständige Frauen dar, auch Frauen selbst kommen zu Wort und reflektieren über Liebe und Ehe, Männer- und Frauenbilder. Als Beispiel sei ein Gedicht von Anita Augspurg aus dem neunten Heft der Modernen Blätter zitiert. In ihm stellt sie die Frage nach Dauer und Reichweite einer Liebe. Ob Anita Augspurg damit die Verliebtheit und Liebe zwischen Mann und Frau gemeint hat oder ob sie damit ganz generell den Verlauf einer Liebe beschreiben will, inbegriffen auch die gleichgeschlechtliche Liebe, bleibt allerdings offen:
Anfang und Ende
Um Liebe werben! − Morgenrot,
Das hold die Menschenseele weckt,
Mit Rosenschleiern, sonng'gen Schein
Des Lebens Ernst und Strenge deckt.
Besitzen − Gold'nes Zauberwort,
Das auf der Menschheit Höhen trägt,
Den Göttern gleich wähnt sich das Herz,
Wenn's nur im Andern webt und schlägt.
Gewöhnen − Eis'ger Todesreif,
Der tausend Blütenkelche knickt.
Wo blieb der göttergleiche Traum?
Gleichgiltigkeit hat ihn erstickt!
Anita Augspurg ist Deutschlands erste promovierte Juristin. Aus persönlichen Gründen (Trennung von Goudstikker), aber auch aufgrund einer anderen politischen Überzeugung verlässt Augspurg 1899 ganz den von ihr in München mitgegründeten Verein zur Förderung der geistigen Interessen der Frau, um sich nun definitiv dem „radikalen Flügel“ der bürgerlichen Frauenbewegung anzuschließen. Fortan ist sie als Vorkämpferin für das Frauenstimmrecht und als radikale Pazifistin bekannt. Von der Gründung des Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht (DVF) im Jahr 1902 bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs gilt ihr Kampf – zusammen mit ihrer neuen Lebenspartnerin Lida Gustava Heymann – nun international dem Frauenwahlrecht und dem Pazifismus. Zusätzlich versucht sie, Politik im Rahmen einer Partei zu betreiben. 1903 tritt sie zusammen mit Heymann der Hamburger Freisinnigen Volkspartei (FVP) bei. Als die Partei sich weigert, die Forderung nach dem Frauenstimmrecht in ihr Programm aufzunehmen, verlässt Augspurg die FVP wieder. Von 1907 bis 1914 gibt sie die Zeitschrift für Frauenstimmrecht heraus.
Während des Ersten Weltkrieges tagt vom 28. April bis zum 1. Mai 1915 in Den Haag der „Internationale Frauenkongress“, an dem über 1.100 Delegierte aus zwölf Ländern teilnehmen. Aus Deutschland sind hier Frauen des „radikalen Flügels“ der bürgerlichen Frauenbewegung vertreten, unter ihnen und an vorderster Front Augspurg und Heymann, die von München aus gegen den Ersten Weltkrieg agieren. Dieser Kongress protestiert gegen den Krieg als einen „Wahnsinn“, der „nur durch eine ‚Massenpsychose‘ möglich gewesen sei“. Er fordert die Regierungen zu Friedensverhandlungen auf, stellt Friedensgrundsätze auf und verlangt die politische Gleichberechtigung der Frauen. Als Hitler 1933 an die Macht kommt, begibt sie sich zusammen mit Heymann von einer Urlaubsreise sofort nach Zürich ins Exil. Der (auch literarische) Nachlass bzw. das Archiv der beiden Frauen wird von den Nationalsozialisten in München zerstört. Von Zürich aus versuchen Augspurg und Heymann, unterstützt von einem internationalen Frauen-Netzwerk, gegen Hitler und später auch gegen den Zweiten Weltkrieg zu agieren. 1941 verfassen sie ihre Lebenserinnerungen. Hier findet sich folgendes Statement: „Gewalt aber kann niemals durch Gewalt überwunden werden, sondern nur [...] durch Vernunft und Geist. Diese einzig richtige Erkenntnis hat sich nicht rechtzeitig durchsetzen können – eine in ihrer Mehrheit dem Wahnsinn verfallene Menschheit ist weder durch Verstand noch Vernunft zu meistern; sie muss letzten Endes an ihrer eigenen Torheit zerschellen – Stirb und werde!“
1943 stirbt Anita Augspurg verarmt und krank in Zürich.
Addams, Jane u.a. (2003): Women at The Hague: the International Congress of Women and its result. Illinois.
Henke, Christiane (2000): Anita Augspurg. Hamburg.
Kinnebrock, Susanne (2005): Anita Augspurg (1857-1943). Feministin und Pazifistin zwischen Journalismus und Politik. Herbolzheim.
Richardsen, Ingvild (2019): Leidenschaftliche Herzen, feurige Seelen. Wie Frauen die Welt verändert haben. S. Fischer Verlag, Frankfurt.
Pataky, Sophie (Hg.) (1898): Lexikon deutscher Frauen der Feder. Bd. 1. Berlin, S. 24f.
Twellmann, Margrit (Hg.) (1992): Lida Gustava Heymann. In Zusammenarbeit mit Dr. jur. Anita Augspurg: Erlebtes. Erschautes. Deutsche Frauen kämpfen für Freiheit, Recht und Frieden 1850-1940. Frankfurt/M., S. 306.
Quellen:
Anita Augspurg: Nationalhymne der Frauen. In: Monatshefte des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht. Hg. v. Dr. Anita Augspurg. 1. Jg., München 1912, H. 1/2, S. 2.
Vereins-Anzeiger des Stadtbundes Münchener Frauen-Vereine. 2. Jg., Nr. 2, 27. Januar 1915, Stadtarchiv München/Vereine 2168.