Carl Sternheim
Der aus einer protestantischen Buchdrucker- und jüdischen Bankiersfamilie stammende Carl Sternheim wächst in Hannover und Berlin auf und studiert 1897 bis 1902 in München, Göttingen, Leipzig, Berlin u.a. Philosophie und Rechtswissenschaften, allerdings ohne Abschluss. Während dieser Zeit entstehen zahlreiche Dramenentwürfe sowie Prosatexte. Wegen eines angeblichen Sexualdelikts wird er 1906 verhaftet und in die Nervenklinik Freiburg im Breisgau eingewiesen; die Ehe mit seiner ersten Frau Eugenie Hauth scheitert, Sternheim zieht nach München. Er heiratet Thea Löwenstein und wird Mitherausgeber der Zeitschrift Hyperion (mit Franz Blei).
In Höllriegelskreuth bezieht Sternheim durch den finanziellen Aufstieg seiner Frau bedingt die Prachtvilla Bellemaison, wo er luxuriös residiert, den Grundstock zu einer nennenswerten Kunstsammlung legt und regen gesellschaftlichen Verkehr unterhält: u.a. mit Rudolf Alexander Schröder, Max Reinhardt, Heinrich Mann, Ottomar Starke, Tilly und Frank Wedekind, Hugo von Hofmannsthal, Paul Cassirer, Mechtilde Lichnowsky, Annette Kolb u.v.a. Weil er unter den Emissionen einer benachbarten chemischen Fabrik leidet und seine Anzeigen nichts nützen, lässt er sich in den Höllriegelskreuther Gemeinderat wählen.
Zwischen 1911 bis 1914 werden seine wichtigsten Komödien uraufgeführt, die in satirischer Form die bürgerlich-spießige Gesellschaft der Wilhelminischen Epoche kritisieren und bis heute zum geschätzten Repertoire der deutschen Bühne gehören: Die Hose (1911), Die Kassette (1912), Bürger Schnippel (1913) sowie Der Snob (1914). Sternheims Stücke machen vor Niemandem halt, ja demaskieren den Menschen in all seiner Selbstsucht und Gemeinheit. Seine Kollegen indes behandelt er mit ironischer Nachsicht oder lässt ihnen gegenüber Gnade walten, allen voran Franz Kafka, dem er 1915 großzügig die Geldsumme des Sternheim verliehenen Fontane-Preises überlässt, um auf ihn als bedeutsamen Erzähler aufmerksam zu machen.
Zwischenzeitlich nach Belgien und Königstein im Taunus übersiedelt, kehrt Sternheim 1916 wieder nach Brüssel zurück und pflegt Freundschaft mit Carl Einstein, später mit Gottfried Benn, mit denen er eine „Enzyklopädie zum Abbruch bürgerlicher Ideologie“ plant. Die Anzeige gegen seine Erzählung Ulrike als unzüchtige Schrift führt zwei Jahre darauf zur Beschlagnahme. Sternheim flieht nach Holland und übersiedelt in die Schweiz. In zwei Bänden erscheint die seit 1912 geschriebene Novellensammlung Chronik von des zwanzigsten Jahrhunderts Beginn (1918 sowie 1926-28), die die Schwierigkeiten bei der Selbstfindung des im Arbeitsprozess und sozialen Leben sich selbst entfremdeten Massenmenschen thematisiert. Weitere Texte zentrieren sich um den Begriff des „juste milieu“: Berlin oder Juste Milieu (1920) sowie Tasso oder Kunst des Juste Milieu (1921).
Nach einem Nervenzusammenbruch und einer erneuten Übersiedlung nach Dresden beginnt Sternheims erste Regiearbeit. 1925 wird sein Oskar Wilde uraufgeführt, worauf Franz Pfemfert, Herausgeber der Zeitschrift Die Aktion, die zehnjährige Verbindung Sternheims zum Aktionskreis aufkündigt. Nach der Scheidung von Thea (1927) hat Sternheim einen weiteren Nervenzusammenbruch, er wird ins Sanatorium eingeliefert. 1930 heiratet er in dritter Ehe die Tochter Frank Wedekinds Pamela, von der er sich bereits vier Jahre später trennt, und zieht nach Brüssel. Wegen des Verbots von Büchern und Aufführungen durch das NS-Regime versiegen Sternheims Einnahmen fast völlig; Sternheim zieht vorübergehend nach London, in der Hoffnung, englische Verlage und Theaterdirektionen zu interessieren. Obwohl seine Marquise von Arcis erfolgreich aufgeführt wird, bleiben weitere Inszenierungen jedoch aus.
1936 erscheint die letzte Publikation, die Autobiographie Vorkriegseuropa im Gleichnis meines Lebens. Sternheim vernichtet Tagebücher und Manuskripte, nachdem Brüssel an die deutsche Wehrmacht übergeben worden ist. Seine finanziellen Mittel neigen sich dem Ende zu – er ist gezwungen, Kunstwerke sowie Bücher zu verkaufen. Dank guter Beziehungen zur italienischen Botschaft bleiben er und seine neue Lebensgefährtin Henriette Carbonara von der Willkür der Nationalsozialisten verschont.
Sekundärliteratur:
Meissner, Toni (2004): Carl Sternheim (1.4.1878 – 3.11.1942). Hohe Schule der Zeitkritik. In: Schweiggert, Alfons; Macher, Hannes S. (Hg.): Autoren und Autorinnen in Bayern. 20. Jahrhundert. Bayerland Verlag, Dachau, S. 94-96.
Otte, Birgit (1985): Vita Carl Sternheim. In: Text + Kritik. H. 87, S. 94-96.
Externe Links:
Literatur von Carl Sternheim im BVB
Literatur über Carl Sternheim im BVB
Der aus einer protestantischen Buchdrucker- und jüdischen Bankiersfamilie stammende Carl Sternheim wächst in Hannover und Berlin auf und studiert 1897 bis 1902 in München, Göttingen, Leipzig, Berlin u.a. Philosophie und Rechtswissenschaften, allerdings ohne Abschluss. Während dieser Zeit entstehen zahlreiche Dramenentwürfe sowie Prosatexte. Wegen eines angeblichen Sexualdelikts wird er 1906 verhaftet und in die Nervenklinik Freiburg im Breisgau eingewiesen; die Ehe mit seiner ersten Frau Eugenie Hauth scheitert, Sternheim zieht nach München. Er heiratet Thea Löwenstein und wird Mitherausgeber der Zeitschrift Hyperion (mit Franz Blei).
In Höllriegelskreuth bezieht Sternheim durch den finanziellen Aufstieg seiner Frau bedingt die Prachtvilla Bellemaison, wo er luxuriös residiert, den Grundstock zu einer nennenswerten Kunstsammlung legt und regen gesellschaftlichen Verkehr unterhält: u.a. mit Rudolf Alexander Schröder, Max Reinhardt, Heinrich Mann, Ottomar Starke, Tilly und Frank Wedekind, Hugo von Hofmannsthal, Paul Cassirer, Mechtilde Lichnowsky, Annette Kolb u.v.a. Weil er unter den Emissionen einer benachbarten chemischen Fabrik leidet und seine Anzeigen nichts nützen, lässt er sich in den Höllriegelskreuther Gemeinderat wählen.
Zwischen 1911 bis 1914 werden seine wichtigsten Komödien uraufgeführt, die in satirischer Form die bürgerlich-spießige Gesellschaft der Wilhelminischen Epoche kritisieren und bis heute zum geschätzten Repertoire der deutschen Bühne gehören: Die Hose (1911), Die Kassette (1912), Bürger Schnippel (1913) sowie Der Snob (1914). Sternheims Stücke machen vor Niemandem halt, ja demaskieren den Menschen in all seiner Selbstsucht und Gemeinheit. Seine Kollegen indes behandelt er mit ironischer Nachsicht oder lässt ihnen gegenüber Gnade walten, allen voran Franz Kafka, dem er 1915 großzügig die Geldsumme des Sternheim verliehenen Fontane-Preises überlässt, um auf ihn als bedeutsamen Erzähler aufmerksam zu machen.
Zwischenzeitlich nach Belgien und Königstein im Taunus übersiedelt, kehrt Sternheim 1916 wieder nach Brüssel zurück und pflegt Freundschaft mit Carl Einstein, später mit Gottfried Benn, mit denen er eine „Enzyklopädie zum Abbruch bürgerlicher Ideologie“ plant. Die Anzeige gegen seine Erzählung Ulrike als unzüchtige Schrift führt zwei Jahre darauf zur Beschlagnahme. Sternheim flieht nach Holland und übersiedelt in die Schweiz. In zwei Bänden erscheint die seit 1912 geschriebene Novellensammlung Chronik von des zwanzigsten Jahrhunderts Beginn (1918 sowie 1926-28), die die Schwierigkeiten bei der Selbstfindung des im Arbeitsprozess und sozialen Leben sich selbst entfremdeten Massenmenschen thematisiert. Weitere Texte zentrieren sich um den Begriff des „juste milieu“: Berlin oder Juste Milieu (1920) sowie Tasso oder Kunst des Juste Milieu (1921).
Nach einem Nervenzusammenbruch und einer erneuten Übersiedlung nach Dresden beginnt Sternheims erste Regiearbeit. 1925 wird sein Oskar Wilde uraufgeführt, worauf Franz Pfemfert, Herausgeber der Zeitschrift Die Aktion, die zehnjährige Verbindung Sternheims zum Aktionskreis aufkündigt. Nach der Scheidung von Thea (1927) hat Sternheim einen weiteren Nervenzusammenbruch, er wird ins Sanatorium eingeliefert. 1930 heiratet er in dritter Ehe die Tochter Frank Wedekinds Pamela, von der er sich bereits vier Jahre später trennt, und zieht nach Brüssel. Wegen des Verbots von Büchern und Aufführungen durch das NS-Regime versiegen Sternheims Einnahmen fast völlig; Sternheim zieht vorübergehend nach London, in der Hoffnung, englische Verlage und Theaterdirektionen zu interessieren. Obwohl seine Marquise von Arcis erfolgreich aufgeführt wird, bleiben weitere Inszenierungen jedoch aus.
1936 erscheint die letzte Publikation, die Autobiographie Vorkriegseuropa im Gleichnis meines Lebens. Sternheim vernichtet Tagebücher und Manuskripte, nachdem Brüssel an die deutsche Wehrmacht übergeben worden ist. Seine finanziellen Mittel neigen sich dem Ende zu – er ist gezwungen, Kunstwerke sowie Bücher zu verkaufen. Dank guter Beziehungen zur italienischen Botschaft bleiben er und seine neue Lebensgefährtin Henriette Carbonara von der Willkür der Nationalsozialisten verschont.
Meissner, Toni (2004): Carl Sternheim (1.4.1878 – 3.11.1942). Hohe Schule der Zeitkritik. In: Schweiggert, Alfons; Macher, Hannes S. (Hg.): Autoren und Autorinnen in Bayern. 20. Jahrhundert. Bayerland Verlag, Dachau, S. 94-96.
Otte, Birgit (1985): Vita Carl Sternheim. In: Text + Kritik. H. 87, S. 94-96.