Heinrich Lautensack
Im niederbayerischen Vilshofen geboren, wächst der Sohn einer strengkatholischen Kaufmannsfamilie in Passau auf. 1897 kommt er nach München, besucht dort die Industrieschule und beginnt zwei Jahre später ein Mathematikstudium, um Geometer zu werden. Im Schwabing der Jahrhundertwende macht Heinrich Lautensack Bekanntschaft mit Frank Wedekind, dessen Schüler er wird, und schließt sich dem Kabarett Die Elf Scharfrichter an. Er hängt sein Studium an den Nagel, wird Vater eines unehelichen Kindes, schreibt Balladen und erste Stücke und heiratet die Schauspielerin Dora Harnisch, die unter dem Namen Dora Stratton auftritt.
Nach Auflösung der Elf Scharfrichter 1904 tourt Lautensack durch Deutschland; ab 1907 lebt er in Berlin, wo er sich als freier Schriftsteller und Übersetzer niederlässt und Mitarbeiter vor- bzw. frühexpressionistischer Zeitschriften wird. 1910 heiratet er die Varietésängerin Betty Eisner. Er gibt die Zweimonatsschrift Die Bücherei Maiandros heraus, die, bedingt durch die Zensur, zwischen 1912 und 1913 gerade sechsmal erscheint. Wie in seiner Münchener Zeit muss Lautensack zum Broterwerb Stücke anderer Autoren bearbeiten und journalistische Gelegenheitsarbeiten übernehmen. Seit 1912 wendet er sich außerdem dem Film zu, schreibt Drehbücher und arbeitet als Dramaturg.
Immer wieder kehrt er für kurze Zeit nach Passau zurück – seine eigenen Bühnenstücke siedelt Lautensack im niederbayerischen Kleinstadtmilieu an, worin er den Konflikt zwischen natürlicher Triebhaftigkeit und heuchlerischer Sexualmoral offen darstellt, was dazu führt, dass seine Stücke von der preußischen Zensur verboten werden. Als Anhänger einer glühenden Erotik verfasst er ekstatische Gedichte (Documente der Liebesraserei, 1910; Die Votivtafeln der Liebe, 1919). Bei einem Besuch in Passau 1911 entsteht die Pfarrhauskomödie, die das Thema der heimlichen Priesterehe behandelt. Doch nicht die Anklage gegen klerikale Scheinheiligkeit und Doppelmoral steht im Vordergrund, sondern die Möglichkeit einer allen Seiten gerecht werdenden Versöhnung von Trieb und Moral. Die seit 1910 erscheinenden Prosaskizzen Altbayrische Bilderbogen, in denen sich religiöse Bräuche sowie bäuerliche Alltagsbeobachtungen in den Ablauf des Kirchenjahres einfügen, verbinden Lautensacks sprachkritisches Selbstbewusstsein mit gleichzeitiger Liebe zum Detail.
Während des Ersten Weltkrieges wird Lautensack als Landsturmmann nach Ostpreußen eingezogen. Nach seiner Entlassung 1917 erhält er von einer Berliner Filmgesellschaft ein Stellenangebot, Kurt Wolff will ihn verlegen, seine Stücke können nach Aufhebung der Zensur 1919 endlich auf deutschen Bühnen aufgeführt werden. Der Tod des zeitlebens verehrten Frank Wedekind setzt diesen Erfolgen jedoch ein jähes Ende: Bei dessen Beerdigung auf dem Münchener Waldfriedhof im Februar 1918 bricht Heinrich Lautensack zusammen, als er dort versucht, wild gestikulierend und schreiend Filmaufnahmen zu machen. Mit den Worten „Frank Wedekind, meinem Lehrer, meinem Vorbild, meinem Meister – dein unwürdigster Schüler“ (Otto Falckenberg) wirft er sich am offenen Grabe nieder. Am 10. Januar 1919 stirbt er schließlich in geistiger Umnachtung in einer Heilanstalt von Eberswalde und wird in Berlin beigesetzt.
Sekundärliteratur:
Füssl, Karl (2004): Heinrich Lautensack (15.7.1881 – 10.1.1919). Wedekinds „geringster Schüler“. In: Schweiggert, Alfons; Macher, Hannes S. (Hg.): Autoren und Autorinnen in Bayern. 20. Jahrhundert. Bayerland Verlag, Dachau, S. 105f.
Selbmann, Rolf: Lautensack, Heinrich. In: Neue Deutsche Biographie 13 (1982), S. 730f., http://www.deutsche-biographie.de/pnd118570226.html, (09.01.2012).
Externe Links:
Literatur von Heinrich Lautensack im BVB
Literatur über Heinrich Lautensack im BVB
Im niederbayerischen Vilshofen geboren, wächst der Sohn einer strengkatholischen Kaufmannsfamilie in Passau auf. 1897 kommt er nach München, besucht dort die Industrieschule und beginnt zwei Jahre später ein Mathematikstudium, um Geometer zu werden. Im Schwabing der Jahrhundertwende macht Heinrich Lautensack Bekanntschaft mit Frank Wedekind, dessen Schüler er wird, und schließt sich dem Kabarett Die Elf Scharfrichter an. Er hängt sein Studium an den Nagel, wird Vater eines unehelichen Kindes, schreibt Balladen und erste Stücke und heiratet die Schauspielerin Dora Harnisch, die unter dem Namen Dora Stratton auftritt.
Nach Auflösung der Elf Scharfrichter 1904 tourt Lautensack durch Deutschland; ab 1907 lebt er in Berlin, wo er sich als freier Schriftsteller und Übersetzer niederlässt und Mitarbeiter vor- bzw. frühexpressionistischer Zeitschriften wird. 1910 heiratet er die Varietésängerin Betty Eisner. Er gibt die Zweimonatsschrift Die Bücherei Maiandros heraus, die, bedingt durch die Zensur, zwischen 1912 und 1913 gerade sechsmal erscheint. Wie in seiner Münchener Zeit muss Lautensack zum Broterwerb Stücke anderer Autoren bearbeiten und journalistische Gelegenheitsarbeiten übernehmen. Seit 1912 wendet er sich außerdem dem Film zu, schreibt Drehbücher und arbeitet als Dramaturg.
Immer wieder kehrt er für kurze Zeit nach Passau zurück – seine eigenen Bühnenstücke siedelt Lautensack im niederbayerischen Kleinstadtmilieu an, worin er den Konflikt zwischen natürlicher Triebhaftigkeit und heuchlerischer Sexualmoral offen darstellt, was dazu führt, dass seine Stücke von der preußischen Zensur verboten werden. Als Anhänger einer glühenden Erotik verfasst er ekstatische Gedichte (Documente der Liebesraserei, 1910; Die Votivtafeln der Liebe, 1919). Bei einem Besuch in Passau 1911 entsteht die Pfarrhauskomödie, die das Thema der heimlichen Priesterehe behandelt. Doch nicht die Anklage gegen klerikale Scheinheiligkeit und Doppelmoral steht im Vordergrund, sondern die Möglichkeit einer allen Seiten gerecht werdenden Versöhnung von Trieb und Moral. Die seit 1910 erscheinenden Prosaskizzen Altbayrische Bilderbogen, in denen sich religiöse Bräuche sowie bäuerliche Alltagsbeobachtungen in den Ablauf des Kirchenjahres einfügen, verbinden Lautensacks sprachkritisches Selbstbewusstsein mit gleichzeitiger Liebe zum Detail.
Während des Ersten Weltkrieges wird Lautensack als Landsturmmann nach Ostpreußen eingezogen. Nach seiner Entlassung 1917 erhält er von einer Berliner Filmgesellschaft ein Stellenangebot, Kurt Wolff will ihn verlegen, seine Stücke können nach Aufhebung der Zensur 1919 endlich auf deutschen Bühnen aufgeführt werden. Der Tod des zeitlebens verehrten Frank Wedekind setzt diesen Erfolgen jedoch ein jähes Ende: Bei dessen Beerdigung auf dem Münchener Waldfriedhof im Februar 1918 bricht Heinrich Lautensack zusammen, als er dort versucht, wild gestikulierend und schreiend Filmaufnahmen zu machen. Mit den Worten „Frank Wedekind, meinem Lehrer, meinem Vorbild, meinem Meister – dein unwürdigster Schüler“ (Otto Falckenberg) wirft er sich am offenen Grabe nieder. Am 10. Januar 1919 stirbt er schließlich in geistiger Umnachtung in einer Heilanstalt von Eberswalde und wird in Berlin beigesetzt.
Füssl, Karl (2004): Heinrich Lautensack (15.7.1881 – 10.1.1919). Wedekinds „geringster Schüler“. In: Schweiggert, Alfons; Macher, Hannes S. (Hg.): Autoren und Autorinnen in Bayern. 20. Jahrhundert. Bayerland Verlag, Dachau, S. 105f.
Selbmann, Rolf: Lautensack, Heinrich. In: Neue Deutsche Biographie 13 (1982), S. 730f., http://www.deutsche-biographie.de/pnd118570226.html, (09.01.2012).