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Geb.: 16. 8.1933 in Oelsnitz im Erzgebirge
© Literaturportal Bayern
Titel: Dr. phil. h.c.

Reiner Kunze

Als Sohn eines Bergarbeiters und einer Heimarbeiterin studiert Reiner Kunze bis 1955 Philosophie und Journalistik in Leipzig. Seine Tätigkeit als wissenschaftlicher Assistent an der Journalistischen Fakultät (1955-59) muss er aufgeben, nachdem ihn schwere politische Auseinandersetzungen an den Rand des Zusammenbruchs führen: „Das Jahr 1959 war in meinem Leben die Stunde Null.“ Kunze verlässt kurz vor der geplanten Promotion die Universität und arbeitet bis 1961 als Hilfsschlosser im Schwermaschinenbau. Zwischen 1960 und 1962 hält er sich wiederholt in der Tschechoslowakei auf und beginnt aus dem Tschechischen zu übersetzen und nachzudichten. Seine Gedichte und Übersetzungen werden zwar noch verlegt, doch schränkt man seine Publikationsmöglichkeiten in der DDR zunehmend ein.

Ein intensiver Briefkontakt besteht seit 1959 zu der deutsch-böhmischen Ärztin Elisabeth Littnerová, die er zwei Jahre später heiratet. Bis zur Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland im April 1977 lebt er in Greiz (Thüringen) als freiberuflicher Schriftsteller.

Als der Prosaband Die wunderbaren Jahre 1976 in der Bundesrepublik erscheint (Verfilmung 1978), wird Reiner Kunze im selben Jahr aus dem Schriftstellerverband der DDR ausgeschlossen (nach der Wende 1989 rückgängig gemacht). Kunze, der mit dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die ČSSR (1968) aus der SED ausgetreten ist, wird seit September 1968 vom Ministerium für Staatssicherheit beobachtet, drangsaliert und mit Ordnungsverfahren wegen Verstößen gegen das DDR-Urheberrechtsgesetz überzogen.

Fünf Monate nach der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann im November 1976 sieht Kunze sich gezwungen, die DDR zu verlassen. Am 13. April 1977 siedelt er mit seiner Familie in die Bundesrepublik über, wo er sich in Obernzell-Erlau bei Passau niederlässt.

Während seine frühen Veröffentlichungen noch von der „Dankbarkeit des Arbeiterkindes“ (Volker Strebel) geprägt sind, orientieren sich Kunzes poetische wie politische Einschätzungen zunehmend an der tschechischen Dichtung. Vor allem das Werk Jan Skácels wird Kunze in jahrzehntelanger Vermittlung in Deutschland bekannt machen.

Die Überzeugung, dass das Poetische verteidigt werden muss, ist Kunzes wichtigstes Anliegen in seiner dichterischen Emanzipationsgeschichte: Sein Werk steht für die Macht des sanften Wortes wie für die Angst der Machthaber vor einem Gedicht. Furchtlos stellt sich Kunze der politischen und kulturellen Realität der DDR in den Gedichtbänden widmungen (1963), sensible wege (1969) und zimmerlautstärke (1972) und verweist auf das Nachbarland Tschechoslowakei. Dabei ist ihm die bildhafte Selbstverständlichkeit der Sprache ebenso wichtig wie die politische Solidarsierung mit dem Prager Frühling. Indem Kunze auf den konkreten Wortwitz der Sprache vertraut und ihn in eine einfache Bildlichkeit einbettet, existiert Politisches nur noch als Poetisches.

Reiner Kunze nach seiner Autorenlesung in der Weidener Buchhandlung Hubert Schlegl am 27. Oktober 1977. Im Gespräch mit Studienrat Veit Wagner und dem Kepler-Gymnasiasten Steffen Ulbrich. Dahinter links Kulturjournalist Bernhard M. Baron und Kunsterzieher Arlan Birner (Mitte). © Bernhard M. Baron

Als ersten Gedichtband nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik veröffentlicht Reiner Kunze auf eigene hoffnung (1981). Neben neuen Lyrik- und Essaybänden  (eines jeden einziges leben, 1986; Das weiße Gedicht, 1989) legt er im Jahr 1990 unter dem Titel Deckname Lyrik eine Dokumentation mit Auszügen seiner in 25 Jahren aufgezeichneten „Stasi-Biographie“ vor. Darin enttarnt Kunze u.a. den Vorsitzenden der damaligen DDR-SPD, Ibrahim Böhme, als langjährigen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit.

Kunze weitet seine künstlerischen Themen weiter aus: In Steine und Lieder (1996) verarbeitet er einen Reiseaufenthalt in Namibia, in Der Kuß der Koi (2002) verdichtet er Prosa und eigene Fotos, in Donaumorgen unterhalb von Passau (2006) verbindet er die Naturbeobachtung mit seiner neuen zweiten Heimat. Immer wieder erscheinen auch Gedichte für Kinder (Wohin der Schlaf sich schlafen legt, 1991; Mensch im Wort, 2008; Was macht die Biene auf dem Meer, 2011). Ungebrochen bleibt seine Übersetzertätigkeit: Im Laufe von 50 Jahren sind Texte (vor allem Lyrik) von über 60 tschechischen Autorinnen und Autoren von ihm ins Deutsche übertragen worden.

Über Reiner Kunzes Lyrik resümiert der Literaturwissenschaftler Volker Strebel: „In zunehmend gereifter Form gelingt es Kunze, die Knappheit der Form mit äußerster Genauigkeit in der Wahrnehmung zu verdichten. Im Gedichtband lindennacht (Frankfurt 2007) belegt Kunze seine ungebrochene Meisterschaft im Verfahren der poetischen Sprache: ‚Die Aufgabe des Gedichts ist es zu sein. Seine Existenz selbst ist die Veränderung, die es für die Welt bedeutet.‘“

Kunze ist Mitglied mehrerer Akademien (u.a. München, Darmstadt, Mannheim). Für sein Werk, das in 30 Sprachen übersetzt worden ist, erhält er zahlreiche nationale und internationale Preise und Auszeichnungen, darunter den Übersetzerpreis des Tschechoslowakischen Schriftstellerverbandes (1968); den Deutschen Jugendliteraturpreis (1971); den Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (1973); den Georg-Trakl-Preis (1977); den Georg-Büchner-Preis (1977); den Bayerischen Filmpreis (1979); den Geschwister-Scholl-Preis (1981); den Eichendorff-Literaturpreis (1984); das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse (1984); den Bayerischen Verdienstorden (1988); den Kulturpreis Ostbayern (1989); die Ehrendoktorwürde der TU Dresden (1993); den Kulturpreis des Landkreises Passau (1995); den Weilheimer Literaturpreis (1997); den Europapreis für Poesie der Literaturgesellschaft KOV in Vršac, Serbien (1998); den Friedrich-Hölderlin-Preis (1999); den Hans-Sahl-Preis (2001); den Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst (2001); den Kunstpreis zur deutsch-tschechischen Verständigung (2002); den Ján-Smrek-Preis, Slowakei (2003); den Preis der Stiftung für abendländische Gesinnung (2004); den Preis der Weidener Literaturtage (2008); den Thüringer Verdienstorden (2008) sowie den „Memminger Freiheitspreis 1525“ (2009). 2015 wird Kunze mit dem Franz-Josef-Strauß-Preis der Münchner Hanns-Seidel-Stiftung ausgezeichnet.

Von 1975 bis 1992 ist Reiner Kunze Mitglied der Akademie der Künste, Berlin, die er aus Protest über die Vereinigung mit der Akademie der Künste der DDR wieder verlässt. Im August 1982 tritt er außerdem aus dem Verband Deutscher Schriftsteller (VS) aus, weil er mit der für ihn kommunistenfreundlichen Politik des damaligen Vorstands nicht einverstanden ist.

Kunze ist Ehrenmitglied des Ungarischen Schriftstellerverbands, des Collegium Europaeum Jenense an der Universität Jena, des Tschechischen P.E.N.-Zentrums und der „Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft zu Köthen/Anhalt – Vereinigung zur Pflege der deutschen Sprache“. 1988/89 hat er Gastdozenturen für Poetik an den Universitäten München und Würzburg inne.

2006 gründet er die „Reiner und Elisabeth Kunze-Stiftung“ mit dem Zweck, sein Haus mit Garten nach dem Tod der Stifter als (Ausstellungs-)„Stätte des Schönen und der geistigen Auseinandersetzung“ zu erhalten: Neben literarisch inspirierten Werken der Bildenden Künste sollen der Öffentlichkeit dort Briefe, Dokumente u.a.m. als Anschauungsmaterial zugänglich gemacht werden.

Verfasst von: Bayerische Staatsbibliothek

Sekundärliteratur:

Arbeitskreis Literatur in der Schule (Hg.) (1990): Reiner Kunzes Lesereise durch Schwaben und Oberbayern. Mit Beiträgen von Walter Flemmer, Wolfgang Frühwald, Werner Ross, Albert von Schirnding und Hans Zehetmair (Der Lesebogen). S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main.

Beintker, Niels (2010): Auf sensiblen Wegen. Reiner Kunzes poetische Vermessungen des Donautals. Bayerischer Rundfunk (Ms.).

Frühwald, Wolfgang (2013): „Kein Gedicht ist für jeden“. Zum Werk von Reiner Kunze. In: Literatur in Bayern 28, Nr. 114, S. 7-13.

Kunze, Reiner. In: Munzinger Online/Personen - Internationales Biographisches Archiv, URL: http://www.munzinger.de/document/00000013109, (15.08.2013).

Strebel, Volker (20122): Kunze, Reiner. In: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraums. Hg. von Wilhelm Kühlmann. 13 Bde. Walter de Gruyter GmbH & Co., Berlin u.a., Bd. 7, S. 135-137.

Wiedemann, Fritz (Hg.) (1993): Überall brennt ein schönes Licht. Literaten und Literatur aus Ostbayern. Passavia Verlag, Passau, S. 169-188.


Externe Links:

Literatur von Reiner Kunze im BVB

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Artikel bei Spiegel Online

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