Nikolaus Ellenbog
Im 16. Jahrhundert erlebt das Benediktinerkloster Ottobeuren (nach der ersten Blüte im 12. Jahrhundert unter den Äbten Rupert I. und Isingrim) eine zweite Blütezeit als ein Zentrum des süddeutschen Humanismus. Eine wichtige Rolle kommt dabei dem gelehrten Pater Nikolaus Ellenbog zu. Am 18. März 1481 wird er in Biberach geboren, seine Mutter ist die aus Ravensburg stammende Margaretha Weber, sein Vater Ulrich Ellenbog ist ein gebildeter Arzt und Verfasser mehrerer Pestschriften. Das Paar bekommt 12 Kinder, vier sterben bereits früh, die übrigen sind durch den Briefwechsel mit ihrem Bruder Nikolaus bekannt. Die Eltern vermitteln ihren Kindern eine tiefe Religiosität und Liebe zur Wissenschaft. Schon 1482 erfolgt der Umzug der Familie nach Memmingen.
Nikolaus Ellenbog besucht dort die angesehene Lateinschule und immatrikuliert sich 1497 an der Universität Heidelberg; in die Heidelberger Zeit fällt der Tod seines Vaters. 1501 geht er nach Krakau, er möchte „Erbe der väterlichen Kunst“ werden. Dieses Ziel führt ihn schließlich 1503 an die berühmte Medizinerhochschule in Montpellier. Ein Aufenthalt in einem Dominikanerinnenkloster während einer Reise durch Frankreich und eine schwere Erkrankung auf der Rückfahrt geben seinem Leben eine entscheidende Wendung. Nikolaus Ellenbog tritt am 23. Februar 1504 in das Kloster Ottobeuren ein, und wird am 15. März 1506 zum Priester geweiht. Dort findet er seine Bestimmung, was er in der Einladung zu seiner Primiz gegenüber seinem Bruder Johannes zum Ausdruck bringt:
Du wirst hier einen Ort finden, der den Musen liegt: zur Betrachtung stimmend, vom Tumult der Stadt frei. Du schaust ein Kloster, auf einer kleinen Höhe gebaut. Und das ist nicht Zufall, sondern Gottes Fügung. […] und du schaust einen anmutigen und gesunden Ort, schaust grünende Wiesen, klare, murmelnde Flüßchen, liebliche Quellen, Gärten prangend im Grün der Gräser und Bäume, und Fluren, reich an fruchtbarem Getreide. Du schaust einen Tempel. Mich nimmt der Ort in seiner Anmut so gefangen, daß ich nirgendwo in der Welt lieber sein möchte. (zit. n. Bigelmair 1956, S. 120f.)
Das Kloster verlässt Ellenbog nach seinem Eintritt kaum mehr, außer zu Dienstreisen, zum Besuch von Verwandten und 1525, als er sich für mehrere Monate in Isny aufhalten muss, während das Kloster bei den Bauernaufständen verwüstet wird.
1508 wird mit Leonhard Wiedemann ein Abt gewählt, der die wissenschaftlichen Bestrebungen Ellenbogs in entscheidender Weise fördert und das Kloster in eine bessere Zeit führt. Ellenbog wird 1508 zum Prior gewählt, auf sein dringendes Bitten hin 1512 wieder des Amtes entbunden, dafür aber zum Ökonomen bestimmt. Erst 1522 kann er dieses Amt, das die Verwaltung der Güter bedeutet, wieder ablegen. Einige Zeit wirkt er als Novizenmeister. Nikolaus Ellenbog ist, wie in dieser Zeit üblich, auf vielen Wissenschaftsgebieten tätig, als Mathematiker und Astronom, als Philologe, Geschichtsschreiber und Theologe. Er leitet die 1509 errichtete Klosterdruckerei und sorgt für die Bereicherung der Klosterbibliothek.
Ellenbog verfasst lateinische Hymnen, Gedichte zu Ehren der Gottesmutter, des Ordensgründers Benedikt und anderer Heiliger, schreibt eine bis 1466 reichende Geschichte des Klosters und ein Büchlein über das Martyrium der Söhne der Heiligen Felicitas Passio septem fratrum filiorum S. Felicitatis, das 1511 in der hauseigenen Druckerei hergestellt wird. Im Album Ottoburanum des Ordenshistorikers Pirmin Lindner findet sich eine Auflistung seiner zahlreichen Schriften (1903, Nr. 468).
Ellenbog pflegt – ganz unter dem Einfluss seiner humanistischen Bildung – einen regen Gedankenaustausch in Form von (überwiegend in Latein abgefassten) Briefen. Er korrespondiert mit Geschwistern und Verwandten, Angehörigen seines Klosters und anderer Klöster. Vor allem aber steht er mit vielen Gelehrten seiner Zeit wie Erasmus von Rotterdam, Johannes Reuchlin, Konrad Peutinger, Johannes Eck, Jakobus Locher Philomusus, Johann Altenstaig und dem Memminger Stadtarzt Jakob Stoppel in schriftlichem Kontakt. Von seinen Briefen stellt er Abschriften her und lässt die Briefe in chronologischer Reihenfolge je hundert – die Hundertzahl ist ein Symbol der Vollendung – zu einem Buch zusammenfassen. Es entstehen neun Bücher in vier Bänden. Die insgesamt 891 Schriftstücke stammen aus der Zeit vom 24. Mai 1504 bis 24. Mai 1543. Darunter sind auch Briefe, die an ihn gerichtet sind und deren Eintrag ihm wertvoll erscheint. Seine Briefsammlung stellt eine bedeutende Quelle für die Kultur- und Wissenschaftsgeschichte des frühen 16. Jahrhunderts dar.
Die Reformation lehnt Ellenbog entschieden ab, ohne die Reformbedürftigkeit der Kirche zu verkennen. Am schärfsten bringt er seine Haltung in seinem 1539 entstandenen Tractatus (tertius) Lutheranorum errores et dolos peculiarius describens (Cod. II 302 Ottobeuren) zum Ausdruck. Die in Ottobeuren gegründete, wenn auch kurzlebige Universität der schwäbischen Benediktinerabteien begrüßt er begeistert. Ellenbogs letzte Lebensjahre sind geprägt von einem schweren Gichtleiden, das dazu führt, dass er für die Niederschrift seiner späten Traktate auf die Unterstützung eines Amanuensis (Schreibgehilfen) angewiesen ist.
Am 6. Juni 1543 stirbt Nikolaus Ellenbog. Die Klosterchronisten Sebastian Röher, Gallus Sandholzer, Basil Miller und Maurus Feyerabend loben seinen exemplarischen Lebenswandel und seinen Eifer in der Pflege der Wissenschaften, Reuchlin reiht ihn unter die „Clari viri“ seiner Zeit ein und für Hans Pörnbacher zählt Nikolaus Ellenbog zu den großen schwäbischen Humanisten.
Sekundärliteratur:
Bigelmair, Andreas; Zoepfl, Friedrich (Hg.) (1938): Nikolaus Ellenbog, Briefwechsel Bd. 1 und 2. Münster.
Bigelmair, Andreas (1956): Nikolaus Ellenbog, in: Lebensbilder aus dem Bayerischen Schwaben. Bd. 5. München, S. 112-139.
Feyerabend, Maurus: Ottenbeurer Jahrbücher.
Hauke, Hermann (1974): Die mittelalterlichen Handschriften in der Abtei Ottobeuren, Kurzverzeichnis, Wiesbaden. URL: https://handschriftenportal.de/search?q=Ellenbog+Nicolaus&hl=true, (12.11.2024).
Lindner, Pirmin (1903): Album Ottoburanum. In: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg, I. Teil, 30. Jg., S. 112-117, Nr. 468.
Mader, Ernst T. (1994): Literarische Landschaft bayerisches Allgäu, S. 53f, 102f.
Neudert, Franz (1986): An der Schwelle der Neuzeit. In: Kolb, Aegidius (Hg.): Ottobeuren. Schicksal einer schwäbischen Reichsabtei. Augsburg, S. 87ff.
Pörnbacher, Hans (2002). Schwäbische Literaturgeschichte, Kap. Nicolaus Ellenbog und Ottobeuren, S. 87-91.
Ders. (2008²): Zur Pflege der schönen Literatur in den Klöstern Bayerisch Schwabens. In: Schiedermair, Werner (Hg.): Klosterland Bayerisch Schwaben, S. 95f.
Pörnbacher, Hans; Hubensteiner, Benno (Hg.) (1978): Bayerische Bibliothek. Bd. 1 Mittelalter und Humanismus, S. 1073.
Sontheimer, Martin (1922²): Die aus dem Kapitel Ottobeuren hervorgegangene Geistlichkeit, S. 252-267.
Zoepfl, Friedrich: Ellenbog, Nikolaus. In: Neue Deutsche Biographie 4 (1959), S. 454. URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd100964826.html#ndbcontent, (12.11.2024).
Briefwechsel von Nikolaus Ellenbog. URL: https://www.ottobeuren-macht-geschichte.de/items/show/410, (12.11.2024).
Externe Links:
Im 16. Jahrhundert erlebt das Benediktinerkloster Ottobeuren (nach der ersten Blüte im 12. Jahrhundert unter den Äbten Rupert I. und Isingrim) eine zweite Blütezeit als ein Zentrum des süddeutschen Humanismus. Eine wichtige Rolle kommt dabei dem gelehrten Pater Nikolaus Ellenbog zu. Am 18. März 1481 wird er in Biberach geboren, seine Mutter ist die aus Ravensburg stammende Margaretha Weber, sein Vater Ulrich Ellenbog ist ein gebildeter Arzt und Verfasser mehrerer Pestschriften. Das Paar bekommt 12 Kinder, vier sterben bereits früh, die übrigen sind durch den Briefwechsel mit ihrem Bruder Nikolaus bekannt. Die Eltern vermitteln ihren Kindern eine tiefe Religiosität und Liebe zur Wissenschaft. Schon 1482 erfolgt der Umzug der Familie nach Memmingen.
Nikolaus Ellenbog besucht dort die angesehene Lateinschule und immatrikuliert sich 1497 an der Universität Heidelberg; in die Heidelberger Zeit fällt der Tod seines Vaters. 1501 geht er nach Krakau, er möchte „Erbe der väterlichen Kunst“ werden. Dieses Ziel führt ihn schließlich 1503 an die berühmte Medizinerhochschule in Montpellier. Ein Aufenthalt in einem Dominikanerinnenkloster während einer Reise durch Frankreich und eine schwere Erkrankung auf der Rückfahrt geben seinem Leben eine entscheidende Wendung. Nikolaus Ellenbog tritt am 23. Februar 1504 in das Kloster Ottobeuren ein, und wird am 15. März 1506 zum Priester geweiht. Dort findet er seine Bestimmung, was er in der Einladung zu seiner Primiz gegenüber seinem Bruder Johannes zum Ausdruck bringt:
Du wirst hier einen Ort finden, der den Musen liegt: zur Betrachtung stimmend, vom Tumult der Stadt frei. Du schaust ein Kloster, auf einer kleinen Höhe gebaut. Und das ist nicht Zufall, sondern Gottes Fügung. […] und du schaust einen anmutigen und gesunden Ort, schaust grünende Wiesen, klare, murmelnde Flüßchen, liebliche Quellen, Gärten prangend im Grün der Gräser und Bäume, und Fluren, reich an fruchtbarem Getreide. Du schaust einen Tempel. Mich nimmt der Ort in seiner Anmut so gefangen, daß ich nirgendwo in der Welt lieber sein möchte. (zit. n. Bigelmair 1956, S. 120f.)
Das Kloster verlässt Ellenbog nach seinem Eintritt kaum mehr, außer zu Dienstreisen, zum Besuch von Verwandten und 1525, als er sich für mehrere Monate in Isny aufhalten muss, während das Kloster bei den Bauernaufständen verwüstet wird.
1508 wird mit Leonhard Wiedemann ein Abt gewählt, der die wissenschaftlichen Bestrebungen Ellenbogs in entscheidender Weise fördert und das Kloster in eine bessere Zeit führt. Ellenbog wird 1508 zum Prior gewählt, auf sein dringendes Bitten hin 1512 wieder des Amtes entbunden, dafür aber zum Ökonomen bestimmt. Erst 1522 kann er dieses Amt, das die Verwaltung der Güter bedeutet, wieder ablegen. Einige Zeit wirkt er als Novizenmeister. Nikolaus Ellenbog ist, wie in dieser Zeit üblich, auf vielen Wissenschaftsgebieten tätig, als Mathematiker und Astronom, als Philologe, Geschichtsschreiber und Theologe. Er leitet die 1509 errichtete Klosterdruckerei und sorgt für die Bereicherung der Klosterbibliothek.
Ellenbog verfasst lateinische Hymnen, Gedichte zu Ehren der Gottesmutter, des Ordensgründers Benedikt und anderer Heiliger, schreibt eine bis 1466 reichende Geschichte des Klosters und ein Büchlein über das Martyrium der Söhne der Heiligen Felicitas Passio septem fratrum filiorum S. Felicitatis, das 1511 in der hauseigenen Druckerei hergestellt wird. Im Album Ottoburanum des Ordenshistorikers Pirmin Lindner findet sich eine Auflistung seiner zahlreichen Schriften (1903, Nr. 468).
Ellenbog pflegt – ganz unter dem Einfluss seiner humanistischen Bildung – einen regen Gedankenaustausch in Form von (überwiegend in Latein abgefassten) Briefen. Er korrespondiert mit Geschwistern und Verwandten, Angehörigen seines Klosters und anderer Klöster. Vor allem aber steht er mit vielen Gelehrten seiner Zeit wie Erasmus von Rotterdam, Johannes Reuchlin, Konrad Peutinger, Johannes Eck, Jakobus Locher Philomusus, Johann Altenstaig und dem Memminger Stadtarzt Jakob Stoppel in schriftlichem Kontakt. Von seinen Briefen stellt er Abschriften her und lässt die Briefe in chronologischer Reihenfolge je hundert – die Hundertzahl ist ein Symbol der Vollendung – zu einem Buch zusammenfassen. Es entstehen neun Bücher in vier Bänden. Die insgesamt 891 Schriftstücke stammen aus der Zeit vom 24. Mai 1504 bis 24. Mai 1543. Darunter sind auch Briefe, die an ihn gerichtet sind und deren Eintrag ihm wertvoll erscheint. Seine Briefsammlung stellt eine bedeutende Quelle für die Kultur- und Wissenschaftsgeschichte des frühen 16. Jahrhunderts dar.
Die Reformation lehnt Ellenbog entschieden ab, ohne die Reformbedürftigkeit der Kirche zu verkennen. Am schärfsten bringt er seine Haltung in seinem 1539 entstandenen Tractatus (tertius) Lutheranorum errores et dolos peculiarius describens (Cod. II 302 Ottobeuren) zum Ausdruck. Die in Ottobeuren gegründete, wenn auch kurzlebige Universität der schwäbischen Benediktinerabteien begrüßt er begeistert. Ellenbogs letzte Lebensjahre sind geprägt von einem schweren Gichtleiden, das dazu führt, dass er für die Niederschrift seiner späten Traktate auf die Unterstützung eines Amanuensis (Schreibgehilfen) angewiesen ist.
Am 6. Juni 1543 stirbt Nikolaus Ellenbog. Die Klosterchronisten Sebastian Röher, Gallus Sandholzer, Basil Miller und Maurus Feyerabend loben seinen exemplarischen Lebenswandel und seinen Eifer in der Pflege der Wissenschaften, Reuchlin reiht ihn unter die „Clari viri“ seiner Zeit ein und für Hans Pörnbacher zählt Nikolaus Ellenbog zu den großen schwäbischen Humanisten.
Bigelmair, Andreas; Zoepfl, Friedrich (Hg.) (1938): Nikolaus Ellenbog, Briefwechsel Bd. 1 und 2. Münster.
Bigelmair, Andreas (1956): Nikolaus Ellenbog, in: Lebensbilder aus dem Bayerischen Schwaben. Bd. 5. München, S. 112-139.
Feyerabend, Maurus: Ottenbeurer Jahrbücher.
Hauke, Hermann (1974): Die mittelalterlichen Handschriften in der Abtei Ottobeuren, Kurzverzeichnis, Wiesbaden. URL: https://handschriftenportal.de/search?q=Ellenbog+Nicolaus&hl=true, (12.11.2024).
Lindner, Pirmin (1903): Album Ottoburanum. In: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg, I. Teil, 30. Jg., S. 112-117, Nr. 468.
Mader, Ernst T. (1994): Literarische Landschaft bayerisches Allgäu, S. 53f, 102f.
Neudert, Franz (1986): An der Schwelle der Neuzeit. In: Kolb, Aegidius (Hg.): Ottobeuren. Schicksal einer schwäbischen Reichsabtei. Augsburg, S. 87ff.
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Ders. (2008²): Zur Pflege der schönen Literatur in den Klöstern Bayerisch Schwabens. In: Schiedermair, Werner (Hg.): Klosterland Bayerisch Schwaben, S. 95f.
Pörnbacher, Hans; Hubensteiner, Benno (Hg.) (1978): Bayerische Bibliothek. Bd. 1 Mittelalter und Humanismus, S. 1073.
Sontheimer, Martin (1922²): Die aus dem Kapitel Ottobeuren hervorgegangene Geistlichkeit, S. 252-267.
Zoepfl, Friedrich: Ellenbog, Nikolaus. In: Neue Deutsche Biographie 4 (1959), S. 454. URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd100964826.html#ndbcontent, (12.11.2024).
Briefwechsel von Nikolaus Ellenbog. URL: https://www.ottobeuren-macht-geschichte.de/items/show/410, (12.11.2024).