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Geb.: 6. 2.1977 in Traunstein
© Joachim Unseld
Titel: Dr. phil.

Thomas von Steinaecker

Thomas von Steinaecker wird 1977 in Traunstein geboren und wächst in Oberviechtach auf. Er studiert Germanistik in München und Cincinnati (USA) und promoviert 2006 über literarische Fototexte von Rolf Dieter Brinkmann, Alexander Kluge und W. G. Sebald. Noch im selben Jahr zieht er von München nach Augsburg, wo er seitdem auch lebt.

Zusammen mit den Autoren Jens Petersen und David Hoehn nimmt Steinaecker 2001/02 am „Manuskriptum“-Kurs der LMU München, 2005/06 am „textwerk“-Seminar des Literaturhauses München teil. 2003 wird er zum Open Mike in Berlin, 2006 zum 10. Klagenfurter Literaturkurs eingeladen. 2013/14 hat er die Poetikdozentur der Hochschule RheinMain in Wiesbaden inne. Von 2014 bis 2018 sitzt er in der Jury des Comicbuchpreis der Berthold-Leibinger-Stiftung. 

Literarische Veröffentlichungen erscheinen bereits Ende der 1990er-Jahre in Anthologien und Zeitschriften (Perspektive, außer.dem, Sprache im technischen Zeitalter u.a.), die Erzählung „Götz“ (2004) in einem Heft des Hamburger Textem Verlags. Während in seinen frühen Texten ausschließlich der avantgardistische Ansatz überwiegt, wozu ihn nicht zuletzt auch der experimentelle Einfluss des Komponisten Karlheinz Stockhausen (1928-2007) beflügelt („Meine Lehrzeit“), tritt bis zum Erscheinen seines Romandebüts Wallner beginnt zu fliegen (2007) das Formalistische mehr und mehr in den Hintergrund in der Absicht, das Avantgardistische „erzählerisch lesbar“ zu machen. Neben Romanen und Erzählungen verfasst Steinaecker Radio-Features, Hörspiele (u.a. Meine Tonbänder sind mein Widerstand, 2007; Herzrhythmusgeräusche, 2010; Die Entstehung des Hörspiels „Umbach muss weg“, 2012; Die Astronautin, 2018), Dokumentarfilme (u.a. Karlheinz Stockhausen. Musik für eine neue Welt, 2008/09; Reise zu Tolstoi, 2010; John Cage. Alles ist möglich, 2012 sowie die Mehrteiler Bewegte Republik Deutschland, 2014 oder Von Dada bis Gaga, 2015) und journalistische Arbeiten.

Mit seinem Debütroman wird Thomas von Steinaecker erstmals einem breiteren Publikum bekannt. Wallner beginnt zu fliegen erhält neben dem Bayerischen Kunstförderpreis den Aspekte-Literaturpreis, kommt auf den 3. Platz der SWR-Bestenliste und erreicht die Shortlist des Deutschen Buchpreises.

Der Roman setzt ein mit dem Tod Günter Wallners bei einem Zugunglück, fährt fort mit dessen Sohn Stefan, der nach dem Tod des Vaters immer mehr den Bezug zur Realität verliert, und geht über in die Beschäftigung mit der Familiengeschichte durch dessen 18-jährige Tochter Wendy. Alle drei Figuren bewegen sich in ihrer jeweiligen – der Wirklichkeit entrückten – Parallelwelt. Mit jedem Kapitel ändern sich auch Stil und Sprache des Romans, „der zunächst wie ein an Steinaeckers großes Vorbild Ernst-Wilhelm Händler erinnernder Wirtschaftsroman beginnt und im zweiten Teil zu einer Satire der Pop- und Fernsehwelt und ihrer sprachlichen Eigentümlichkeiten wird“ (Wolfgang Reichmann).

Im zweiten Roman Geister (2008) setzt Steinaecker ähnliche Themen, wie gescheiterte Lebensläufe, Gedanken- und Parallelwelten, fort und kombiniert sie mit ihren medialen Wirklichkeiten (Fernsehen, Film, Fotografie, Comic). Der Protagonist Jürgen Kämmerer, der anfangs noch ein „imaginäres Gespräch“ mit seiner nie kennengelernten, vermutlich ermordeten Schwester Ulrike erträumt, flüchtet später als Angestellter in einem Wellness Center am Chiemsee in die alternativen Traumwelten Indiens und taucht ab in die bunte Parallelwelt der Comic-Strips als gezeichneter Doppelgänger seiner selbst. Die Comic-Welt wird auch künstlerisch für den Leser erfahrbar gemacht durch eigens für das Buch gestaltete Illustrationen der Münchner Künstlerin Daniela Kohl.

Der dritte Roman Schutzgebiet (2009) ist eine Mischung aus Abenteuerroman und historischem Roman im Stile Thomas Pynchons: Kaum wird eine geschichtliche oder literarisch-intertextuelle Schicht freigelegt, wird diese gebrochen, erweitert, kontrastiert, collagiert durch weitere Erzählebenen, Anspielungen oder Zitate. Erzählt wird die Geschichte der Festung Benēsi in der fiktiven deutschen Kolonie Tola in Afrika vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges in Form der „versteckten“ literarischen Montage. So begegnen einem u.a. Zitate aus Heinrich Manns Der Untertan, das Luftschiff Albatros aus Jules Vernes Robur der Eroberer, der Hund Buck aus Jack Londons Ruf der Wildnis oder die Figur Kleinschmidt aus Uwe Timms Morenga.

Steinaeckers vierter Roman Das Jahr, in dem ich aufhörte, mir Sorgen zu machen, und anfing zu träumen (2012) wiederum bewegt sich im Genre des „heiteren, gestylten Angestelltenromans aus dem Herzen unserer Gegenwart“ (Iris Radisch). Renate Meißner, eine 42-jährige Versicherungsagentin und Ich-Erzählerin des Romans, wird aus dem tristen Büroalltag ihrer Münchner Versicherung in die fantastische Gegenwelt eines russischen Vergnügungsparkimperiums gerissen. Sie fliegt nach Russland zur Geschäftsfrau und potenziellen Premium-Kundin Sofja Wasserkind, um in ihr ihre vermeintliche, vor Jahrzehnten verstorbene Großmutter wiederzutreffen. Der Roman endet interpretatorisch offen mit zehn leeren paginierten Seiten.

Für sein Werk wird Thomas von Steinaecker mehrfach ausgezeichnet. Neben den bereits erwähnten Preisen erhält er u.a. das Autorenwerkstatt-Stipendium des Literarischen Colloquiums Berlin (2003/04), ein Stipendium des Deutschen Literaturfonds für den Roman Schutzgebiet (2007/08), den 2. Platz beim Hörspielpreis der Kriegsblinden (2008), das New-York-Stipendium des Deutschen Literaturfonds (2010), den Preis der Autoren 2010 (für das Hörspiel Herzrhythmusgeräusche), den Kunstförderpreis der Stadt Augsburg (2011), den Literaturpreis der Stahlstiftung Eisenhüttenstadt (2011) sowie jeweils eine Nominierung für den Preis der Leipziger Buchmesse (2012) und den Alfred Döblin-Preis (2013). Weiterhin erhält er 2015 den Kulturpreis Bayern und 2017 den Carl-Amery-Literaturpreis.

Für sein nächstes Romanprojekt Heinz (Arbeitstitel) erhält Steinaecker das Arbeitsstipendium für Schriftstellerinnen und Schriftsteller des Freistaats Bayern. Laut Jury suche der Autor in seinem dystopischen Projekt erneut Antworten auf die Frage, was den Menschen ausmache und unter welchen Umständen er aufhöre, Mensch zu sein. Virtuos werde durch die Figur des Autors Fähigkeit bzw. Unfähigkeit zu Menschlichkeit und Gemeinschaft imaginiert. Der Roman erscheint 2016 unter dem Titel Die Verteidigung des Paradises und wird für den Deutschen Buchpreis nominiert.

Im Herbst 2015 erscheint der Webcomic Der Sommer ihres Lebens. Für das Projekt hat sich von Steinaecker mit der Illustratorin und Graphic Novel-Autorin Barbara Yelin zusammengetan und eine Geschichte mit 15 Episoden konzipiert, geschrieben und gezeichnet. Der Sommer ihres Lebens erzählt von Gerda, einer älteren Dame, die sich auf die Suche nach den besonderen Momenten in ihrer Vergangenheit und der Antwort auf die Frage begibt: Was ist das eigentlich, ein geglücktes Leben? 2017 erscheint das Projekt in einer erweiterten Fassung als gedrucktes Buch.

Ebenso 2015 fungiert Thomas von Steinaecker als Initiator und Mitautor des „Mosaik-Romans“ Zwei Mädchen im Krieg, ein Internetprojekt des S. Fischer Verlags, an dem insgesamt neun Autoren mitwirken. Der Roman thematisiert die reale Geschichte zweier radikalisierter österreichischer Jugendlicher, die sich dem IS anschließen.

2018 ruft von Steinaecker in Zusammenarbeit mit der Universität Augsburg und dem Sensemble Theater die „Augsburger Gespräche zu Literatur und Engagement“ als Beitrag zum Kulturprogramm des Augsburger Hohen Friedensfestes ins Leben. Die interdisziplinäre Reihe besteht aus Lesungen, Diskussionen und Aktionen im öffentlichen Raum und lädt im ersten Jahr Künstler*innen und Autor*innen wie Georg KleinJonas LüscherSharon Dodua Otoo, u.a. ein.

2021 veröffentlicht von Steinaecker Ende offen – Das Buch der gescheiterten Kunstwerke, eine Zusammenstellung von Essays, die die Geschichte unvollendeter, fragmentierter oder nie realisierter Kunstwerke wie Stanley Kubricks Filmvorhaben zu Napoleon, David Foster Wallaces Der bleiche König oder Robert Musils Mann ohne Eigenschaften thematisieren.

2021/22 dreht der Autor den Porträtfilm „Radical Dreamer“, eine dokumentarische Annäherung an den Regisseur Werner Herzog. Der Film begleitet den gebürtigen Münchner von Los Angeles über Lanzarote bis in seine bayerische Heimat.

2022 erscheint von Steinaeckers zweite Graphic Novel Stockhausen – Der Mann, der vom Sirius kam, diesmal in Zusammenarbeit mit dem Illustratoren David von Bassewitz. Das Werk erzählt die Geschichte des Komponisten und Pioniers elektronischer Musik Karlheinz Stockhausen.

Verfasst von: Bayerische Staatsbibliothek / Wolfgang Reichmann

Sekundärliteratur:

Dobler, Thomas (2012): Mit Oberviechtacher Wurzeln. Schriftsteller Thomas von Steinaecker lebt zehn Jahre im Landkreis Schwandorf. In: Der neue Tag (Weiden), Schwandorf-Lokales, 12. Mai.

Reichmann, Wolfgang (2013): Steinaecker, Thomas von. In: Munzinger Online/KLG - Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, URL: http://www.munzinger.de/document/16000005005, (28.10.2014).


Externe Links:

Literatur von Thomas von Steinaecker im BVB

Literatur über Thomas von Steinaecker im BVB

Interview

Interview II

Thomas von Steinaecker beim Literaturport

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