Info
Geb.: 10. 1.1903 in München
Gest.: 3.12.1972 in Reichenau
Foto: Bayerische Staatsbibliothek, Nachlass
Namensvarianten: Ilse Maria Schneider-Lengyel; Markus Johannes Heide, Barbara Lutz (Pseud.)

Ilse Schneider-Lengyel

Ilse Maria Schneider-Lengyel wird 1903 als Tochter des Oberförstermeisters Dr. Felix Schneider und seiner Frau Anna, geb. von Koch, in München geboren. Sie wächst in einem protestantischen Haushalt auf, bis sie für den Besuch eines privaten Internats nach Augsburg zieht, wo sie bis 1923 Schülerin ist.

In den folgenden vier Jahren folgt sie unterschiedlichen Bildungswegen. Zunächst erhält sie eine Ausbildung an der Kunstakademie Grande Chaumière in Paris. Zurück in München nimmt sie an Vorlesungen im Fach Kunstgeschichte teil und entdeckt die Fotografie als Medium, danach ist sie in Berlin, wo sie Vorlesungen in Ethnologie besucht. Sie wird Teil der Bauhaus-Gruppe und erlernt Fotografie bei László Moholy-Nagy. 1933 heiratet sie den ungarisch-jüdischen Maler László Lengyel. Noch davor eröffnet sie ein Studio für Gebrauchsgraphik in München.

1934 wird ihr Bildband Die Welt der Masken im Piper Verlag veröffentlicht. Er enthält einen Essay, Fotografien und mehrsprachige Begleitkommentare. Die Bilder sind nach Regionen geordnet, wie „Afrika“, „Indien und Indonesien“ und „Deutsche Alpenländer“.

Im selben Jahr wandert Schneider-Lengyel im Zuge der Machtübernahme Hitlers mit ihrem Mann und Schwager nach Paris aus, wo sie den Lebensunterhalt durch schriftstellerische und fotografische Tätigkeiten bestreitet. Bis 1936 veröffentlicht in Deutschland noch zwei Bildbände (Das Gesicht des deutschen Mittelalters, 1935, und Griechische Terrakoten, 1936). In Frankreich gewinnt sie 1937 den Fotowettbewerb der Union nationale des Sociétés photographiques de France, in dessen Rahmen ihre Bilder in einer Ausstellung gezeigt werden. Diese erscheinen auch in der Kunstzeitschrift Verve. Schneider-Lengyel unternimmt weiterhin Fotoreisen. Viele davon führen sie nach Italien, teilweise begleitet von dem ins Exil gezogenen Kronprinzen Rupprecht von Bayern.

Ab 1940 sitzt sie mit ihrem Mann im besetzten Paris fest; in dieser Zeit wendet sie sich verstärkt der Lyrik zu. In ihrem Nachlass finden sich verschiedene Gruppen, z.B. „Gedichte, München und Bannwaldsee 1942“, „Poesie, Paris 1943“ oder, mit selbst gemalten Titelblatt, „Capriole. Phantastische Verse. Ein surrealistisches Brevier“. Die Gedichte reichen von Naturlyrik bis zum politischen Widerstand gegen Hitler oder üben Kritik am Katholizismus. Nach Ende der Besatzung schreibt Schneider-Lengyel auch surreale Gedichte, kurze Prosastücke sowie Feuilletons für die französische und deutschsprachige Presse.

So erscheinen ab 1947 immer wieder Beiträge in der Süddeutschen Zeitung, in Prisma (Magazin für Kunst und Kultur) sowie Der Ruf – Unabhängige Blätter der jungen Generation. Nachdem Alfred Andersch und Hans Werner Richter als Chefredakteure von der amerikanischen Besatzungsmacht entlassen werden, planen sie eine neue Zeitschrift u.d.T. Der Skorpion, für die Schneider-Lengyel Vermittlerin in Frankreich werden soll.

Schneider-Lengyel schlägt vor, sich zur weiteren Planung der Zeitschrift in ihrem Haus am Bannwaldsee zu treffen. Das Treffen am 6. und 7. September 1947 gilt zugleich als Gründungstreffen der „Gruppe 47“, an dem Gäste wie Hans Werner Richter, Freia von Wühlisch, Walter Kolbenhoff und Wolfgang Bächler teilnehmen. Nach Besprechungen zum Stand des Skorpions werden Lesungen veranstaltet. Schneider-Lengyel kümmert sich um die Verpflegung der Anwesenden, liest am zweiten Abend selbst vor, vermutlich aus ihrem Gedichtzyklus Sorge um Gott. Ihre surreale Lyrik wird von den Zuhörenden nicht allzu positiv aufgenommen. Ihre Rolle als Schriftstellerin wird von Richter später sogar ignoriert; er drängt sie in die exklusive Rolle der Gastgeberin und Versorgerin, obwohl sie die einzige Autorin ist, die in der Anfangszeit der Gruppe 47 immer wieder an Lesungen und Diskussionen teilnimmt. Im November 1947 erscheint die erste und einzige Ausgabe von Der Skorpion, die Richter auf eigene Kosten in kleiner Auflage drucken lässt. Darin enthalten sind zwei Beiträge von Schneider-Lengyel über Jean-Paul Sartre und Paul Valéry. Beim dritten Treffen am 17./18. September 1948 in Altenbeuren liest sie apokalyptische Texte vor. Danach nimmt sie noch an Treffen in Markbreit (April 1949) und Inzigkofen (Mai 1950) teil.

Trotz Ablehnung der Gruppe 47 arbeitet die Autorin weiterhin an literarischen Texten. 1949 soll ihr Lyrikband Spielplatz und Wüste erscheinen. 1952 erscheint stattdessen ihr Lyrikband september-phase bei studio frankfurt von Alfred Andersch, der ihre Gedichte beim Treffen der Gruppe 47 gehört hat. Der Klappentext beschreibt den Band folgendermaßen: „Das geheimnis ihrer überraschenden schönheit ist magische stille: in ihr wird – endlich – der wahre surrealismus zum deutschen sprachereignis“. Ziel der Lyrikerin ist es, den rein zweckgemäßen Gebrauch von Sprache aufzubrechen und ihr eine neue Kraft zu verleihen. Der Band enthält zudem Fotografien, die mit ethnologischen Assoziationen in den Gedichten verbunden sind. Darüber hinaus sammelt Schneider-Lengyel in Berlin „orale Literatur“ indigener Völker, Kochrezepte und ihre kulturelle Bedeutung sowie indigene Traumerzählungen. Im Nachlass findet sich das Manuskript Totem und Trommel. Dokumente des Geistes der Tropen. Zauber-Riten und Geisterbeschwörungen in der Lyrik der Exotischen Völker, das einen einleitenden Essay der Autorin sowie 162 Gedichte geordnet nach Regionen enthält. Die Gedichte sind u.a. mithilfe von Aufzeichnungen von Missionar*innen ins Deutsche übertragen. Der Band wird nie veröffentlicht, kann aber als Vorläufer der Ethnopoesie der 1970er-Jahre betrachtet werden.

In den 1950er-Jahren veröffentlicht Schneider-Lengyel bei fragmente von Reiner Maria Gerhardt und ist Fotografin für Bildbände. 1953 lässt sie sich von ihrem Mann scheiden. Schneider-Lengyel versucht, Kontakt mit Autor*innen außerhalb der Gruppe 47 aufzunehmen und findet Bewunderung an Arno Schmidt. Zwischen den beiden entsteht ein Briefwechsel.

Mit Bundestagsbeschluss vom 25. März 1958, die Bundeswehr mit Atomwaffen auszustatten, erwägt Schneider-Lengyel erneut auszuwandern. Ihre Haltung gegenüber Atomwaffen wird davor schon in dem unveröffentlichten Manuskript Hier Welle Nullpunkt. Achtung Stickstoff. Ein Atomdrama deutlich, das spätestens 1957 fertiggestellt ist. Mythische Gestalten dienen darin als Figuren, die Protagonist*innen sind Gott, Jesus und Maria Magdalena. Das Stück ist angelehnt an die Rituale indigener Völker, handelt aber im modernen Setting von einer Atombombe, die am Ende des Stücks einschlägt. Davor erheben die Figuren Anklage gegen Gott, der die Verantwortung an Jesus weitergibt. Der wiederum sagt sich von ihm los und solidarisiert sich mit den Ankläger*innen. Das Schlusswort behält Maria Magdalena, die Hoffnung verkörpert und dazu auffordert, sich dem Diesseits (!) zuzuwenden.

Schneider-Lengyel, in ihrer Heimat aufgrund exzentrischer Gewohnheiten bekannt als die „Hex' vom Bannwaldsee“ (Füssener Zeitung), hat zunehmend Probleme mit der Isolation und finanziellen Situation. Sie eröffnet einen Campingplatz auf ihrem Grundstück am Bannwaldsee, muss aber 1958 den See und ihr Grundstück verkaufen. Vom 26. bis 29. Mai 1960 nimmt sie ein letztes Mal an einem Treffen der Gruppe 47 in Ulm teil. Dabei setzt sie sich für die Publikation von Werken ihres 1967 verstorbenen Ex-Mannes ein.

Ihre letzten literarischen Arbeiten im Nachlass sind Die Schöpfung ist ein Rauschzustand – Mythen des 20. Jahrhunderts und der Roman Der Gartenzwerg. Die Schöpfung ist ein Rauschzustand stammt aus dem Jahr 1964 und ist ein Band mit 24 Gedichten, die inspiriert sind durch allerhand Sagen, Mythen etc. Die Form der Gedichte reicht von sehr kurzen Texten bis hin zu Balladen. In ihnen wird ein recht negatives Bild des 20. Jahrhunderts entworfen. Der Gartenzwerg aus dem Jahr 1956 erzählt in der ersten Person von der Reise des Gartenzwergs Bällchen, der um seine Freiheit ringt, zu einem Pygmäenvolk in Afrika reist und schließlich, beim Versuch einer Anklage wegen 15 Verbrechen zu entgehen, auf einem Stern im Weltall landet. Er schafft es, zurück zur Erde zu gelangen, stirbt aber an atomarer Verstrahlung. Der Text ist geprägt von Brüchen in der Erzähltechnik, dem Setting und der Form.

Am 19. Februar 1969 wird Ilse Schneider-Lengyel verwirrt und verwahrlost in Konstanz aufgefunden und ins dortige Zentrum für Psychiatrie in Reichenau eingeliefert, wo man ihr eine schwere Zerebralsklerose mit Krampfanfällen diagnostiziert. Sie lebt dort bis zu ihrem Tod am 3. Dezember 1972.

Verfasst von: Bayerische Staatsbibliothek / Johanna Hadyk

Sekundärliteratur:

Arns, Alfons Maria; Drummer, Heike (2017): „Ich bin als Rebell geboren“. Ilse Schneider Lengyel – Fotografin, Kunsthistorikerin, Ethnologin, Dichterin … und die Gruppe 47 in Schwangau. Begleitkatalog zur gleichnamigen Wanderausstellung, 1. Aufl., Frankfurt/M.

Braun, Peter (2019): Ilse Schneider-Lengyel. Fotografin, Ethnologin, Dichterin. Ein Porträt. Wallstein, Göttingen.

Chrambach, Eva: Schneider-Lengyel, Ilse. In: Neue Deutsche Biographie 23 (2007), S. 311f.; https://www.deutsche-biographie.de/pnd119490927.html#ndbcontent, (12.10.2020).


Externe Links:

Literatur von Ilse Schneider-Lengyel im BVB

Literatur über Ilse Schneider-Lengyel im BVB

Ilse Schneider-Lengyel in bavarikon

Beitrag zu Ilse Schneider-Lengyel in der Füssener Zeitung

Rezension zu Ilse Schneider-Lengyel. Fotografin, Ethnologin, Dichterin. Ein Porträt

Website der Gruppe 47

Ilse Schneider-Lengyel in der Wikipedia