Hedwig Lachmann
Hedwig Lachmann wird als ältestes von sechs Kindern des jüdischen Kantors Isaak Lachmann und seiner Frau Wilhelmine in Pommern geboren. 1873 zieht die Familie ins schwäbische Hürben (das später nach Krumbach eingemeindet wird). Hedwig besucht das Fernsemer‘sche Höhere Töchterinstitut, eignet sich dort hervorragende Englisch- und Französischkenntnisse an und legt mit 15 Jahren ihr Examen zur Sprachlehrerin ab. 1882 geht sie als Erzieherin nach England, 1885 nach Dresden und zwei Jahre später nach Budapest, wo sie auch die ungarische Sprache erlernt.
1889 lässt sich Hedwig Lachmann in Berlin nieder. Sie arbeitet als Erzieherin und Hauslehrerin und pflegt zwei kranke Verwandte. Daneben nutzt sie jede freie Minute, um sich ihrer eigentlichen Passion, der Lyrik, zu widmen. Ihre Übersetzungen ungarischer, englischer und französischer Gedichte werden bald in angesehenen Kulturzeitschriften publiziert. 1891 erscheinen außerdem Ausgewählte Gedichte von Edgar Allan Poe und die Anthologie Ungarische Gedichte in ihrer Übertragung.
1892 lernt Hedwig Lachmann die Schriftstellerin Paula Dehmel und ihren Mann Richard Dehmel kennen. Dank seiner Vermittlung erscheinen in der von Michael Georg Conrad 1885 in München gegründeten Zeitschrift Die Gesellschaft ihre ersten literarischen Veröffentlichungen. In den folgenden Jahren verbindet Hedwig Lachmann und Richard Dehmel eine spannungsgeladene Beziehung: Der Dichter begehrt sie leidenschaftlich, sein Angebot einer Ehe zu dritt lehnt sie jedoch ab.
Als Hedwig Lachmann 35 Jahre alt ist, tritt mit Gustav Landauer ein neuer Mann in ihr Leben. Der fünf Jahre jüngere Schriftsteller ist wie Dehmel ein verheirateter Familienvater, und so wehrt sie auch seine Annäherungsversuche zunächst standhaft ab. Zwei Jahre muss er um sie werben, bis sie sich für eine Zukunft mit ihm entscheidet.
Die Zeit von September 1901 bis Juni 1902 verbringen Hedwig Lachmann und Gustav Landauer in England. Nach ihrer Rückkehr nach Berlin wird am 15. August 1902 ihre Tochter Gudula geboren. Im März 1903 wird Gustav Landauer von seiner Frau Margarethe geschieden, im Mai können er und Hedwig Lachmann endlich heiraten. Am 10. April 1906 kommt die jüngste Tochter Brigitte zur Welt. Nach dem Tod von Gustavs geschiedener Frau wird auch die älteste Tochter Charlotte in die Familie aufgenommen.
Mit Übersetzungsarbeiten trägt Hedwig Lachmann ihren Teil zum Lebensunterhalt der Familie bei. Ihre Übersetzung des Dramas Salome von Oscar Wilde liefert 1906 die Grundlage für die gleichnamige Oper von Richard Strauss. Weitere bedeutende Übersetzungen sind u.a. Oscar Wildes Roman Das Bildnis des Dorian Gray und Benjamin Franklins Jugenderinnerungen.
Im Ersten Weltkrieg gehören Gustav Landauer und seine Frau zu den wenigen, die ihrer pazifistischen Gesinnung treu bleiben. Am 1. Dezember 1914 veröffentlicht Hedwig Lachmann das Gedicht Marcia funebre, mit dem sie gegen das Grauen des Krieges anschreibt:
Marcia Funebre
Begrabt die Männer, dass nicht das Getöse
Des Schlachtgemenges länger sie umschallt,
und dass vom Todeskrampf, der sie umkrallt,
die Erde ihre starren Glieder löse.
O traure, traure, Herz, an den Gebeinen
Der Mannheit, die dem rohen Schwert erlag,
Zehntausend starben dir an einem Tag,
Beweine sie, als weintest du um einen!
Auf fahlen Äckern stockt in breiten Spuren
Das frisch vergossene, noch warme Blut;
Vergeudet, wie ein allzufrühes Gut,
Verwest die Frucht der Mütter auf den Fluren.
Mit Dunkel überziehend ihre Namen,
Sprengt über sie der erzbeschlagne Tross,
Dicht Mann bei Mann, erlöschen Stamm und Spross,
Und auf verheertem Grund zerfällt ihr Samen.
Begrabt die Männer, dass nicht das Getöse
Des Schlachtgemenges länger sie umschallt,
und dass vom Todeskrampf, der sie umkrallt,
die Erde ihre starren Glieder löse.
Wegen der kriegsbedingt schlechten Versorgungslage in Berlin übersiedelt die Familie Landauer im Mai 1917 nach Krumbach. Neun Monate später erkrankt Hedwig Lachmann an einer Lungenentzündung. Sie stirbt am 21. Februar 1918. Im folgenden Jahr gibt Gustav Landauer ihre Gesammelten Gedichte heraus.
Sekundärliteratur:
Seemann, Birgit (2012): „Mit den Besiegten“. Hedwig Lachmann (1865-1918) – deutsch-jüdische Schriftstellerin und Antimilitaristin. Hg. von Siegbert Wolf. Edition AV, Lich.
Steininger, Rita (2020): Gustav Landauer. Ein Kämpfer für Freiheit und Menschlichkeit. Volk Verlag, München.
Walz, Annegret (1993): „Ich will ja gar nicht auf der logischen Höhe meiner Zeit stehen“. Hedwig Lachmann. Eine Biographie. Edition Die Schnecke, Flacht.
Quelle:
Hedwig Lachmann: Gesammelte Gedichte. Eigenes und Nachdichtungen. Hg. von Gustav Landauer. Gustav Kiepenheuer Verlag, Potsdam 1919.
Externe Links:
Literatur von Hedwig Lachmann im BVB
Literatur über Hedwig Lachmann im BVB
Hedwig Lachmann wird als ältestes von sechs Kindern des jüdischen Kantors Isaak Lachmann und seiner Frau Wilhelmine in Pommern geboren. 1873 zieht die Familie ins schwäbische Hürben (das später nach Krumbach eingemeindet wird). Hedwig besucht das Fernsemer‘sche Höhere Töchterinstitut, eignet sich dort hervorragende Englisch- und Französischkenntnisse an und legt mit 15 Jahren ihr Examen zur Sprachlehrerin ab. 1882 geht sie als Erzieherin nach England, 1885 nach Dresden und zwei Jahre später nach Budapest, wo sie auch die ungarische Sprache erlernt.
1889 lässt sich Hedwig Lachmann in Berlin nieder. Sie arbeitet als Erzieherin und Hauslehrerin und pflegt zwei kranke Verwandte. Daneben nutzt sie jede freie Minute, um sich ihrer eigentlichen Passion, der Lyrik, zu widmen. Ihre Übersetzungen ungarischer, englischer und französischer Gedichte werden bald in angesehenen Kulturzeitschriften publiziert. 1891 erscheinen außerdem Ausgewählte Gedichte von Edgar Allan Poe und die Anthologie Ungarische Gedichte in ihrer Übertragung.
1892 lernt Hedwig Lachmann die Schriftstellerin Paula Dehmel und ihren Mann Richard Dehmel kennen. Dank seiner Vermittlung erscheinen in der von Michael Georg Conrad 1885 in München gegründeten Zeitschrift Die Gesellschaft ihre ersten literarischen Veröffentlichungen. In den folgenden Jahren verbindet Hedwig Lachmann und Richard Dehmel eine spannungsgeladene Beziehung: Der Dichter begehrt sie leidenschaftlich, sein Angebot einer Ehe zu dritt lehnt sie jedoch ab.
Als Hedwig Lachmann 35 Jahre alt ist, tritt mit Gustav Landauer ein neuer Mann in ihr Leben. Der fünf Jahre jüngere Schriftsteller ist wie Dehmel ein verheirateter Familienvater, und so wehrt sie auch seine Annäherungsversuche zunächst standhaft ab. Zwei Jahre muss er um sie werben, bis sie sich für eine Zukunft mit ihm entscheidet.
Die Zeit von September 1901 bis Juni 1902 verbringen Hedwig Lachmann und Gustav Landauer in England. Nach ihrer Rückkehr nach Berlin wird am 15. August 1902 ihre Tochter Gudula geboren. Im März 1903 wird Gustav Landauer von seiner Frau Margarethe geschieden, im Mai können er und Hedwig Lachmann endlich heiraten. Am 10. April 1906 kommt die jüngste Tochter Brigitte zur Welt. Nach dem Tod von Gustavs geschiedener Frau wird auch die älteste Tochter Charlotte in die Familie aufgenommen.
Mit Übersetzungsarbeiten trägt Hedwig Lachmann ihren Teil zum Lebensunterhalt der Familie bei. Ihre Übersetzung des Dramas Salome von Oscar Wilde liefert 1906 die Grundlage für die gleichnamige Oper von Richard Strauss. Weitere bedeutende Übersetzungen sind u.a. Oscar Wildes Roman Das Bildnis des Dorian Gray und Benjamin Franklins Jugenderinnerungen.
Im Ersten Weltkrieg gehören Gustav Landauer und seine Frau zu den wenigen, die ihrer pazifistischen Gesinnung treu bleiben. Am 1. Dezember 1914 veröffentlicht Hedwig Lachmann das Gedicht Marcia funebre, mit dem sie gegen das Grauen des Krieges anschreibt:
Marcia Funebre
Begrabt die Männer, dass nicht das Getöse
Des Schlachtgemenges länger sie umschallt,
und dass vom Todeskrampf, der sie umkrallt,
die Erde ihre starren Glieder löse.
O traure, traure, Herz, an den Gebeinen
Der Mannheit, die dem rohen Schwert erlag,
Zehntausend starben dir an einem Tag,
Beweine sie, als weintest du um einen!
Auf fahlen Äckern stockt in breiten Spuren
Das frisch vergossene, noch warme Blut;
Vergeudet, wie ein allzufrühes Gut,
Verwest die Frucht der Mütter auf den Fluren.
Mit Dunkel überziehend ihre Namen,
Sprengt über sie der erzbeschlagne Tross,
Dicht Mann bei Mann, erlöschen Stamm und Spross,
Und auf verheertem Grund zerfällt ihr Samen.
Begrabt die Männer, dass nicht das Getöse
Des Schlachtgemenges länger sie umschallt,
und dass vom Todeskrampf, der sie umkrallt,
die Erde ihre starren Glieder löse.
Wegen der kriegsbedingt schlechten Versorgungslage in Berlin übersiedelt die Familie Landauer im Mai 1917 nach Krumbach. Neun Monate später erkrankt Hedwig Lachmann an einer Lungenentzündung. Sie stirbt am 21. Februar 1918. Im folgenden Jahr gibt Gustav Landauer ihre Gesammelten Gedichte heraus.
Seemann, Birgit (2012): „Mit den Besiegten“. Hedwig Lachmann (1865-1918) – deutsch-jüdische Schriftstellerin und Antimilitaristin. Hg. von Siegbert Wolf. Edition AV, Lich.
Steininger, Rita (2020): Gustav Landauer. Ein Kämpfer für Freiheit und Menschlichkeit. Volk Verlag, München.
Walz, Annegret (1993): „Ich will ja gar nicht auf der logischen Höhe meiner Zeit stehen“. Hedwig Lachmann. Eine Biographie. Edition Die Schnecke, Flacht.
Quelle:
Hedwig Lachmann: Gesammelte Gedichte. Eigenes und Nachdichtungen. Hg. von Gustav Landauer. Gustav Kiepenheuer Verlag, Potsdam 1919.