Felix Schlagintweit
Felix Schlagintweit wird in Bamberg geboren. Sein Vater Anton Schlagintweit ist Eisenbahningenieur, seine Mutter Rosine, geb. Zimmermann, eine Rentamtmannstochter. Seine frühe Kindheit verbringt er auf einer kleinen Bahnstation im niederbayerischen Geiselhöring. Nach einem vorübergehenden Aufenthalt in Regensburg kehrt die Familie wieder nach Bamberg zurück. Schlagintweit besucht dort das Gymnasium mit einem einjährigen Zwischenaufenthalt 1886 am Internat in Burghausen. Wieder zurück in Bamberg begeistert er sich für Musik und spielt am Kontrabass im Schulorchester mit. Während der Gymnasialzeit liest er u.a. Heinrich Heine, Emile Zola und Paul Heyse, dessen Roman Im Paradiese ihn „auf das Münchner Künstlerleben vorbereitet“. 1889 schließt er das Gymnasium mit dem „Absolutorium“ ab (vgl. Felix Schlagintweit: Ein verliebtes Leben. Erinnerungen eines Münchner Arztes. München [1943] 19672).
Mit den drei Brüdern Hermann, Adolf und Robert Schlagintweit, bekannt geworden als Forschungsreisende und von Felix Schlagintweit in seiner Autobiografie salopp als „Vettern“ bezeichnet, verbindet ihn ein gemeinsamer Vorfahr vierter (bei Felix) bzw. dritter Generation (bei den Brüdern) namens Gotthard Schlagintweit (1723-1791).
Von 1889 bis 1894 studiert Schlagintweit Medizin in München und Erlangen und promoviert 1893 mit einer Studie über Frakturen der Wirbelsäule. Mit Begeisterung besucht er trotz Geldmangels Konzerte, Opern- und Theateraufführungen sowie Kunstausstellungen im Münchner Glaspalast. Als Kontrabassist schließt er sich dem 1880 gegründeten Münchner Orchesterverein an, der das Münchner Kulturleben um die Jahrhundertwende sowohl durch seine musikalischen Entdeckungen als auch durch festlich-gesellschaftliche Aktivitäten bereichert. 1895 heiratet Felix Schlagintweit seine Jugendfreundin Emilie Nathan, genannt Emmy, die aus einer wohlhabenden Bamberger Brauereifamilie stammt.
Etwa 1896 wird er an das „Königlich bayerische Mineralbad Brückenau“ berufen, das so illustre Persönlichkeiten wie Napoleon I., Goethe, König Ludwig I. von Bayern und Lola Montez als Kurgäste verzeichnet. Unter Schlagintweits Leitung erlangt Bad Brückenau Weltruhm als Heilbad für Nieren- und Blasenerkrankungen. Die Kurtafel, an der Schlagintweit und seine Frau Emmy mit den Kurgästen speisen und diese „mit Münchner Künstlergeschichten“ unterhalten, füllt sich zusehends: „Sie war wie ein Barometer unseres Erfolgs“. 1898 besucht Kaiserin Elisabeth von Österreich für vier Wochen Bad Brückenau. Schlagintweit bedauert sie als „blutarm, menschenscheu und gemütskrank“ (vgl. Felix Schlagintweit: Ein verliebtes Leben. Erinnerungen eines Münchner Arztes. München [1943] 19672).
Nebenher veröffentlicht der vielseitig aktive Badearzt Kurführer, Reiseführer und Umgebungskarten zu Brückenau. Im Herbst und Winter besucht er Kollegen und medizinische Koryphäen in Deutschland und Europa, um Freundschaften zu schließen und sich fortzubilden. 1901 reist er zu Félix Guyon nach Paris und anschließend zu Otto Zuckerkandl nach Wien, nicht ohne den dortigen touristischen Attraktionen einen Besuch abzustatten. Seine Tätigkeit in Bad Brückenau beendet er im Jahr 1908.
Schon während der Bad Brückenauer Zeit betreibt Schlagintweit zusammen mit seinem Bruder Oskar eine kleine urologische Klinik in der Maximilianstraße in München, in der er außerhalb der Kursaison (15. Mai bis 15. September) praktiziert. Nach dem Abschied von Brückenau kauft er in München ein Haus aus der Gründerzeit in der Heßstraße 28 und richtet dort eine neue urologische Klinik ein. Diese Klinik sowie seine im selben Haus befindliche Privatwohnung werden im Zweiten Weltkrieg völlig zerstört.
Schlagintweit hat durch seine Tätigkeiten in Bad Brückenau und München, durch wissenschaftliche Publikationen wie Die Urologie des praktischen Arztes, als Herausgeber der Zeitschrift für Urologie und nicht zuletzt durch die Erfindung eines retrograden Zystoskops und weiterer Kleininstrumente der Urologie als neuer wissenschaftlicher Disziplin in Bayern und in Deutschland maßgeblich zum Durchbruch verholfen.
***
Gesellschaftlichen Umgang sucht Schlagintweit weniger unter seinen Berufsgenossen als unter den Münchner Künstlern. Hierbei spielt der 1880 gegründete und im Münchner Kulturleben bald fest verankerte Münchner Orchesterverein eine zentrale Rolle. „Da gerade der O.V. die namhaftesten Münchner Künstler auf dekorativem Gebiet, Maler, Bildhauer, Architekten und Kunstgewerbler zu den Seinen zählte, so konnte er durch Verbindung von Musik und dekorativer Kunst Feste veranstalten, die weit über München hinaus berühmt wurden“ (Felix Schlagintweit: Ein verliebtes Leben. Erinnerungen eines Münchner Arztes. München [1943] 19672). Der Kontrabassist Schlagintweit freundet sich mit dem als Orchestervorstand fungierenden Architekten Emanuel Seidl und dessen Bruder Gabriel an, der wiederum mit Franz Stuck, Friedrich Kaulbach, Herterich, Gedon, Seitz, Wilhelm Busch und Lenbach in der Künstlergesellschaft „Allotria“ verbunden ist. In engem Kontakt steht er außerdem zu den Familien von Pocci und von Riemerschmid-Zumbusch. Ludwig von Zumbusch vermittelt ihm 1905 den Kauf eines Landsitzes auf der idyllischen Halbinsel Urfahrn am Chiemsee, so dass nun auch Schlagintweit zum Kreis der gut situierten Münchner Landhausbesitzer zählt. Nach der Zerbombung seines Münchner Domizils im Jahr 1944 zieht er sich als Arzt und freier Schriftsteller ganz nach Urfahrn zurück.
Während des Ersten Weltkriegs arbeitet er als Belegarzt im Münchner Rot-Kreuz-Krankenhaus und lernt dort die 27 Jahre jüngere Stationsschwester Centa Glier (1895-1961) kennen und lieben. Hingerissen von ihrer jugendlichen Schönheit nennt er sie „Monna“ nach Mona Lisa. Doch seine Frau willigt nicht in die von Monna gewünschte Scheidung ein. So führt Schlagintweit mit beiden Frauen eine Ménage-à-trois. Erst Emmys Tod im Jahr 1938 ermöglicht die Wiederverheiratung.
Mit seiner Autobiografie Ein verliebtes Leben. Erinnerungen eines Münchner Arztes schreibt sich Schlagintweit in das Gedächtnis Münchens ein und erzielt damit seinen größten Publikumserfolg. Die quirlige Lebendigkeit der Münchner Kulturszene, die Festivitäten des Münchner Orchestervereins, dezent eingestreute amouröse Abenteuer, Reiseerlebnisse mit dem neuen Automobil, bescheiden vorgetragene medizinische Erfolge – dies alles mit Anekdoten überzuckert – schaffen eine strahlend optimistische Atmosphäre. Dahinter verblassen die realen Schrecken der beiden Weltkriege. Dank ihrer sedativ-unterhaltenden Wirkung zählen die 1943 erschienenen und mehrfach wiederaufgelegten Memoiren zu den meistgelesenen Büchern der Nachkriegsjahre in München. Sie sind eine wertvolle zeitgenössische Quelle für das Gesellschaftsleben der Münchner Oberschicht.
Beim Orchesterverein engagiert sich Schlagintweit nicht nur musikalisch. Für den Einzug in das neue Probenlokal „Goldener Hirsch“ in der Türkenstraße schreibt er 1899 eine Parodie auf Mozarts Zauberflöte. In dieser kabarettistischen Szene mit dem Titel Die Zaubergeige oder Die Prüfung muss sich ein kleiner Violonist der Aufnahmeprüfung für das Orchester von Sarastro (alias Emanuel Seidl) unterziehen. 1969 rühmt sich das Staatstheater am Gärtnerplatz, Rameaus Ballettoper Die Hochzeit der Platäa für München wiederentdeckt zu haben. Doch der Orchesterverein hat die barocke Karnevalsoper schon 1901 ausgegraben, musikalisch bearbeitet und unter dem Titel Platea oder die eifersüchtige Juno im Rahmen eines „olympisch-böotischen Tanzfestes“ präsentiert. Deutscher Text und Inszenierung stammen von Felix Schlagintweit. Er ist zudem Autor der komischen Oper Die Falle, 1916 für seine Freunde als Handschrift gedruckt. Die mittelalterliche Handlung spielt im Umkreis der Burg Wolkenstein in Südtirol. Eine Gräfin verliebt sich in den verarmten und zum Raubritter verkommenen Junker Hans von Wolkenstein, gewinnt seine Liebe durch eine List und will sich beim Kaiser dafür einsetzen, dass Acht und Bann gegen den Ritter aufgehoben werden.
Die medizinische Auseinandersetzung mit dem Blasenleiden von Napoleon III. inspiriert Schlagintweit zu dem historischen Roman Napoleon III., Lulu und Eugenie, erschienen 1935. Der schwerkranke Napoleon erscheint als verhinderter Sozialist auf Frankreichs letztem Kaiserthron. Bismarck, Kaiserin Eugenie und ihr Hofstaat, Kaiser Maximilian von Mexiko, Viktor Emanuel II. von Italien passieren in dieser breit angelegten Skizze europäischer Geschichte Revue. Mit ihrem Untertitel Menschliches – Allzumenschliches aus dem zweiten Kaiserreich gibt sie den Erzählansatz Schlagintweits programmatisch vor, der „die geschichtliche Wahrheit in Anekdoten“ und „die wirklichen Menschen von damals“ schildern möchte (Felix Schlagintweit: Napoleon III., Lulu und Eugenie. Menschliches – Allzumenschliches aus dem Zweiten Kaiserreich. München (1935) 19492).
Der autobiografisch anmutende Roman Don Juans Hochzeitsreise, aus dem Nachlass 1953 herausgegeben, beschreibt eine Dreiecksbeziehung zwischen einer Frau und zwei Männern. Der einst lebenslustige und schriftstellerisch ambitionierte Arzt Lutz ist durch den Zweiten Weltkrieg zum Invaliden geworden, sein Konkurrent Professor Will kehrt von der Ostfront nicht zurück. Lutz begeht auf dem stürmischen Chiemsee einen Selbstmordversuch. Lisa rettet ihn, und die beiden finden in tiefer Liebe wieder zueinander.
***
Schlagintweit stirbt am 17. Mai 1950. Der Münchner Merkur schildert die Beerdigungszeremonie am 22. Mai 1950: „Als der Sarg mit seinen sterblichen Überresten in dem schwarzen Kahn von Urfahrn nach der Fraueninsel hinüber gerudert wurde, leuchtete ein Regenbogen über dem See. Es war wie ein Symbol für das erfüllte Leben des Arztes und Schriftstellers, das sich in friedlicher Vollendung von der einen Jahrhundertmitte bis in die andere wölbte, nach dem schweren Gewitter des Zweiten Weltkriegs besonders vielfarbig und tröstlich erstrahlend.“
Sekundärliteratur:
Gottwald, Johannes (Hg.) (1980): 100 Jahre Orchesterverein München 1880 e.V. Jubiläums-Festschrift zum 100-jährigen Bestehen des Orchestervereins. Vorstand des Orchestervereins München 1880, München.
Langer, Michael (1990): Felix Schlagintweits Verliebtes Leben. Ein Bestseller der Nachkriegszeit (Bayern – Land und Leute). Bayerischer Rundfunk, München.
Voss, Klaus (1978): Eine Bibliobiographie eines Müchner Urologen und Schriftstellers. München. (Diss.)
Wilhelm, Edmund (1998): Bad Brückenau. Mit dem Staatsbad durch die Jahrhunderte. 250 Jahre Staatsbad Bad Brückenau. Staatliche Kurverwaltung, (Staatsbad) Bad Brückenau.
Externe Links:
Literatur von Felix Schlagintweit im BVB
Literatur über Felix Schlagintweit im BVB
Felix Schlagintweit in der Deutschen Biographie
Felix Schlagintweit wird in Bamberg geboren. Sein Vater Anton Schlagintweit ist Eisenbahningenieur, seine Mutter Rosine, geb. Zimmermann, eine Rentamtmannstochter. Seine frühe Kindheit verbringt er auf einer kleinen Bahnstation im niederbayerischen Geiselhöring. Nach einem vorübergehenden Aufenthalt in Regensburg kehrt die Familie wieder nach Bamberg zurück. Schlagintweit besucht dort das Gymnasium mit einem einjährigen Zwischenaufenthalt 1886 am Internat in Burghausen. Wieder zurück in Bamberg begeistert er sich für Musik und spielt am Kontrabass im Schulorchester mit. Während der Gymnasialzeit liest er u.a. Heinrich Heine, Emile Zola und Paul Heyse, dessen Roman Im Paradiese ihn „auf das Münchner Künstlerleben vorbereitet“. 1889 schließt er das Gymnasium mit dem „Absolutorium“ ab (vgl. Felix Schlagintweit: Ein verliebtes Leben. Erinnerungen eines Münchner Arztes. München [1943] 19672).
Mit den drei Brüdern Hermann, Adolf und Robert Schlagintweit, bekannt geworden als Forschungsreisende und von Felix Schlagintweit in seiner Autobiografie salopp als „Vettern“ bezeichnet, verbindet ihn ein gemeinsamer Vorfahr vierter (bei Felix) bzw. dritter Generation (bei den Brüdern) namens Gotthard Schlagintweit (1723-1791).
Von 1889 bis 1894 studiert Schlagintweit Medizin in München und Erlangen und promoviert 1893 mit einer Studie über Frakturen der Wirbelsäule. Mit Begeisterung besucht er trotz Geldmangels Konzerte, Opern- und Theateraufführungen sowie Kunstausstellungen im Münchner Glaspalast. Als Kontrabassist schließt er sich dem 1880 gegründeten Münchner Orchesterverein an, der das Münchner Kulturleben um die Jahrhundertwende sowohl durch seine musikalischen Entdeckungen als auch durch festlich-gesellschaftliche Aktivitäten bereichert. 1895 heiratet Felix Schlagintweit seine Jugendfreundin Emilie Nathan, genannt Emmy, die aus einer wohlhabenden Bamberger Brauereifamilie stammt.
Etwa 1896 wird er an das „Königlich bayerische Mineralbad Brückenau“ berufen, das so illustre Persönlichkeiten wie Napoleon I., Goethe, König Ludwig I. von Bayern und Lola Montez als Kurgäste verzeichnet. Unter Schlagintweits Leitung erlangt Bad Brückenau Weltruhm als Heilbad für Nieren- und Blasenerkrankungen. Die Kurtafel, an der Schlagintweit und seine Frau Emmy mit den Kurgästen speisen und diese „mit Münchner Künstlergeschichten“ unterhalten, füllt sich zusehends: „Sie war wie ein Barometer unseres Erfolgs“. 1898 besucht Kaiserin Elisabeth von Österreich für vier Wochen Bad Brückenau. Schlagintweit bedauert sie als „blutarm, menschenscheu und gemütskrank“ (vgl. Felix Schlagintweit: Ein verliebtes Leben. Erinnerungen eines Münchner Arztes. München [1943] 19672).
Nebenher veröffentlicht der vielseitig aktive Badearzt Kurführer, Reiseführer und Umgebungskarten zu Brückenau. Im Herbst und Winter besucht er Kollegen und medizinische Koryphäen in Deutschland und Europa, um Freundschaften zu schließen und sich fortzubilden. 1901 reist er zu Félix Guyon nach Paris und anschließend zu Otto Zuckerkandl nach Wien, nicht ohne den dortigen touristischen Attraktionen einen Besuch abzustatten. Seine Tätigkeit in Bad Brückenau beendet er im Jahr 1908.
Schon während der Bad Brückenauer Zeit betreibt Schlagintweit zusammen mit seinem Bruder Oskar eine kleine urologische Klinik in der Maximilianstraße in München, in der er außerhalb der Kursaison (15. Mai bis 15. September) praktiziert. Nach dem Abschied von Brückenau kauft er in München ein Haus aus der Gründerzeit in der Heßstraße 28 und richtet dort eine neue urologische Klinik ein. Diese Klinik sowie seine im selben Haus befindliche Privatwohnung werden im Zweiten Weltkrieg völlig zerstört.
Schlagintweit hat durch seine Tätigkeiten in Bad Brückenau und München, durch wissenschaftliche Publikationen wie Die Urologie des praktischen Arztes, als Herausgeber der Zeitschrift für Urologie und nicht zuletzt durch die Erfindung eines retrograden Zystoskops und weiterer Kleininstrumente der Urologie als neuer wissenschaftlicher Disziplin in Bayern und in Deutschland maßgeblich zum Durchbruch verholfen.
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Gesellschaftlichen Umgang sucht Schlagintweit weniger unter seinen Berufsgenossen als unter den Münchner Künstlern. Hierbei spielt der 1880 gegründete und im Münchner Kulturleben bald fest verankerte Münchner Orchesterverein eine zentrale Rolle. „Da gerade der O.V. die namhaftesten Münchner Künstler auf dekorativem Gebiet, Maler, Bildhauer, Architekten und Kunstgewerbler zu den Seinen zählte, so konnte er durch Verbindung von Musik und dekorativer Kunst Feste veranstalten, die weit über München hinaus berühmt wurden“ (Felix Schlagintweit: Ein verliebtes Leben. Erinnerungen eines Münchner Arztes. München [1943] 19672). Der Kontrabassist Schlagintweit freundet sich mit dem als Orchestervorstand fungierenden Architekten Emanuel Seidl und dessen Bruder Gabriel an, der wiederum mit Franz Stuck, Friedrich Kaulbach, Herterich, Gedon, Seitz, Wilhelm Busch und Lenbach in der Künstlergesellschaft „Allotria“ verbunden ist. In engem Kontakt steht er außerdem zu den Familien von Pocci und von Riemerschmid-Zumbusch. Ludwig von Zumbusch vermittelt ihm 1905 den Kauf eines Landsitzes auf der idyllischen Halbinsel Urfahrn am Chiemsee, so dass nun auch Schlagintweit zum Kreis der gut situierten Münchner Landhausbesitzer zählt. Nach der Zerbombung seines Münchner Domizils im Jahr 1944 zieht er sich als Arzt und freier Schriftsteller ganz nach Urfahrn zurück.
Während des Ersten Weltkriegs arbeitet er als Belegarzt im Münchner Rot-Kreuz-Krankenhaus und lernt dort die 27 Jahre jüngere Stationsschwester Centa Glier (1895-1961) kennen und lieben. Hingerissen von ihrer jugendlichen Schönheit nennt er sie „Monna“ nach Mona Lisa. Doch seine Frau willigt nicht in die von Monna gewünschte Scheidung ein. So führt Schlagintweit mit beiden Frauen eine Ménage-à-trois. Erst Emmys Tod im Jahr 1938 ermöglicht die Wiederverheiratung.
Mit seiner Autobiografie Ein verliebtes Leben. Erinnerungen eines Münchner Arztes schreibt sich Schlagintweit in das Gedächtnis Münchens ein und erzielt damit seinen größten Publikumserfolg. Die quirlige Lebendigkeit der Münchner Kulturszene, die Festivitäten des Münchner Orchestervereins, dezent eingestreute amouröse Abenteuer, Reiseerlebnisse mit dem neuen Automobil, bescheiden vorgetragene medizinische Erfolge – dies alles mit Anekdoten überzuckert – schaffen eine strahlend optimistische Atmosphäre. Dahinter verblassen die realen Schrecken der beiden Weltkriege. Dank ihrer sedativ-unterhaltenden Wirkung zählen die 1943 erschienenen und mehrfach wiederaufgelegten Memoiren zu den meistgelesenen Büchern der Nachkriegsjahre in München. Sie sind eine wertvolle zeitgenössische Quelle für das Gesellschaftsleben der Münchner Oberschicht.
Beim Orchesterverein engagiert sich Schlagintweit nicht nur musikalisch. Für den Einzug in das neue Probenlokal „Goldener Hirsch“ in der Türkenstraße schreibt er 1899 eine Parodie auf Mozarts Zauberflöte. In dieser kabarettistischen Szene mit dem Titel Die Zaubergeige oder Die Prüfung muss sich ein kleiner Violonist der Aufnahmeprüfung für das Orchester von Sarastro (alias Emanuel Seidl) unterziehen. 1969 rühmt sich das Staatstheater am Gärtnerplatz, Rameaus Ballettoper Die Hochzeit der Platäa für München wiederentdeckt zu haben. Doch der Orchesterverein hat die barocke Karnevalsoper schon 1901 ausgegraben, musikalisch bearbeitet und unter dem Titel Platea oder die eifersüchtige Juno im Rahmen eines „olympisch-böotischen Tanzfestes“ präsentiert. Deutscher Text und Inszenierung stammen von Felix Schlagintweit. Er ist zudem Autor der komischen Oper Die Falle, 1916 für seine Freunde als Handschrift gedruckt. Die mittelalterliche Handlung spielt im Umkreis der Burg Wolkenstein in Südtirol. Eine Gräfin verliebt sich in den verarmten und zum Raubritter verkommenen Junker Hans von Wolkenstein, gewinnt seine Liebe durch eine List und will sich beim Kaiser dafür einsetzen, dass Acht und Bann gegen den Ritter aufgehoben werden.
Die medizinische Auseinandersetzung mit dem Blasenleiden von Napoleon III. inspiriert Schlagintweit zu dem historischen Roman Napoleon III., Lulu und Eugenie, erschienen 1935. Der schwerkranke Napoleon erscheint als verhinderter Sozialist auf Frankreichs letztem Kaiserthron. Bismarck, Kaiserin Eugenie und ihr Hofstaat, Kaiser Maximilian von Mexiko, Viktor Emanuel II. von Italien passieren in dieser breit angelegten Skizze europäischer Geschichte Revue. Mit ihrem Untertitel Menschliches – Allzumenschliches aus dem zweiten Kaiserreich gibt sie den Erzählansatz Schlagintweits programmatisch vor, der „die geschichtliche Wahrheit in Anekdoten“ und „die wirklichen Menschen von damals“ schildern möchte (Felix Schlagintweit: Napoleon III., Lulu und Eugenie. Menschliches – Allzumenschliches aus dem Zweiten Kaiserreich. München (1935) 19492).
Der autobiografisch anmutende Roman Don Juans Hochzeitsreise, aus dem Nachlass 1953 herausgegeben, beschreibt eine Dreiecksbeziehung zwischen einer Frau und zwei Männern. Der einst lebenslustige und schriftstellerisch ambitionierte Arzt Lutz ist durch den Zweiten Weltkrieg zum Invaliden geworden, sein Konkurrent Professor Will kehrt von der Ostfront nicht zurück. Lutz begeht auf dem stürmischen Chiemsee einen Selbstmordversuch. Lisa rettet ihn, und die beiden finden in tiefer Liebe wieder zueinander.
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Schlagintweit stirbt am 17. Mai 1950. Der Münchner Merkur schildert die Beerdigungszeremonie am 22. Mai 1950: „Als der Sarg mit seinen sterblichen Überresten in dem schwarzen Kahn von Urfahrn nach der Fraueninsel hinüber gerudert wurde, leuchtete ein Regenbogen über dem See. Es war wie ein Symbol für das erfüllte Leben des Arztes und Schriftstellers, das sich in friedlicher Vollendung von der einen Jahrhundertmitte bis in die andere wölbte, nach dem schweren Gewitter des Zweiten Weltkriegs besonders vielfarbig und tröstlich erstrahlend.“
Gottwald, Johannes (Hg.) (1980): 100 Jahre Orchesterverein München 1880 e.V. Jubiläums-Festschrift zum 100-jährigen Bestehen des Orchestervereins. Vorstand des Orchestervereins München 1880, München.
Langer, Michael (1990): Felix Schlagintweits Verliebtes Leben. Ein Bestseller der Nachkriegszeit (Bayern – Land und Leute). Bayerischer Rundfunk, München.
Voss, Klaus (1978): Eine Bibliobiographie eines Müchner Urologen und Schriftstellers. München. (Diss.)
Wilhelm, Edmund (1998): Bad Brückenau. Mit dem Staatsbad durch die Jahrhunderte. 250 Jahre Staatsbad Bad Brückenau. Staatliche Kurverwaltung, (Staatsbad) Bad Brückenau.