Jella Lepman
Jella Lepman wird 1891 in Stuttgart als älteste von drei Töchtern des jüdischen Textilfabrikanten Joseph Lehmann und seiner Frau Flora geb. Lauchheimer (1867-1940) geboren. Ihr Cousin ist der Philosoph Max Horkheimer, der zusammen mit Theodor W. Adorno die Frankfurter Schule begründet. Das Elternhaus gehört dem liberalen Judentum an.
Lepman entwickelt schon früh ein großes soziales Engagement. Bereits mit 17 Jahren gründet sie in ihrer Heimatstadt eine „Internationale Lesestube“ für Kinder der ausländischen Arbeiter der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik. Nach ihrer Schulzeit am Königin-Katharina-Stift verbringt sie ein Jahr in einem Schweizer Pensionat. Nach ihrer Rückkehr nach Stuttgart heiratet sie 1913 den Deutsch-Amerikaner Gustav Horace Lepman (1877-1922), mit dem sie zwei Kinder hat.
Nach dem Tod ihres Mannes 1922 muss sich Lepman allein durchkämpfen. Sie findet eine Anstellung als erste weibliche Redakteurin beim Stuttgarter Neuen Tagblatt, wo sie vor allem gesellschaftspolitische Beiträge schreibt. Daneben veröffentlicht sie ihr erstes Kinderbuch (Der verschlafene Sonntag, 1927) und ein Theaterstück für Kinder (Der singende Pfennig, 1929). Außerdem tritt sie der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) bei, wo sie führend in der Frauengruppe tätig wird. 1929 kandidiert sie sogar zusammen mit Theodor Heuss, dem späteren Bundespräsidenten, als Vorsitzende der DDP Württembergs, allerdings erfolglos für den Reichstag.
Lepmans demokratische Ansichten und ihre jüdische Herkunft führen nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 zu ihrer Entlassung. Bis 1935 wird sie noch als freie Mitarbeiterin beschäftigt, 1936 beschließt sie mit ihren beiden Kindern über Florenz nach England zu emigrieren. Dort schlägt sie sich mit journalistischer und schriftstellerischer Arbeit durch. 1938 sieht sie den Nachlass von Arthur Schnitzler an der Universität Cambridge durch. Später arbeitet sie für die BBC und den US-amerikanischen Sender ABSIE (American Broadcasting Station in Europe). 1943 veröffentlicht sie das Buch Women in Nazi Germany unter dem Pseudonym Katherine Thomas.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges kehrt sie 1945 als Beraterin der US-Armee für Frauen- und Jugendfragen im Rahmen des „Reeducation“-Programms der amerikanischen Besatzungszone nach Deutschland zurück, wo sie zunächst in Bad Homburg, dann in München wohnt. Um die Deutschen zu Weltoffenheit, Toleranz und Friedensliebe zu erziehen, konzentriert sie einen erheblichen Teil ihrer Arbeit auf die Förderung der Kinder- und Jugendliteratur. Am 3. Juli 1946 wird die Internationale Jugendbuchausstellung im Haus der Kunst eröffnet. Lepman will, dass „die internationalen Kinderbücher in diesen Heidentempel einziehen und ihre guten Geister die schlimmen verjagen“. Die Ausstellung, die auch als Wanderausstellung konzipiert ist, stellt die erste internationale, kulturelle Veranstaltung im Nachkriegsdeutschland dar.
Von Anfang an hat Lepman an die Möglichkeit einer Umwandlung der Ausstellung in eine Internationale Jugendbibliothek (IJB) als Dauereinrichtung gedacht. Durch Unterstützung der UNESCO und der American Library Association kann sie ihr Projekt nach und nach verwirklichen. Nach erster Kontaktaufnahme mit dem bayerischen Kultusministerium kommt es vorerst zur Gründung des Vereins der Freunde der IJB e.V. als Träger der zukünftigen Bibliothek. Die IJB wird zwar zunächst durch amerikanische Gelder und Spenden ermöglicht, ist aber ein eingetragener deutscher Verein und wird vorwiegend mit deutschen Mitteln finanziert – ihre Existenz verdankt sie letztlich dem Freistaat Bayern und der Stadt München. Heute wird die IJB zu unterschiedlichen Anteilen aus Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst und des Kulturreferats der Landeshauptstadt München gefördert.
Im Oktober 1946 wird Lepman zur stellvertretenden Chefredakteurin der Illustrierten Zeitschrift Heute ernannt. Neben der Gründung der IJB versucht sie als Journalistin das Anliegen der Kinder zu verteidigen. Darüber hinaus schreibt Lepman mehrere Kinderbücher und gibt Sammlungen von Kindergeschichten heraus, darunter die mehrbändige Sammlung von Gutenachtgeschichten, die sie über Jahre hinweg zusammengetragen hat. Ihre Werke werden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Einer ihrer wichtigsten literarischen Beiträge ist u.a., dass sie ihren Schriftstellerkollegen und Freund Erich Kästner zum Buch Die Konferenz der Tiere inspiriert. Es ist der Anfang des Kalten Krieges, Friedenskonferenzen scheitern und die Menschen beweisen ihre Unvernunft; dabei bringen sie immer wieder auch die Kinder in Gefahr. Mit der Idee, Tiere zu Wort kommen zu lassen und deren Instinkt der menschlichen Ratio entgegenzusetzen, überredet Lepman Kästner, ein Buch zu schreiben, das sich über die Kinder an die Erwachsenen richten, in möglichst vielen Sprachen erscheinen und eine Lanze für die Völkerverständigung brechen soll.
1952 initiiert sie eine Konferenz zur Völkerverständigung durch Kinderbücher, aus der 1953 das International Board on Books for Young People (IBBY) hervorgeht, eine Weltorganisation, die inzwischen Sektionen in 74 Ländern hat. Deren Ziele sind nicht nur die Förderung der internationalen Verständigung durch Kinderliteratur, sondern auch die Unterstützung und Weiterbildung für alle an Kinder- und Jugendliteratur Interessierten. Die IBBY stellt die größte internationale Plattform von Experten dar, die sich wissenschaftlich mit Kinderliteratur befassen. Zwei wichtige Literaturpreise im Zeichen der Internationalität sind auf die IBBY zurückzuführen: der Hans-Christian-Andersen-Preis, der alle zwei Jahre an jeweils eine/n KinderbuchautorIn (seit 1956) und eine/n IllustratorIn (seit 1966) vergeben wird, sowie der Deutsche Jugendliteraturpreis für die besten Kinder- und Jugendbücher auf dem deutschen Buchmarkt, der jedes Jahr auf der Frankfurter Buchmesse verliehen wird.
Als Jella Lepman 1957 die Leitung der IJB aufgibt, bekommt sie einen Auftrag der Rockefeller Foundation, um ein Spezialprogramm der IJB für die Förderung der Jugendliteratur in Asien, Afrika und Lateinamerika durchzuführen. Sie reist nach Istanbul, Beirut und Teheran und knüpft neue Kontakte. Im Oktober 1958 nimmt sie endgültig Abschied von München und zieht nach Zürich, wo sie am 4. Oktober 1970 stirbt. Ihr Grab befindet sich auf dem Zürcher Friedhof Enzenbühl.
Sekundärliteratur:
Becchi, Anna (2014): Jella Lepman: Die Gründerin der Internationalen Jugendbibliothek. In: LIBREAS. Library Ideas, Nr. 25. URL: http://libreas.eu/ausgabe25/05becchi/, (19.02.2018).
Scherf, Walter: Lepman, Jella. In: Neue Deutsche Biographie 14 (1985), S. 304f. URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119008874.html#ndbcontent, (19.02.2018).
Externe Links:
Literatur von Jella Lepman im BVB
Jella Lepman wird 1891 in Stuttgart als älteste von drei Töchtern des jüdischen Textilfabrikanten Joseph Lehmann und seiner Frau Flora geb. Lauchheimer (1867-1940) geboren. Ihr Cousin ist der Philosoph Max Horkheimer, der zusammen mit Theodor W. Adorno die Frankfurter Schule begründet. Das Elternhaus gehört dem liberalen Judentum an.
Lepman entwickelt schon früh ein großes soziales Engagement. Bereits mit 17 Jahren gründet sie in ihrer Heimatstadt eine „Internationale Lesestube“ für Kinder der ausländischen Arbeiter der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik. Nach ihrer Schulzeit am Königin-Katharina-Stift verbringt sie ein Jahr in einem Schweizer Pensionat. Nach ihrer Rückkehr nach Stuttgart heiratet sie 1913 den Deutsch-Amerikaner Gustav Horace Lepman (1877-1922), mit dem sie zwei Kinder hat.
Nach dem Tod ihres Mannes 1922 muss sich Lepman allein durchkämpfen. Sie findet eine Anstellung als erste weibliche Redakteurin beim Stuttgarter Neuen Tagblatt, wo sie vor allem gesellschaftspolitische Beiträge schreibt. Daneben veröffentlicht sie ihr erstes Kinderbuch (Der verschlafene Sonntag, 1927) und ein Theaterstück für Kinder (Der singende Pfennig, 1929). Außerdem tritt sie der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) bei, wo sie führend in der Frauengruppe tätig wird. 1929 kandidiert sie sogar zusammen mit Theodor Heuss, dem späteren Bundespräsidenten, als Vorsitzende der DDP Württembergs, allerdings erfolglos für den Reichstag.
Lepmans demokratische Ansichten und ihre jüdische Herkunft führen nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 zu ihrer Entlassung. Bis 1935 wird sie noch als freie Mitarbeiterin beschäftigt, 1936 beschließt sie mit ihren beiden Kindern über Florenz nach England zu emigrieren. Dort schlägt sie sich mit journalistischer und schriftstellerischer Arbeit durch. 1938 sieht sie den Nachlass von Arthur Schnitzler an der Universität Cambridge durch. Später arbeitet sie für die BBC und den US-amerikanischen Sender ABSIE (American Broadcasting Station in Europe). 1943 veröffentlicht sie das Buch Women in Nazi Germany unter dem Pseudonym Katherine Thomas.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges kehrt sie 1945 als Beraterin der US-Armee für Frauen- und Jugendfragen im Rahmen des „Reeducation“-Programms der amerikanischen Besatzungszone nach Deutschland zurück, wo sie zunächst in Bad Homburg, dann in München wohnt. Um die Deutschen zu Weltoffenheit, Toleranz und Friedensliebe zu erziehen, konzentriert sie einen erheblichen Teil ihrer Arbeit auf die Förderung der Kinder- und Jugendliteratur. Am 3. Juli 1946 wird die Internationale Jugendbuchausstellung im Haus der Kunst eröffnet. Lepman will, dass „die internationalen Kinderbücher in diesen Heidentempel einziehen und ihre guten Geister die schlimmen verjagen“. Die Ausstellung, die auch als Wanderausstellung konzipiert ist, stellt die erste internationale, kulturelle Veranstaltung im Nachkriegsdeutschland dar.
Von Anfang an hat Lepman an die Möglichkeit einer Umwandlung der Ausstellung in eine Internationale Jugendbibliothek (IJB) als Dauereinrichtung gedacht. Durch Unterstützung der UNESCO und der American Library Association kann sie ihr Projekt nach und nach verwirklichen. Nach erster Kontaktaufnahme mit dem bayerischen Kultusministerium kommt es vorerst zur Gründung des Vereins der Freunde der IJB e.V. als Träger der zukünftigen Bibliothek. Die IJB wird zwar zunächst durch amerikanische Gelder und Spenden ermöglicht, ist aber ein eingetragener deutscher Verein und wird vorwiegend mit deutschen Mitteln finanziert – ihre Existenz verdankt sie letztlich dem Freistaat Bayern und der Stadt München. Heute wird die IJB zu unterschiedlichen Anteilen aus Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst und des Kulturreferats der Landeshauptstadt München gefördert.
Im Oktober 1946 wird Lepman zur stellvertretenden Chefredakteurin der Illustrierten Zeitschrift Heute ernannt. Neben der Gründung der IJB versucht sie als Journalistin das Anliegen der Kinder zu verteidigen. Darüber hinaus schreibt Lepman mehrere Kinderbücher und gibt Sammlungen von Kindergeschichten heraus, darunter die mehrbändige Sammlung von Gutenachtgeschichten, die sie über Jahre hinweg zusammengetragen hat. Ihre Werke werden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Einer ihrer wichtigsten literarischen Beiträge ist u.a., dass sie ihren Schriftstellerkollegen und Freund Erich Kästner zum Buch Die Konferenz der Tiere inspiriert. Es ist der Anfang des Kalten Krieges, Friedenskonferenzen scheitern und die Menschen beweisen ihre Unvernunft; dabei bringen sie immer wieder auch die Kinder in Gefahr. Mit der Idee, Tiere zu Wort kommen zu lassen und deren Instinkt der menschlichen Ratio entgegenzusetzen, überredet Lepman Kästner, ein Buch zu schreiben, das sich über die Kinder an die Erwachsenen richten, in möglichst vielen Sprachen erscheinen und eine Lanze für die Völkerverständigung brechen soll.
1952 initiiert sie eine Konferenz zur Völkerverständigung durch Kinderbücher, aus der 1953 das International Board on Books for Young People (IBBY) hervorgeht, eine Weltorganisation, die inzwischen Sektionen in 74 Ländern hat. Deren Ziele sind nicht nur die Förderung der internationalen Verständigung durch Kinderliteratur, sondern auch die Unterstützung und Weiterbildung für alle an Kinder- und Jugendliteratur Interessierten. Die IBBY stellt die größte internationale Plattform von Experten dar, die sich wissenschaftlich mit Kinderliteratur befassen. Zwei wichtige Literaturpreise im Zeichen der Internationalität sind auf die IBBY zurückzuführen: der Hans-Christian-Andersen-Preis, der alle zwei Jahre an jeweils eine/n KinderbuchautorIn (seit 1956) und eine/n IllustratorIn (seit 1966) vergeben wird, sowie der Deutsche Jugendliteraturpreis für die besten Kinder- und Jugendbücher auf dem deutschen Buchmarkt, der jedes Jahr auf der Frankfurter Buchmesse verliehen wird.
Als Jella Lepman 1957 die Leitung der IJB aufgibt, bekommt sie einen Auftrag der Rockefeller Foundation, um ein Spezialprogramm der IJB für die Förderung der Jugendliteratur in Asien, Afrika und Lateinamerika durchzuführen. Sie reist nach Istanbul, Beirut und Teheran und knüpft neue Kontakte. Im Oktober 1958 nimmt sie endgültig Abschied von München und zieht nach Zürich, wo sie am 4. Oktober 1970 stirbt. Ihr Grab befindet sich auf dem Zürcher Friedhof Enzenbühl.
Becchi, Anna (2014): Jella Lepman: Die Gründerin der Internationalen Jugendbibliothek. In: LIBREAS. Library Ideas, Nr. 25. URL: http://libreas.eu/ausgabe25/05becchi/, (19.02.2018).
Scherf, Walter: Lepman, Jella. In: Neue Deutsche Biographie 14 (1985), S. 304f. URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119008874.html#ndbcontent, (19.02.2018).