Uwe Timm
Uwe Timm wird 1940 als drittes Kind eines Kürschners in Hamburg geboren. Als Nachzügler in der Familie steht er im Schatten seines 16 Jahre älteren Bruders, der sich freiwillig zur SS-Totenkopfdivision meldet und 1943 in einem Lazarett in der Ukraine verstirbt. In seiner autobiografischen Erzählung Am Beispiel meines Bruders (2003) hat Uwe Timm den Versuch einer literarischen Annäherung an Bruder und Vater unternommen. Nachdem die Familie 1943 in Hamburg ausgebombt wird, lebt Uwe Timm vorübergehend bei seinem Großonkel in Coburg. Diesem, dem Tierpräparator und Fahrradpionier Franz Schröder, setzt er Jahrzehnte später in der Legende Der Mann auf dem Hochrad (1984) ebenfalls ein literarisches Denkmal.
Timm macht eine Kürschnerlehre, übernimmt nach dem Tod des Vaters das Geschäft und holt 1963 am Braunschweig-Kolleg sein Abitur nach. Er studiert in München und Paris Philosophie und Germanistik. Mit einer Arbeit über den Philosophen Albert Camus promoviert er 1971 zum Dr. phil., danach nimmt er erneut ein Studium in München auf – Soziologie und Volkswirtschaftslehre.
Uwe Timm lässt sich als freier Schriftsteller nieder, Anfang der 1970er-Jahre zählt er zu den Mitgründern der Wortgruppe München und wird Mitherausgeber der AutorenEdition sowie der Zeitschrift Literarische Hefte.
Sein Debüt als (politischer) Lyriker gibt er 1971 mit dem Band Widersprüche. Es folgen die Hörspiele Herbert oder die Vorbereitung auf die Olympiade und – auch als Theaterstück – Die Steppensau.
Den Aufbruch der 68er-Bewegung verbunden mit dem Verlust der gesellschaftlichen Utopie erlebt Uwe Timm hautnah – als Student ist er im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) politisch aktiv. Die Auseinandersetzung damit vollzieht sich auch in seinem dichterischen Werk. In seinem Debütroman Heißer Sommer (1974) verbindet er persönliche Erfahrungen mit politischer Analyse, in seinem zweiten Roman Morenga (1978) geht es um den ersten schwarzafrikanischen Befreiungskampf unter dem „schwarzen Napoleon“ Jakob Morenga, sein dritter Roman Kerbels Flucht (1980) widmet sich dem Münchner Studenten und Taxifahrer Christian Kerbel, der an der Gesellschaft zerbricht und in „lustlose Larmoyanz“ verfällt. Letztere Romane werden außerdem für das Fernsehen verfilmt. 2005 erscheint mit der Erzählung Der Freund und der Fremde (Verfilmung 2008) Uwe Timms wohl persönlichste Auseinandersetzung mit der 68er-Generation, die Freundschaft zu dem 1967 auf der Anti-Schah-Demonstration in Berlin erschossenen Benno Ohnesorg.
Daneben faszinieren den Autor auch fremde Kulturen, die ihn bis nach Namibia, Peru und die Osterinseln führen. Neben dem schon erwähnten Morenga, der in Deutsch-Südwestafrika spielt, und der Herausgeberschaft in dem Fotoband Deutsche Kolonien (1981) sind dies vor allem der in Südamerika spielende Roman Der Schlangenbaum (1986) sowie die „römischen Aufzeichnungen“ Vogel, friß die Feige nicht (1989), worin Uwe Timm einen zweijährigen Aufenthalt in Rom dokumentiert.
Aber Uwe Timms Themenvielfalt erschöpft sich nicht darin. Im Roman Kopfjäger (1991) steht im Mittelpunkt der Bericht eines verurteilten Wirtschaftskriminellen, der als Broker mit seinem aus der DDR stammenden Kompagnon rund 23 Mrd. DM auf eigene Konten buchen lässt. In seinem – kommerziell wohl erfolgreichsten – Werk, der Novelle Die Entdeckung der Currywurst (1993), erzählt Timm vom kleinen Leben nach dem Krieg, während er im ironisch gefärbten Roman Johannisnacht (1996) die Geschichte über die Kartoffel zum Thema macht. Alltäglichkeiten wechseln so mit gesellschaftspolitischen Betrachtungen ab (vgl. auch seine „Versuche zu einer Ästhetik des Alltags“ Erzählen und kein Ende, 1993). Im 2001 veröffentlichten Roman Rot geht es um einen Altkommunarden und Beerdigungsredner, die Liebe und das Älterwerden, aber auch um verlorene Utopien und die Notwendigkeit politischen Denkens – ein Abgesang auf die 68er-Generation. Dagegen hat der 2008 erschienene Roman Halbschatten das Poetische und das Historische im Blick: Ausgangspunkt ist ein Gang über den Berliner Invalidenfriedhof, auf dem die dort begrabenen Kriegshelden zusammen mit erfundenen Figuren Uwe Timms die Geschichte der legendären Pilotin Marga von Etzdorf (1907-1933) erzählen. Dem Dichter gelingen mithin Abbilder der Wirklichkeit, die mehr aussagen als nur das, was ist, die sagen, was sein könnte.
Darüber hinaus ist Timm als Verfasser von Kinder- und Jugendbüchern hervorgetreten. Neben Die Zugmaus (1981) oder Der Schatz auf Pagensand (1995) ist sein bekanntestes das mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis prämierte und fürs Kino verfilmte Buch Rennschwein Rudi Rüssel (1989). Aber auch Filmdrehbücher haben ihn für ein außerliterarisches Publikum bekannt gemacht (Bubi Scholz Story, 1998; Eine Hand voll Gras, 2000).
2010 erscheinen erstmals seine „autobiografische Schriften“ Am Beispiel meines Lebens. 2013 gelangt sein Roman Vogelweide, der sich mit der Geschichte von zwei Paaren motivisch an Goethes Wahlverwandtschaften anlehnt, auf die Longlist des Deutschen Buchpreises. 2015 erschien der Essayband Montaignes Turm, der zehn Texte Timms aus den Jahren 1997 bis 2014 versammelt.
Für seine Romane und Erzählungen wird Uwe Timm mehrfach ausgezeichnet: Literaturförderpreis der Stadt Bremen (1979), Literaturpreis der Stadt München (1989 und 2002), Deutscher Jugendliteraturpreis (1990), Bayerischer Filmpreis (1996), Großer Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (2001), Tukan-Preis (2001), Stadtschreiber von Bergen-Enkheim (2002), Schubart-Literaturpreis (2003), Erik-Reger-Preis (2003), Jakob-Wassermann-Literaturpreis (2006), Literaturpreis Premio Napoli und Premio Mondello der Stadt Palermo (beide 2006), Heinrich-Böll-Preis (2009), Carl-Zuckmayer-Medaille des Landes Rheinland-Pfalz (2012), Kultureller Ehrenpreis der Landeshauptstadt München (2013) sowie die Auszeichnung „Pro meritis scientiae et litterarum“ (2021).
Der Autor lebt und arbeitet abwechselnd in München und Berlin. Er ist Mitglied des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS), des P.E.N.-Zentrums Deutschland, der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, der Bayerischen Akademie der Schönen Künste sowie der Akademie der Künste (Berlin).
Uwe Timm ist verheiratet mit der Literaturkritikerin und Übersetzerin Dagmar Ploetz und hat vier Kinder.
Sekundärliteratur:
Hielscher, Martin (Hg.) (2005): Uwe Timm Lesebuch. Die Stimme beim Schreiben. Dtv, München.
Ders. (2007): Uwe Timm. Dtv, München.
Malchow, Helge (Hg.) (2005): Der schöne Überfluss. Texte zu Leben und Werk von Uwe Timm. Kiepenheuer & Witsch, Köln.
Timm, Uwe. In: Munzinger Online/Personen - Internationales Biographisches Archiv, URL: http://www.munzinger.de/document/00000016779, (19.08.2012).
Externe Links:
Literatur über Uwe Timm im BVB
Schlagwort Uwe Timm in Zeit Online
Von essenden Sängern und singenden Ochsen. Sprechsituationen bei Uwe Timm
Interview mit Uwe Timm I (BR-alpha)
Interview mit Uwe Timm II (taz)
Interview mit Uwe Timm III (englischsprachig)
Laudatio für Uwe Timm zur Verleihung des Heinrich-Böll-Preises
Uwe Timm wird 1940 als drittes Kind eines Kürschners in Hamburg geboren. Als Nachzügler in der Familie steht er im Schatten seines 16 Jahre älteren Bruders, der sich freiwillig zur SS-Totenkopfdivision meldet und 1943 in einem Lazarett in der Ukraine verstirbt. In seiner autobiografischen Erzählung Am Beispiel meines Bruders (2003) hat Uwe Timm den Versuch einer literarischen Annäherung an Bruder und Vater unternommen. Nachdem die Familie 1943 in Hamburg ausgebombt wird, lebt Uwe Timm vorübergehend bei seinem Großonkel in Coburg. Diesem, dem Tierpräparator und Fahrradpionier Franz Schröder, setzt er Jahrzehnte später in der Legende Der Mann auf dem Hochrad (1984) ebenfalls ein literarisches Denkmal.
Timm macht eine Kürschnerlehre, übernimmt nach dem Tod des Vaters das Geschäft und holt 1963 am Braunschweig-Kolleg sein Abitur nach. Er studiert in München und Paris Philosophie und Germanistik. Mit einer Arbeit über den Philosophen Albert Camus promoviert er 1971 zum Dr. phil., danach nimmt er erneut ein Studium in München auf – Soziologie und Volkswirtschaftslehre.
Uwe Timm lässt sich als freier Schriftsteller nieder, Anfang der 1970er-Jahre zählt er zu den Mitgründern der Wortgruppe München und wird Mitherausgeber der AutorenEdition sowie der Zeitschrift Literarische Hefte.
Sein Debüt als (politischer) Lyriker gibt er 1971 mit dem Band Widersprüche. Es folgen die Hörspiele Herbert oder die Vorbereitung auf die Olympiade und – auch als Theaterstück – Die Steppensau.
Den Aufbruch der 68er-Bewegung verbunden mit dem Verlust der gesellschaftlichen Utopie erlebt Uwe Timm hautnah – als Student ist er im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) politisch aktiv. Die Auseinandersetzung damit vollzieht sich auch in seinem dichterischen Werk. In seinem Debütroman Heißer Sommer (1974) verbindet er persönliche Erfahrungen mit politischer Analyse, in seinem zweiten Roman Morenga (1978) geht es um den ersten schwarzafrikanischen Befreiungskampf unter dem „schwarzen Napoleon“ Jakob Morenga, sein dritter Roman Kerbels Flucht (1980) widmet sich dem Münchner Studenten und Taxifahrer Christian Kerbel, der an der Gesellschaft zerbricht und in „lustlose Larmoyanz“ verfällt. Letztere Romane werden außerdem für das Fernsehen verfilmt. 2005 erscheint mit der Erzählung Der Freund und der Fremde (Verfilmung 2008) Uwe Timms wohl persönlichste Auseinandersetzung mit der 68er-Generation, die Freundschaft zu dem 1967 auf der Anti-Schah-Demonstration in Berlin erschossenen Benno Ohnesorg.
Daneben faszinieren den Autor auch fremde Kulturen, die ihn bis nach Namibia, Peru und die Osterinseln führen. Neben dem schon erwähnten Morenga, der in Deutsch-Südwestafrika spielt, und der Herausgeberschaft in dem Fotoband Deutsche Kolonien (1981) sind dies vor allem der in Südamerika spielende Roman Der Schlangenbaum (1986) sowie die „römischen Aufzeichnungen“ Vogel, friß die Feige nicht (1989), worin Uwe Timm einen zweijährigen Aufenthalt in Rom dokumentiert.
Aber Uwe Timms Themenvielfalt erschöpft sich nicht darin. Im Roman Kopfjäger (1991) steht im Mittelpunkt der Bericht eines verurteilten Wirtschaftskriminellen, der als Broker mit seinem aus der DDR stammenden Kompagnon rund 23 Mrd. DM auf eigene Konten buchen lässt. In seinem – kommerziell wohl erfolgreichsten – Werk, der Novelle Die Entdeckung der Currywurst (1993), erzählt Timm vom kleinen Leben nach dem Krieg, während er im ironisch gefärbten Roman Johannisnacht (1996) die Geschichte über die Kartoffel zum Thema macht. Alltäglichkeiten wechseln so mit gesellschaftspolitischen Betrachtungen ab (vgl. auch seine „Versuche zu einer Ästhetik des Alltags“ Erzählen und kein Ende, 1993). Im 2001 veröffentlichten Roman Rot geht es um einen Altkommunarden und Beerdigungsredner, die Liebe und das Älterwerden, aber auch um verlorene Utopien und die Notwendigkeit politischen Denkens – ein Abgesang auf die 68er-Generation. Dagegen hat der 2008 erschienene Roman Halbschatten das Poetische und das Historische im Blick: Ausgangspunkt ist ein Gang über den Berliner Invalidenfriedhof, auf dem die dort begrabenen Kriegshelden zusammen mit erfundenen Figuren Uwe Timms die Geschichte der legendären Pilotin Marga von Etzdorf (1907-1933) erzählen. Dem Dichter gelingen mithin Abbilder der Wirklichkeit, die mehr aussagen als nur das, was ist, die sagen, was sein könnte.
Darüber hinaus ist Timm als Verfasser von Kinder- und Jugendbüchern hervorgetreten. Neben Die Zugmaus (1981) oder Der Schatz auf Pagensand (1995) ist sein bekanntestes das mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis prämierte und fürs Kino verfilmte Buch Rennschwein Rudi Rüssel (1989). Aber auch Filmdrehbücher haben ihn für ein außerliterarisches Publikum bekannt gemacht (Bubi Scholz Story, 1998; Eine Hand voll Gras, 2000).
2010 erscheinen erstmals seine „autobiografische Schriften“ Am Beispiel meines Lebens. 2013 gelangt sein Roman Vogelweide, der sich mit der Geschichte von zwei Paaren motivisch an Goethes Wahlverwandtschaften anlehnt, auf die Longlist des Deutschen Buchpreises. 2015 erschien der Essayband Montaignes Turm, der zehn Texte Timms aus den Jahren 1997 bis 2014 versammelt.
Für seine Romane und Erzählungen wird Uwe Timm mehrfach ausgezeichnet: Literaturförderpreis der Stadt Bremen (1979), Literaturpreis der Stadt München (1989 und 2002), Deutscher Jugendliteraturpreis (1990), Bayerischer Filmpreis (1996), Großer Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (2001), Tukan-Preis (2001), Stadtschreiber von Bergen-Enkheim (2002), Schubart-Literaturpreis (2003), Erik-Reger-Preis (2003), Jakob-Wassermann-Literaturpreis (2006), Literaturpreis Premio Napoli und Premio Mondello der Stadt Palermo (beide 2006), Heinrich-Böll-Preis (2009), Carl-Zuckmayer-Medaille des Landes Rheinland-Pfalz (2012), Kultureller Ehrenpreis der Landeshauptstadt München (2013) sowie die Auszeichnung „Pro meritis scientiae et litterarum“ (2021).
Der Autor lebt und arbeitet abwechselnd in München und Berlin. Er ist Mitglied des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS), des P.E.N.-Zentrums Deutschland, der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, der Bayerischen Akademie der Schönen Künste sowie der Akademie der Künste (Berlin).
Uwe Timm ist verheiratet mit der Literaturkritikerin und Übersetzerin Dagmar Ploetz und hat vier Kinder.
Hielscher, Martin (Hg.) (2005): Uwe Timm Lesebuch. Die Stimme beim Schreiben. Dtv, München.
Ders. (2007): Uwe Timm. Dtv, München.
Malchow, Helge (Hg.) (2005): Der schöne Überfluss. Texte zu Leben und Werk von Uwe Timm. Kiepenheuer & Witsch, Köln.
Timm, Uwe. In: Munzinger Online/Personen - Internationales Biographisches Archiv, URL: http://www.munzinger.de/document/00000016779, (19.08.2012).
Literatur über Uwe Timm im BVB
Schlagwort Uwe Timm in Zeit Online
Von essenden Sängern und singenden Ochsen. Sprechsituationen bei Uwe Timm
Interview mit Uwe Timm I (BR-alpha)
Interview mit Uwe Timm II (taz)
Interview mit Uwe Timm III (englischsprachig)
Laudatio für Uwe Timm zur Verleihung des Heinrich-Böll-Preises