Sebastian Kneipp
Die Kindheit von Sebastian Kneipp ist von großer Armut und Schicksalsschlägen geprägt. Seine Mutter Rosina (geb. Obser, verw. Schalber) bringt die Halbschwestern Magdalena und Maria aus ihrer Ehe mit dem Weber Michael Schalber in die zweite Ehe mit dem 15 Jahre jüngeren Weber Xaver Kneipp ein. Nach Maria Victoria und Sebastian wird die Schwester Theresia geboren. Der Kontakt mit anderen Kindern ist Sebastian von der strengen Mutter verboten, er wird als Hütebub eingesetzt und sitzt im Winter im Keller des Hauses am Webstuhl. Früh bildet sich sein Herzenswunsch aus, Pfarrer zu werden. Den Eltern fehlt das Geld für ein Studium, Sebastian findet weder bei den Pfarrern der Umgebung noch bei seinen Eltern Unterstützung für sein Vorhaben. Er verdingt sich bei anderen Bauern und spart Geld für seine Zukunft. Mutter Rosina stirbt kurz nach seinem 17. Geburtstag. Am 17. Mai 1841 – dem Tag seines 20. Geburtstags – brennt das Geburtshaus (Stephansried Nr. 12) ab. Kneipps Ersparnisse, die ihm das Studium der Theologie ermöglichen sollten, gehen dabei verloren.
Im Herbst hilft er noch beim Aufbau des Elternhauses (an anderer Stelle) in Stephansried, geht auf Wanderschaft und findet 1842 schließlich in Grönenbach Unterschlupf im Haus des Bürgermeisters. Dort arbeitet er als Knecht und bekommt bei Kaplan Matthias Merke, einem entfernten Verwandten, Unterricht in Latein. Merkle bereitet ihn aufs Gymnasium vor und nimmt Kneipp 1843 mit nach Augsburg. In Dillingen verschafft Merkle seinem Schützling 1844 einen Platz auf dem Gymnasium. Als Vertreter des Ultramontanismus prägt er die theologische Sicht Kneipps. Eine Lungenerkrankung macht Sebastian Kneipp das Leben schwer, die Ärzte können ihm nicht helfen. Durch Zufall entdeckt er 1848 – er studiert nun bereits Theologie – während eines ersten Studienaufenthalts in München in der Hofbibliothek ein Werk von Johann Siegmund Hahn über die Kraft und Wirkung des frischen Wassers, im November 1849 beginnt Kneipp mit kalten Tauchbädern in der Donau. Er nimmt zu Hause Halbbäder, übergießt sich mit Wasser und wird wieder gesund. 1850 erhält Kneipp einen Freiplatz am Georgianum in München und setzt dort sein Theologiestudium fort. Die täglichen Wasseranwendungen behält er bei und behandelt heimlich an Tuberkulose erkrankte Kommilitonen.
Am 6. August 1852 wird Sebastian Kneipp von Bischof Peter von Richarz im Augsburger Dom zum Priester geweiht, seine Primiz feiert er – im Beisein seines Vaters Xaver Kneipp – am 24. August 1852 in der Abteikirche des Klosters Ottobeuren. Bis 1855 hat er drei Stellen als Kaplan inne, in Biberbach, Boos und in St. Moritz in Augsburg. Insbesondere in Boos behandelt er Cholera-Erkrankte, sehr zum Missfallen von Apothekern und Ärzten der Umgebung. Seinem Vater kann er nicht mehr helfen, er besucht ihn zwar noch in Stephansried, für eine Therapie ist es jedoch bereits zu spät: Xaver Kneipp, der mit seiner zweiten Frau Maria Anna (geb. Herz) in Stephansried lebt, stirbt dort am 4. September 1854. Der Augsburger Bischof Peter von Richarz betrachtet die heilkundlichen Erfolge Kneipps – im Volksmund wird er „Cholera-Kaplan“ genannt – mit Argwohn; er versetzt ihn zunächst nach Augsburg, im Mai 1855 – trotz Protesten der Pfarreiangehörigen – schließlich als Beichtvater ans Kloster der Dominikanerinnen in Wörishofen. Hier ist Kneipp nicht nur seelsorgerisch tätig, sondern greift auf seinen Erfahrungsschatz aus der Landwirtschaft zurück und verbessert die Klosterökonomie. Sein Wissen aus der Haltung von Bienen und Kaninchen, dem Futteranbau und der Viehzucht gibt er in den 1870er-Jahren auch in Buchform weiter, es erscheinen Bienen-Büchlein (1873), Die Kaninchenzucht (1873), Fritz, der fleißige Landwirt (1874), Fritz, der fleißige Futterbauer (1875) und Fritz, der eifrige Viehzüchter (1877).
Gleichzeitig experimentiert er mit Wasseranwendungen und Kräutern weiter an sich selbst und anderen. Vor allem Geistliche suchen Wörishofen auf, um im Kloster von Kneipp behandelt zu werden. Auf Initiative von Friedrich Bernhuber, einem Arzt aus dem benachbarten Türkheim, führt Kneipp 1884 eine tägliche Sprechstunde ein. Der Erzabt der Beuroner Benediktinerkongregation Maurus Wolter – selbst ein Besucher im Kloster Wörishofen – überzeugt den „Wasserdoktor“ davon, seine Heilmethode in Buchform herauszubringen und schickt Pater Ildephons Schober, um alles schriftlich festzuhalten.
Kneipps bekanntestes Werk Meine Wasserkur erscheint erstmals im Oktober 1886. Der ursprüngliche Gedanke, dadurch die Kranken von einem Besuch Wörishofens abzuhalten, verkehrt sich ins Gegenteil: Statt eine Anwendung zu Hause vorzunehmen, kommen nun umso mehr Menschen hilfesuchend nach Wörishofen. Der Beschluss des Wörishofer Gemeinderats im Jahr 1890, Kurort zu werden, führt zu einer rasanten Bau- und Ortsentwicklung. Sebastian Kneipp setzt die von ihm erwirtschafteten Mittel zum Bau dreier großer Häuser (Sebastianeum, Kinderasyl und Kneippianum) ein, um insbesondere für Geistliche, Arme und Kinder Unterbringung und Therapie zu ermöglichen.
1891 erscheinen die ersten drei Kneipp-Biographien von Justus Verus, Alphons vom Rhein und Pater Friedrich Mayer. Es kommt zur Gründung von Kneippvereinen, der Kneipp-Ärztebund gründet sich, Schriftreihen und Zeitungen werden herausgegeben sowie unzählige Sekundärliteratur. Früher bestehende Wasserheilanstalten richten sich auf Kneipp-Anwendungen aus, in Europa und den USA werden neue Kneipp-Heilanstalten errichtet, Kneipps Schriften werden in alle gängigen Sprachen übersetzt: So sollt ihr leben! (1889), Ratgeber für Gesunde und Kranke (1891), Kinderpflege in gesunden und kranken Tagen (1891), Mein Testament für Gesunde und Kranke (1894) und Codizill zu meinem Testamente für Gesunde und Kranke (1896). Kneipps Autobiographie erscheint zunächst in Fortsetzungen zwischen 1897 und 1921 in den Kneippblättern; 1979 werden seine Lebenserinnerungen vom Stammkneippverein zusammengefasst und unter dem Titel Aus meinem Leben in Buchform herausgegeben.
1890 beginnt Sebastian Kneipp mit verschiedenen Vorträgen auch außerhalb Wörishofens, in den sieben Jahren bis zu seinem Tod unternimmt er Vortragsreisen durch weite Teile Europas. Er spricht in freier Rede im schwäbischen Dialekt, humorvoll, manchmal auch derb, in den größten Sälen seiner Zeit, mit seiner kräftigen Stimme erreicht er bis zu 5.000 Besucher. Die Verehrung des Meisters wie auch seine Verkommerzialisierung setzen immer stärker ein. Erzherzog Joseph von Österreich wird beim Papst vorstellig, der Kneipp im November 1893 mehrere Ehrentitel verleiht und ihn u.a. zum Monsignore ernennt. Kneipp – seit 1892 Ehrenbürger Wörishofens – ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Kranke wie Neugierige kommen inzwischen aus allen Teilen der Welt. Auch die Nationalsozialisten versuchen später, den Kneippgedanken ideologisch für ihre Zwecke zu vereinnahmen. Das von Josef Wolf und Ludwig Burghardt herausgegebene Buch Ein Bauerndorf wird Weltbad (1965) zeichnet die rasante Verbreitung der Kneippkur sowie die damit einhergehende Ortsentwicklung nach.
Der Film Der Wasserdoktor bringt 1958 die Filmprominenz in die Kneippstadt. Kneippkurorte und Kneippheilbäder boomen nach dem Zweiten Weltkrieg wieder. Auch in Kneipps Geburtsheimat, in Ottobeuren und Grönenbach, entstehen 1954 die ersten Kureinrichtungen und werden dort ein halbes Jahrhundert zum wesentlichen Wirtschaftsfaktor. Die Gesundheitsreform der 1990er-Jahre läutet jedoch überall einen starken Nachfragerückgang ein. Die Feiern zum 200. Geburtstag 2021 lenken die Aufmerksamkeit – mit Festakten, einer 20-Euro-Münze der Bundesbank und der dritten Kneipp-Briefmarke der Deutschen Post – nochmals auf den „Helfer der Menschheit“. Den Abwärtstrend kann dies nur kurz aufhalten: Mit dem Sebastianeum schließt 2023 das letzte der drei großen, von Kneipp erbauten Häuser in Bad Wörishofen.
Die Fünf Säulen – Wasseranwendung, Bewegung, Ernährung, Heilkräuter und Balance – der Kneipptherapie bleiben jedoch prägende Elemente der Naturheilkunde. Die letzte Säule weist auf Kneipps Motivation hin, als Seelsorger die Seele der Menschen zu retten. „Ich kann gewissenhaft sagen, ich habe die Medizin geflohen so viel als möglich, aber entkommen konnte ich ihr nicht, da mich gerade die Seelsorge so viel zu den Kranken führte.“ Dazu gehören zeitlebens auch – mehrfach erfolgreiche – Versuche, protestantische Christen zum Katholizismus zu bekehren. Sebastian Kneipp führt seelisches Gleichgewicht und Therapieerfolg zusammen: „Erst als ich Ordnung in die Seelen der Menschen brachte, besserten sich auch die körperlichen Gebrechen“, schreibt er in seinen Erinnerungen.
Sekundärliteratur:
Baumgarten, Alfred (1898): Sebastian Kneipp. Biographische Studie. Berlin.
Breinlinger, Hans (1975): So sollt ihr leben. In: Schwäbische Dickköpfe. Letzte Besuche bei sieben berühmten Schwaben. Allgäuer Zeitungsverlag, Kempten, S. 8-19.
Feldmann, Christian (2012): Sebastian Kneipp. Der fünfzehnte Nothelfer. Reihe Kleine bayerische Biografien. Friedrich Pustet Verlag, Regensburg.
Kolb, Aegidius (1987): Sebastian Kneipp. In: Landkreis Unterallgäu. Bedeutende Persönlichkeiten, S. 837f.
Mader, Gottfried (1974): Dokumentierte Wirkungsgeschichte zum 100. Todestag von Sebastian Kneipp (1821-1897). 2., überarb. und erw. Ausg. der Erg. zur Bibliographie des Kneippschrifttums (J. M. Mariafai).
Ders. (2009): Dokumentierte Wirkungsgeschichte zum 100. Todestag von Sebastian Kneipp (1821-1897). Ergänzungsbibliographie, III. Ergänzungsheft mit Anhang Johann Siegemund Hahn und Sebastian Kneipp. Bremen.
Mariafai, Judith M. (1974): Bibliographie des Kneippschrifttums. Von den Werken Sebastian Kneipps bis zum Buchangebot unserer Tage. Hg. vom Kneipp-Bund e.V., Verb. der Kneipp-Vereine Deutschlands. Wiss. Beirat, Bad Wörishofen.
Mariafai, Judith M.; Kostenbader, Walter (1993): Sebastian Kneipp. Kneipp-Verlag, Bad Wörishofen.
Mayer, Antonie (2009): Die Kneipp-Familie. Starke, Limburg (Lahn).
Mayer, Friedrich (1891): Zweiunddreißig Vorträge des hochw. Herrn Pfarrers Sebastian Kneipp über Krankheiten und Heilkräuter nebst einer ausführlichen Biographie. Linz. URL: https://www.ottobeuren-macht-geschichte.de/items/show/757, (15.11.2024).
Mayer, Friedrich (1893): Sebastian Kneipp, der Priesterarzt in Wörishofen. Ein Bild seines Lebens und Wirkens. 2. Aufl. Linz. URL: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11563384?page=,1, (15.11.2024).
Riedl-Valder, Christine: Das Dominikanerinnenkloster Maria Königin der Engel in Bad Wörishofen. In: Haus der Bayerischen Geschichte. Klöster in Bayern. URL: https://www.hdbg.eu/kloster/index.php/detail/geschichte?id=KS0438, (15.11.2024).
Stammkneippverein (Hg.) (1979): Sebastian Kneipp. Aus meinem Leben. Selbstbiographie. Bad Wörishofen.
Verus, Justus (1897): Vater Kneipp, sein Leben und sein Wirken. Mit einem Anhange über seine letzten Lebenstage, die Beisetzungsfeierlichkeiten und die Zukunft Wörishofens. Kempten. URL: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11802105?page=,1, (15.11.2024).
Vom Rhein, Alphons (1891): Das Buch vom Pfarrer Kneipp. Festschrift zum 70. Geburtstag. Kempten. URL: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11564335?page=,1, (15.11.2024)
Waibel, W. (1952): Sebastian Kneipp. In: Lebensbilder aus dem Bayerischen Schwaben 1, S. 395-413 (mit weiterer Literatur).
Wolf, Josef; Burghardt, Ludwig (1965): Ein Bauerndorf wird Weltbad. Sebastian Kneipp und sein Wörishofen. Bad Wörishofen.
Externe Links:
Literatur von Sebastian Kneipp im BVB
Literatur über Sebastian Kneipp im BVB
Sebastian Kneipp auf Ottobeuren macht Geschichte
Prachtband von Dr. Baumgarten zu Sebastian Kneipp
Die Kindheit von Sebastian Kneipp ist von großer Armut und Schicksalsschlägen geprägt. Seine Mutter Rosina (geb. Obser, verw. Schalber) bringt die Halbschwestern Magdalena und Maria aus ihrer Ehe mit dem Weber Michael Schalber in die zweite Ehe mit dem 15 Jahre jüngeren Weber Xaver Kneipp ein. Nach Maria Victoria und Sebastian wird die Schwester Theresia geboren. Der Kontakt mit anderen Kindern ist Sebastian von der strengen Mutter verboten, er wird als Hütebub eingesetzt und sitzt im Winter im Keller des Hauses am Webstuhl. Früh bildet sich sein Herzenswunsch aus, Pfarrer zu werden. Den Eltern fehlt das Geld für ein Studium, Sebastian findet weder bei den Pfarrern der Umgebung noch bei seinen Eltern Unterstützung für sein Vorhaben. Er verdingt sich bei anderen Bauern und spart Geld für seine Zukunft. Mutter Rosina stirbt kurz nach seinem 17. Geburtstag. Am 17. Mai 1841 – dem Tag seines 20. Geburtstags – brennt das Geburtshaus (Stephansried Nr. 12) ab. Kneipps Ersparnisse, die ihm das Studium der Theologie ermöglichen sollten, gehen dabei verloren.
Im Herbst hilft er noch beim Aufbau des Elternhauses (an anderer Stelle) in Stephansried, geht auf Wanderschaft und findet 1842 schließlich in Grönenbach Unterschlupf im Haus des Bürgermeisters. Dort arbeitet er als Knecht und bekommt bei Kaplan Matthias Merke, einem entfernten Verwandten, Unterricht in Latein. Merkle bereitet ihn aufs Gymnasium vor und nimmt Kneipp 1843 mit nach Augsburg. In Dillingen verschafft Merkle seinem Schützling 1844 einen Platz auf dem Gymnasium. Als Vertreter des Ultramontanismus prägt er die theologische Sicht Kneipps. Eine Lungenerkrankung macht Sebastian Kneipp das Leben schwer, die Ärzte können ihm nicht helfen. Durch Zufall entdeckt er 1848 – er studiert nun bereits Theologie – während eines ersten Studienaufenthalts in München in der Hofbibliothek ein Werk von Johann Siegmund Hahn über die Kraft und Wirkung des frischen Wassers, im November 1849 beginnt Kneipp mit kalten Tauchbädern in der Donau. Er nimmt zu Hause Halbbäder, übergießt sich mit Wasser und wird wieder gesund. 1850 erhält Kneipp einen Freiplatz am Georgianum in München und setzt dort sein Theologiestudium fort. Die täglichen Wasseranwendungen behält er bei und behandelt heimlich an Tuberkulose erkrankte Kommilitonen.
Am 6. August 1852 wird Sebastian Kneipp von Bischof Peter von Richarz im Augsburger Dom zum Priester geweiht, seine Primiz feiert er – im Beisein seines Vaters Xaver Kneipp – am 24. August 1852 in der Abteikirche des Klosters Ottobeuren. Bis 1855 hat er drei Stellen als Kaplan inne, in Biberbach, Boos und in St. Moritz in Augsburg. Insbesondere in Boos behandelt er Cholera-Erkrankte, sehr zum Missfallen von Apothekern und Ärzten der Umgebung. Seinem Vater kann er nicht mehr helfen, er besucht ihn zwar noch in Stephansried, für eine Therapie ist es jedoch bereits zu spät: Xaver Kneipp, der mit seiner zweiten Frau Maria Anna (geb. Herz) in Stephansried lebt, stirbt dort am 4. September 1854. Der Augsburger Bischof Peter von Richarz betrachtet die heilkundlichen Erfolge Kneipps – im Volksmund wird er „Cholera-Kaplan“ genannt – mit Argwohn; er versetzt ihn zunächst nach Augsburg, im Mai 1855 – trotz Protesten der Pfarreiangehörigen – schließlich als Beichtvater ans Kloster der Dominikanerinnen in Wörishofen. Hier ist Kneipp nicht nur seelsorgerisch tätig, sondern greift auf seinen Erfahrungsschatz aus der Landwirtschaft zurück und verbessert die Klosterökonomie. Sein Wissen aus der Haltung von Bienen und Kaninchen, dem Futteranbau und der Viehzucht gibt er in den 1870er-Jahren auch in Buchform weiter, es erscheinen Bienen-Büchlein (1873), Die Kaninchenzucht (1873), Fritz, der fleißige Landwirt (1874), Fritz, der fleißige Futterbauer (1875) und Fritz, der eifrige Viehzüchter (1877).
Gleichzeitig experimentiert er mit Wasseranwendungen und Kräutern weiter an sich selbst und anderen. Vor allem Geistliche suchen Wörishofen auf, um im Kloster von Kneipp behandelt zu werden. Auf Initiative von Friedrich Bernhuber, einem Arzt aus dem benachbarten Türkheim, führt Kneipp 1884 eine tägliche Sprechstunde ein. Der Erzabt der Beuroner Benediktinerkongregation Maurus Wolter – selbst ein Besucher im Kloster Wörishofen – überzeugt den „Wasserdoktor“ davon, seine Heilmethode in Buchform herauszubringen und schickt Pater Ildephons Schober, um alles schriftlich festzuhalten.
Kneipps bekanntestes Werk Meine Wasserkur erscheint erstmals im Oktober 1886. Der ursprüngliche Gedanke, dadurch die Kranken von einem Besuch Wörishofens abzuhalten, verkehrt sich ins Gegenteil: Statt eine Anwendung zu Hause vorzunehmen, kommen nun umso mehr Menschen hilfesuchend nach Wörishofen. Der Beschluss des Wörishofer Gemeinderats im Jahr 1890, Kurort zu werden, führt zu einer rasanten Bau- und Ortsentwicklung. Sebastian Kneipp setzt die von ihm erwirtschafteten Mittel zum Bau dreier großer Häuser (Sebastianeum, Kinderasyl und Kneippianum) ein, um insbesondere für Geistliche, Arme und Kinder Unterbringung und Therapie zu ermöglichen.
1891 erscheinen die ersten drei Kneipp-Biographien von Justus Verus, Alphons vom Rhein und Pater Friedrich Mayer. Es kommt zur Gründung von Kneippvereinen, der Kneipp-Ärztebund gründet sich, Schriftreihen und Zeitungen werden herausgegeben sowie unzählige Sekundärliteratur. Früher bestehende Wasserheilanstalten richten sich auf Kneipp-Anwendungen aus, in Europa und den USA werden neue Kneipp-Heilanstalten errichtet, Kneipps Schriften werden in alle gängigen Sprachen übersetzt: So sollt ihr leben! (1889), Ratgeber für Gesunde und Kranke (1891), Kinderpflege in gesunden und kranken Tagen (1891), Mein Testament für Gesunde und Kranke (1894) und Codizill zu meinem Testamente für Gesunde und Kranke (1896). Kneipps Autobiographie erscheint zunächst in Fortsetzungen zwischen 1897 und 1921 in den Kneippblättern; 1979 werden seine Lebenserinnerungen vom Stammkneippverein zusammengefasst und unter dem Titel Aus meinem Leben in Buchform herausgegeben.
1890 beginnt Sebastian Kneipp mit verschiedenen Vorträgen auch außerhalb Wörishofens, in den sieben Jahren bis zu seinem Tod unternimmt er Vortragsreisen durch weite Teile Europas. Er spricht in freier Rede im schwäbischen Dialekt, humorvoll, manchmal auch derb, in den größten Sälen seiner Zeit, mit seiner kräftigen Stimme erreicht er bis zu 5.000 Besucher. Die Verehrung des Meisters wie auch seine Verkommerzialisierung setzen immer stärker ein. Erzherzog Joseph von Österreich wird beim Papst vorstellig, der Kneipp im November 1893 mehrere Ehrentitel verleiht und ihn u.a. zum Monsignore ernennt. Kneipp – seit 1892 Ehrenbürger Wörishofens – ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Kranke wie Neugierige kommen inzwischen aus allen Teilen der Welt. Auch die Nationalsozialisten versuchen später, den Kneippgedanken ideologisch für ihre Zwecke zu vereinnahmen. Das von Josef Wolf und Ludwig Burghardt herausgegebene Buch Ein Bauerndorf wird Weltbad (1965) zeichnet die rasante Verbreitung der Kneippkur sowie die damit einhergehende Ortsentwicklung nach.
Der Film Der Wasserdoktor bringt 1958 die Filmprominenz in die Kneippstadt. Kneippkurorte und Kneippheilbäder boomen nach dem Zweiten Weltkrieg wieder. Auch in Kneipps Geburtsheimat, in Ottobeuren und Grönenbach, entstehen 1954 die ersten Kureinrichtungen und werden dort ein halbes Jahrhundert zum wesentlichen Wirtschaftsfaktor. Die Gesundheitsreform der 1990er-Jahre läutet jedoch überall einen starken Nachfragerückgang ein. Die Feiern zum 200. Geburtstag 2021 lenken die Aufmerksamkeit – mit Festakten, einer 20-Euro-Münze der Bundesbank und der dritten Kneipp-Briefmarke der Deutschen Post – nochmals auf den „Helfer der Menschheit“. Den Abwärtstrend kann dies nur kurz aufhalten: Mit dem Sebastianeum schließt 2023 das letzte der drei großen, von Kneipp erbauten Häuser in Bad Wörishofen.
Die Fünf Säulen – Wasseranwendung, Bewegung, Ernährung, Heilkräuter und Balance – der Kneipptherapie bleiben jedoch prägende Elemente der Naturheilkunde. Die letzte Säule weist auf Kneipps Motivation hin, als Seelsorger die Seele der Menschen zu retten. „Ich kann gewissenhaft sagen, ich habe die Medizin geflohen so viel als möglich, aber entkommen konnte ich ihr nicht, da mich gerade die Seelsorge so viel zu den Kranken führte.“ Dazu gehören zeitlebens auch – mehrfach erfolgreiche – Versuche, protestantische Christen zum Katholizismus zu bekehren. Sebastian Kneipp führt seelisches Gleichgewicht und Therapieerfolg zusammen: „Erst als ich Ordnung in die Seelen der Menschen brachte, besserten sich auch die körperlichen Gebrechen“, schreibt er in seinen Erinnerungen.
Baumgarten, Alfred (1898): Sebastian Kneipp. Biographische Studie. Berlin.
Breinlinger, Hans (1975): So sollt ihr leben. In: Schwäbische Dickköpfe. Letzte Besuche bei sieben berühmten Schwaben. Allgäuer Zeitungsverlag, Kempten, S. 8-19.
Feldmann, Christian (2012): Sebastian Kneipp. Der fünfzehnte Nothelfer. Reihe Kleine bayerische Biografien. Friedrich Pustet Verlag, Regensburg.
Kolb, Aegidius (1987): Sebastian Kneipp. In: Landkreis Unterallgäu. Bedeutende Persönlichkeiten, S. 837f.
Mader, Gottfried (1974): Dokumentierte Wirkungsgeschichte zum 100. Todestag von Sebastian Kneipp (1821-1897). 2., überarb. und erw. Ausg. der Erg. zur Bibliographie des Kneippschrifttums (J. M. Mariafai).
Ders. (2009): Dokumentierte Wirkungsgeschichte zum 100. Todestag von Sebastian Kneipp (1821-1897). Ergänzungsbibliographie, III. Ergänzungsheft mit Anhang Johann Siegemund Hahn und Sebastian Kneipp. Bremen.
Mariafai, Judith M. (1974): Bibliographie des Kneippschrifttums. Von den Werken Sebastian Kneipps bis zum Buchangebot unserer Tage. Hg. vom Kneipp-Bund e.V., Verb. der Kneipp-Vereine Deutschlands. Wiss. Beirat, Bad Wörishofen.
Mariafai, Judith M.; Kostenbader, Walter (1993): Sebastian Kneipp. Kneipp-Verlag, Bad Wörishofen.
Mayer, Antonie (2009): Die Kneipp-Familie. Starke, Limburg (Lahn).
Mayer, Friedrich (1891): Zweiunddreißig Vorträge des hochw. Herrn Pfarrers Sebastian Kneipp über Krankheiten und Heilkräuter nebst einer ausführlichen Biographie. Linz. URL: https://www.ottobeuren-macht-geschichte.de/items/show/757, (15.11.2024).
Mayer, Friedrich (1893): Sebastian Kneipp, der Priesterarzt in Wörishofen. Ein Bild seines Lebens und Wirkens. 2. Aufl. Linz. URL: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11563384?page=,1, (15.11.2024).
Riedl-Valder, Christine: Das Dominikanerinnenkloster Maria Königin der Engel in Bad Wörishofen. In: Haus der Bayerischen Geschichte. Klöster in Bayern. URL: https://www.hdbg.eu/kloster/index.php/detail/geschichte?id=KS0438, (15.11.2024).
Stammkneippverein (Hg.) (1979): Sebastian Kneipp. Aus meinem Leben. Selbstbiographie. Bad Wörishofen.
Verus, Justus (1897): Vater Kneipp, sein Leben und sein Wirken. Mit einem Anhange über seine letzten Lebenstage, die Beisetzungsfeierlichkeiten und die Zukunft Wörishofens. Kempten. URL: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11802105?page=,1, (15.11.2024).
Vom Rhein, Alphons (1891): Das Buch vom Pfarrer Kneipp. Festschrift zum 70. Geburtstag. Kempten. URL: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11564335?page=,1, (15.11.2024)
Waibel, W. (1952): Sebastian Kneipp. In: Lebensbilder aus dem Bayerischen Schwaben 1, S. 395-413 (mit weiterer Literatur).
Wolf, Josef; Burghardt, Ludwig (1965): Ein Bauerndorf wird Weltbad. Sebastian Kneipp und sein Wörishofen. Bad Wörishofen.