Info
Geb.: 25. 5.1926 in Bayreuth
Gest.: 7. 4.2005 in Dortmund
Fotografie 1968 (Bayerische Staatsbibliothek München/Timpe)

Max von der Grün

Max (Martin) von der Grün, aus dem (verarmten) fränkischen Adelsgeschlecht „von der Grün“ stammend, wird am 25. Mai 1926 – nach publizierter Angabe des Autors – als Sohn von Albert von der Grün (1901-1965), eines Schuhmachers in Bayreuth und Margarethe geborene Mark (1901-1975), einer Dienstmagd und späteren Porzellanarbeiterin, geboren. Der Vater ist auf Wanderschaft. Am 3. Oktober 1938 steht der 12-jährige Max am Straßenrand von Schönwald inmitten jubelnder HJ und sieht Hitler in seinem „Horch“ auf dem Weg nach Eger. Die Großmutter, Maria von der Grün, bei der Max aufwächst, bleibt genauso der Straße fern wie seine Mutter. Unter den Nazis ist seine Familie Repressionen ausgesetzt, da sein Stiefvater Albert als „Zeuge Jehovas“ aktiv ist und am 1. Oktober 1938 beim Einmarsch der Wehrmacht in das Sudetenland (wegen Verbreitung illegaler Sektenschriften) in Paulusbrunn/Kreis Tachau verhaftet und in das Zuchthaus Amberg eingeliefert wird. Am 14. Oktober 1938 kommt er als Schutzhäftling ins KZ Dachau (Häftlings-Nummer 19084).

Max darf das Gymnasium nicht mehr weiter besuchen. Sein Deutschlehrer schenkt ihm 1940 heimlich Sternstunden der Menschheit von Stefan Zweig, dessen Bücher verboten und ebenfalls auf dem Opernplatz in Berlin am 10. Mai 1933 symbolisch verbrannt worden sind. Seine Leselust ist geweckt, die natürlich auch Karl May mit einschließt.

Max schließt die Handelsschule ab und beginnt 1941 eine kaufmännische Lehre bei der Familie Rosenthal in Selb. Von Schönwald (damals Kreis Rehau) zieht Max am 24. Januar 1942 nach Mitterteich (Wehrgasse 1). Am 28. August 1943 kommt er zum „Reichsarbeitsdienst“ (RAD) nach Zeidldorn (5/2 90), Kreis Straubing. Am Zweiten Weltkrieg nimmt er – wie seine Jahrgangsgleichen Erich Loest, Hermann Kant, Dieter Lattmann oder Heinz Piontek – teil. Max ist Fallschirmjäger (Ausbildung in Gardelegen bei Magdeburg beim Gen. Kdo XI/Fl. Korps, später Wahner Heide bei Bonn) und Funker und gerät nach der Invasion 1944 bei Quimper (Bretagne) in US-amerikanische Kriegsgefangenschaft. In den Lagern in Schottland, Louisiana, Texas und New-Mexico arbeitet er als Holzfäller, Baumwollpflücker, Zuckerrohrschläger und Bergmann in der Kupfermine. Max von der Grün führt über zwei Jahre in Amerika Tagebuch, seine ersten Schreibversuche. Leider darf er das Tagebuch damals nicht mitnehmen. Max von der Grüns realer Vater Adam Lauterbach (*1906) stirbt 1945.

Nach seiner Entlassung (Erfassungsstelle Nürnberg am 10. August 1946) kehrt Max nach Mitterteich (Wehrgasse 1) zurück („Es waren keine Honigjahre, die ich in Mitterteich zugebracht habe“) und macht eine Umschulung als Maurer, die ihn u.a. auch zu Arbeiten ins Zisterzienser-Kloster Waldsassen führt. Beeindruckt vom Klosterleben überlegt der „orthodoxe Lutheraner“ 1950 für eine kurze Zeit sogar, zum Katholizismus zu konvertieren. Am 12. Juni 1951 folgt er – mittlerweile arbeitslos – der Anwerbung für den Bergmannsberuf ins Ruhrgebiet, wo er bis 1954 als „Hauer“ auf der Zeche Königsborn in Unna tätig ist.

1954 heiratet Max von der Grün das erste Mal. Es ist die Volksschullehrerin Lieselotte Köhler (1923-1987), die er aus seiner Heimat kennt und die ihm ins Ruhrgebiet gefolgt ist. Nach einem schweren Unfall unter Tage wird er zum „Grubenlokführer“ ausgebildet. Diesen Beruf übt er bis 1963 aus. Bereits 1955 – in diesem Jahr wird auch Tochter Rita geboren – hat Max von der Grün professionell mit dem Schreiben angefangen, wo er mit seinem Erstling Männer in zweifacher Nacht (1962 erschienen im katholischen Paulus-Verlag in Recklinghausen, heute Georg-Bitter-Verlag) regional schon für Aufsehen sorgt. Seine kammerspielartige Dramatik „unter Tage“ ist ein ergreifender Kampf der Arbeiter ums nackte Überleben.

Max von der Grüns „Einstieg“ in das freie Schriftstellerleben geschieht jedoch nicht freiwillig. Sein zweiter Roman Irrlicht und Feuer (1963) der zum Bestseller werden soll – löst einen Skandal aus: Die ungeschminkte Schilderung der Arbeitsbedingungen der Kumpel in den Zechen und die drastische Darstellung eines tödlichen Betriebsunfalls im Bergbau sowie die darin enthaltene Kritik an Arbeitgebern und Vertretern der IG Bergbau führen zur fristlosen Kündigung des Autors. Eine Maschinenfabrik verklagt ihn wegen Schädigung ihres öffentlichen Ansehens. Trotz Freispruchs bleibt die fristlose Entlassung bestehen. Seitdem arbeitet Max von der Grün als sogenannter „freier Schriftsteller“. 1964 trifft er auch Heinrich Böll, der sich für ihn einsetzt. Die Einladung zur legendären Gruppe 47 (1965) schlägt Max von der Grün jedoch souverän aus. 1965 erhält er keine Einreiseerlaubnis in die DDR zum Besuch einer Aufführung von Erwin Sylvanus' Korczak durch eine Erfurter Studentenbühne. Daraufhin richtet er einen Offenen Brief an den DDR-P.E.N.-Präsidenten Arnold Zweig. Es folgt eine Lesereise nach Ungarn. Mit Günter Grass betreibt Max von der Grün Wahlkampf für die SPD.

Max von der Grün – der durchaus in der Tradition von Hans Fallada (Kleiner Mann, was nun?, Bauern, Bonzen, Bomben) steht, sich selbst aber mehr in der Nähe von Ernest Hemingway oder B. Traven sehen will – kommt mit der bundesdeutschen Arbeitswelt im Ruhrgebiet, dem „Revier“, und aktuellen politischen und privaten wie auch sozialen Problemen unmittelbar und direkt in Kontakt, so dass er bald als der wichtigste und klassische Vertreter der „Literatur der Arbeitswelt“ der Nachkriegszeit gilt. Trotzdem spalten sich von der Gruppe 61 für künstlerische Auseinandersetzung mit der industriellen Arbeitswelt 1970 u.a. die Schriftsteller Günter Wallraff, Josef Reding oder Peter-Paul Zahl mit dem stärker politisch-operativen Werkkreis Literatur der Arbeitswelt ab. Max von der Grün will sich nicht als der „Arbeiterdichter“ im Sinne der proletarisch-revolutionären Erzähler der Weimarer Zeit sehen, auch nicht im Sinne des „Bitterfelder Wegs“ der DDR („Greif zur Feder, Kumpel“).

Max von der Grün geht es immer um die Stellung des Einzelnen in der modernen Industriegesellschaft, um Probleme der Konsumgesellschaft und der Automation, die in seinen oft autobiographisch gefärbten Romanen und Erzählungen zunehmend die Thematik der Arbeitskämpfe im Ruhrbergbau ersetzen. Mit seinen zahlreichen Romanen (Stellenweise Glatteis, 1973; Flächenbrand, 1979), Fernsehspielen (Schichtwechsel, 1968) und Rundfunk-Features (Smog, 1966; Wenn der Abend kommt, 1973) wird er im In- und Ausland zu einem der bekanntesten Exponenten einer sozialkritischen, aber weltanschaulich bindungslosen Arbeiterliteratur. Angeblich hat die literarische Thematik Max von der Grüns Rainer Maria Fassbinder für seine fünfteilige Familien-TV-Serie Acht Stunden sind kein Tag (1972) inspiriert. Verdient bekommt der renommierte Schriftsteller Max von der Grün, der einst als „Max der Eckige“ begann, wenn auch spät, unzählige Literatur- und Kulturpreise, darunter den Kulturpreis der Stadt Nürnberg 1974 und den Ehrenring der Stadt Dortmund 1987.

Max von der Grün im Gespräch mit Bernhard M. Baron nach seiner Autorenlesung im November 1978 in der Weidener Galerie Christine. Foto: Hubert Schlegl

Max von der Grün, dessen Sohn Frank (Jg. 1966, Mutter: Elke Hüser, die er 1968 heiratet) selbst körperbehindert ist, greift mit seinem einfühlsamen Kinderbuch Vorstadtkrokodile. Eine Geschichte vom Aufpassen (1976), das zum verlagsmäßigen Longseller wird und dessen Hauptfigur ein behinderter Junge ist, ein gesellschaftliches Tabu auf. Ähnlich verhält es sich mit Späte Liebe (1982), wo er in schlichter, unprätentiöser Sprache von der Beziehung zwischen zwei alternden Rentnern erzählt – übrigens einer Hommage an seine Mitterteicher Mutter Margarethe, die im späten Alter nochmals heiratet. Vornehmlich an Jugendliche richtet sich auch die stark beachtete Textcollage Wie war das eigentlich? Kindheit und Jugend im Dritten Reich (1979), in der Max von der Grün durch eine Mischung von autobiographischen Skizzen, historischen Erläuterungen und Dokumenten zum Nationalsozialismus seinen eigenen Erfahrungen, seiner eigenen Familiengeschichte nachgeht. In Friedrich und Friederike (1983) schließlich reiht Max von der Grün Episoden aus dem durch Lehrstellenmangel und simpler Lebensfreude gekennzeichneten Alltag von zwei jungen Menschen aus einer Dortmunder Arbeitersiedlung aneinander.

Und immer wieder fließt beim Wahl-Dortmunder Max von der Grün (nach Franken) seine zweite Heimat Oberpfalz auch direkt oder indirekt, bewusst oder unbewusst, in sein literarisches Werk ein. Schon am 19. November 1967 sendet der Hörfunk WDR 2 seine Rundfunkarbeit Abseits vom Wege. Besuch in Flossenbürg. Ähnliches findet man in seiner Erzählung Im Tal des Todes (1972). Nur Insider aber wissen, dass eigentlich Waldsassen in seinem Roman Zwei Briefe an Pospischiel (1968) für Mitterteich(dem eigentlichen Wohnort der Mutter) steht. Zentraler Schauplatz ist natürlich im Roman auch Bärnau, wo der Protagonist (Paul Pospischiel) den mutmaßlichen Denunzianten seines Vaters von 1938 (Beierl) findet. In Reisen in die Gegenwart (1976) schildert Max von der Grün seiner mitreisendenTochter Rita von der Grün Kindheitserinnerungen und Eindrücke bei der Wiederbegegnung mit Bärnau. Ähnlich thematisch auch seine Kurzgeschichte „Grenze“ aus dem Erzählband Fahrtunterbrechung (1965). Und immer wieder natürlich in weiten Passagen sein Jugendbuch-Klassiker Wie war das eigentlich? Kindheit und Jugend im Dritten Reich (1979), wo er am Beispiel seines eigenen Lebenslaufs die Geschichte seiner Familie und darüber hinaus die deutsche Geschichte einer Epoche totalitärer Herrschaft erzählt.

Verfasst von: Bernhard M. Baron / Bayerische Staatsbibliothek

Sekundärliteratur:

Arnold, Heinz Ludwig (1971): Gruppe 61. Arbeiterliteratur – Literatur der Arbeitswelt? (Edition Text + Kritik). Richard Boorberg Verlag, Stuttgart u.a., S. 52-58, 133-138, 157-167.

Baron, Bernhard M. (2010): Max von der Grün – einer von uns. Zeit für eine persönliche und literarische Renaissance. In: Heimat – Landkreis Tirschenreuth. Bd. 22, S. 82-90.

Grande, Jasmin (2008): Fritz Hüser 1908-1979. Briefe. Hg. im Auftrag der Fritz-Hüser-Gesellschaft Dortmund. Assoverlag, Oberhausen, S. 116ff.

Moser, Dietz-Rüdiger (Hg.) (1997): Lexikon der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seit 1945. Bd. 1. Nymphenburger Verlag, München, S. 426-428.

Schweiggert, Alfons (2004): Max von der Grün (*25.5.1926). Repräsentant der bundesrepublikanischen Arbeiterliteratur. In: Schweiggert, Alfons; Macher, Hannes S. (Hg.): Autoren und Autorinnen in Bayern. 20. Jahrhundert. Bayerland Verlag, Dachau, S. 264f.


Externe Links:

Literatur von Max von der Grün im BVB

Literatur über Max von der Grün im BVB

Zur Homepage des Autors

Artikel bei Spiegel Online

Die Familie von der Grün

Material zu Max von der Grün von Helmut von der Grün