Info
Geb.: 2. 7.1840 in Fellheim
Gest.: 23.12.1928 in München
Franz von Lenbach: Ludwig Rosenthal, Öl auf Leinwand, München, um 1900

Ludwig Rosenthal

Ungefähr 10 km nördlich der kreisfreien Stadt Memmingen liegt die Gemeinde Fellheim an der Iller. Während des Dreißigjährigen Krieges wird das Dorf von schwedischen und von kaiserlichen Truppen verwüstet und komplett entvölkert. 1670 siedelt der Grundherr Freiherr Phillip Bernhard von Reichlin-Meldegg deshalb fünf jüdische Familien an und weist ihnen den südlichen Ortsteil zur Bebauung zu. Die jüdische Gemeinde bildet in der Folgezeit den überwiegenden Teil der Ortsbevölkerung. Die Menschen (gleich, ob der jüdischen Gemeinde zugehörig oder nicht) leben in ärmlichen Verhältnissen; die Verschwendungssucht der Grundherren ist groß, die Abgabenlast für die Untertanen enorm. Die jüdische Gemeinde prägt das Gemeindeleben fast 300 Jahre lang; ab Mitte des 19. Jahrhunderts nimmt der Anteil der jüdischen Einwohner jedoch durch Aus- und Abwanderung stark ab. 1933 werden nur noch 26 jüdische Einwohner gezählt (5,0 % von insgesamt 523 Einwohnern). 1938/1941 können 12 von ihnen auswandern, die letzten 14 werden 1942 deportiert. Heute kann man in Fellheim südlich des Schlosses noch das jüdische Ensemble erkennen, das aus Synagoge, Friedhof, Schule, Wohn- und Geschäftshäusern bestand. Zur Erinnerung an die jüdischen Mitbürger ist seit 1988 am heutigen Rathaus, der ehemaligen Judenschule, eine Gedenktafel angebracht. Der Text geht auf einen Vorschlag von Gernot Römer zurück. Die ehemalige Synagoge wird seit 2015 als Bürgerhaus mit Bibliothek genutzt. Dort finden auch literarische Lesungen statt, beispielweise im Rahmen des Allgäuer Literaturfestivals 2023.

Ehemalige Synagoge Fellheim 2017 © Jüdisches Museum Augsburg

Ein bedeutender Sohn der Gemeinde ist der Antiquar Ludwig Rosenthal. Er wird am 2. Juli 1840 als drittes Kind des Markthändlers Joseph Rosenthal und seiner Frau Dorlene in Fellheim geboren. Schon sein Vater Joseph betreibt einen kleinen Kunst- und Antiquitätenhandel. Den Kindern lässt er eine umfassende Ausbildung zukommen lassen. Ludwig Rosenthal geht dreimal wöchentlich für den Englischunterricht zu Fuß zum ehemaligen Kloster Buxheim. 1853 wird er mit hervorragenden Zeugnissen aus der Werktagsschule entlassen und kommt als Lehrling zu Isaak Hess nach Ellwangen. Er nimmt Unterricht in Französisch und Latein. Nach dem Ende der Lehrzeit ist Ludwig Rosenthal Gehilfe bei Feddersen in Liegnitz, wo er wichtige Verbindungen zu schlesischen Adelskreisen knüpfen kann. 

Er kehrt nach Fellheim zurück und macht sich 1859 mit seinem Vater als stillem Teilhaber selbstständig. 1863 erhält er die Erlaubnis zur Eröffnung einer Buch- und Antiquariatshandlung. Noch im gleichen Jahr erscheint sein erster Katalog mit 3000 Werken der katholischen Theologie. 1864/65 folgt der zweite Katalog mit Werken der protestantischen Theologie. 1867 siedelt der erst 27-jährige Ludwig Rosenthal mit der Familie nach München um, wo das Antiquariatswesen eine Blütezeit erlebt.

Rosenthal zählt Universitäten, Bibliotheken und bedeutende Sammler zu seinen Kunden. Auf seinen zahlreichen Auslandreisen erwirbt er seltene Exemplare wertvoller Bücher und entdeckt beispielsweise die Globuskarte mit der Route der Weltumseglung von Magellan aus dem Jahr 1523. Ludwig Rosenthal kann u. a. die Bibliotheken der Jesuiten in Landsberg und der ehemaligen Benediktinerabtei St. Veit bei Neumarkt erwerben, ebenso 1883 und 1884 Teile der Bibliothek der ehemaligen Kartause Buxheim. Um die Jahrhundertwende ist Ludwig Rosenthals Antiquariat mit mehr als einer Million Bücher umfangreicher als die Bayerische Staatsbibliothek. Sein jüngerer Bruder Jacques eröffnet 1895 ein eigenes, ebenfalls sehr erfolgreiches Antiquariat. 

1905 macht Ludwig Rosenthal seine Söhne Adolf (eigentlich Abraham), Norbert (eigentlich Nathan) und Heinrich zu Teilhabern und zieht sich 1922 aus dem Geschäftsleben zurück. Norberts Söhne Ernst, Paul und Fritz steigen in das Geschäft ein. Mit der Machtübernahme Hitlers brechen schwere Zeiten für die Familie an. Das Geschäft kann noch bis 1937 von Norbert und Fritz und dessen Frau Hilde weitergeführt werden, weil Hermann Göring ihr Kunde ist. Fritz, Hilde und Paul emigrieren schließlich nach Holland, wo sie in Den Haag ein Antiquariat eröffnen. Heinrich kann nach Paris emigrieren, Norberts Sohn Ernst nach England. Norbert und Adolf bleiben in München, sie sterben im Konzentrationslager, ebenso wie Paul, der in Holland denunziert wird.

Dem Antiquariatsgründer Ludwig Rosenthal bleibt es erspart, die Schreckenszeit des Nationalsozialismus erleben zu müssen. Er stirbt am 23. Dezember 1928 in München im Alter von 88 Jahren. Karl Wolfskehl schreibt in seinem Nachruf für die Frankfurter Zeitung vom 22. Januar 1929: 

Bei ihm zu kaufen war herrlich, ihm zu lauschen, sich das Märchen seines Lebens erzählen zu lassen – seine Rede war knapp, einfach, eindringlich, sein Personen- und Sachgedächtnis ungeheuer – das war uns allen noch fast der liebste Teil des Besuchs in seinem Antiquariat. (zit. bei Löffelmeier 2002, S. 85)

Das Antiquariat Ludwig Rosenthal existiert bis heute, es wird von Edith Petten-Rosenthal, einer Tochter von Fritz und Hilde Rosenthal, in Leidschendam bei Den Haag geführt.

Verfasst von: Digitaler Literaturatlas von Bayerisch Schwaben DigiLABS / Rosmarie Mair, M.A.

Sekundärliteratur:

https://www.alemannia-judaica.de/fellheim_synagoge.htm, (18.11.2024). 

Fickler, Kreszentia (1987): Ludwig Rosenthal. In: Landkreis Unterallgäu. Bd. 2: Bedeutende Persönlichkeiten, S. 855.

Krämer, Sigrid: Rosenthal, Ludwig. In: Neue Deutsche Biographie 22 (2005), S. 76f. URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd116626267.html#ndbcontent, (18.11.2024). 

Löffelmeier, Anton (2002): Ludwig Rosenthal als „Wegbereiter“ (1840-1928). In: Löffelmeier, Anton (Hg.): Die Rosenthals. Der Aufstieg einer jüdischen Antiquarsfamilie zu Weltruhm. Böhlau Verlag, Wien u.a., S. 61-89.

Rapp, Wilhelm (1960): Geschichte des Dorfes Fellheim an der Iller. Hg. Gemeinde Fellheim. Urfassung von 1939, neu aufgelegt durch Anton Zanker (2022). Norderstedt, BoD. 

Römer, Gernot (1990): Ludwig Rosenthal aus Fellheim. Ein weltberühmter Antiquar. In: Schwäbische Juden. Leben und Leistungen aus zwei Jahrhunderten. Augsburg, S. 210-214.

Wolfskehl, Karl (1932): Bücher, Bücher, Bücher, Bücher. Kap: Der alte Antiquar. Zu Ludwig Rosenthals Gedächtnis. München, S. 73-75. 

 


Externe Links:

Literatur von Ludwig Rosenthal im BVB

Ludwig Rosenthal im Haus der Bayerischen Geschichte

Ludwig Rosenthal auf der Homepage der Gemeinde Fellheim

Homepage Antiquariat Ludwig Rosenthal