Info
Geb.: 27. 6.1802 in Nürnberg
Gest.: 23.12.1853 in Nürnberg
Wolf Wollmut, Gustav Blumröder 1830
Titel: Dr. med.
Namensvarianten: Antonius Anthus, Bernhard Brummer

Gustav Blumröder

Gustav Philipp Blumröder wird am 27. Juni 1802 in Nürnberg als Sohn des Lederhändlers Johann Friedrich Blumröder und seiner Frau Anna (Tochter des Bierwirts Johann Stößel) geboren. Er ist das elfte und letzte Kind seiner Eltern. Seine Kindheit und Jugend verlebt er in Nürnberg. Der Besuch des Gymnasiums, mit Hegel als Rektor und J. G. A. Wirth als Mitschüler, ist für ihn in vielerlei Hinsicht prägend. Das Studium der Medizin in Erlangen und Würzburg (1820-1826), nachdem er frühzeitig das begonnene Theologiestudium aufgegeben hat, schließt Blumröder mit der Dissertation De Hypnoticis (1826) ab. Bereits bei der Verteidigung der Thesen zu seiner Dissertation vertritt er einen durchaus modernen ganzheitlichen Ansatz, den er später im Hauptwerk Über das Irreseyn expliziert: „Es ist im Irreseyn nicht der Geist, es ist nicht der Leib krank: der Mensch ist es.“ Was Blumröders spezifisches Vorgehen ausmacht, ist das Einbeziehen poetischer Werke, deutscher Texte in die lateinisch geschriebene Arbeit: Schelling, Novalis, Goethe und besonders Jean Paul. Blumröder, der immer wieder als Kenner und Liebhaber des Werks von Jean Paul sich zu erkennen gibt, wählt keineswegs poetische Stellen über Schlaf und Traum aus dem Werk. Den Aufsatz Jean Pauls Die Kunst, einzuschlafen (1805) könnte man durchaus als literarische Keimzelle der Dissertation ansehen, mindestens aber als parallele nichtakademische Monographie zum Thema, durch die sich Blumröder bestätigt sieht.

Noch als Student veröffentlicht er 1823 seinen einzigen Roman: Morano. Ein Roman aus den Papieren des Barons D–n. Herausgegeben von Gustav Blumröder. Er wird sich allerdings bald davon distanzieren, wohl deshalb, weil er auch mit der Bewältigung einer Lebenskrise zusammenhing. Die einzige bisher aufgefundene Rezension zeigt in der Mischung aus ironischer Leseempfehlung am Schluss und der Charakterisierung am Anfang, wenn auch von einer „neue[n] Manier“ die Rede ist, die Unzeitgemäßheit: „Dieser höchst abenteuerliche Schauder-Roman wird allen Lesern, welche die neue Sturm- und drangvolle Manier altdeutschelnder Kraftgenies zusagt, einen hohen Genuß gewähren.“ (Literarisches Conversations-Blatt, Nr. 229, 5. October 1824, S. 915) Der Roman ist ein patchwork der Themen, Motive, Klischees der (Trivial-)Literatur des ausgehenden 18./beginnenden 19. Jahrhunderts, eine hybride Form aus den Schwundstufen des historischen Romans, des sentimentalen Romans, des Kloster-, Familien-, Liebes-, Bekenntnis-, Entwicklungs-, Bildungs-, Schicksals-, Maler-, Musiker-, Reise-, Abenteuer-, Verbrecher-, Räuber- und Schauerromans.

Nach dem Studium führen ihn zwei Wanderjahre, durch Stipendien ermöglicht, 1826-1828 zu den „vorzüglichsten ärztlichen Bildungsanstalten des In- und Auslandes (Berlin, Leipzig, Sonnenstein, Dresden, Prag, Wien, Triest, Venedig, Padua, Straßburg u. Paris.“ Der Schwerpunkt seines Interesses sind dabei die „Irrenanstalten“. Der Bericht über den Besuch in der Salpêtrière und den anschließenden Gang durch Paris lässt einen ganz eigenen Stil erkennen. Mit solchen Texten des medizinischen Blicks, nicht ohne lakonische Ironie, publiziert erst 1837, dem Todesjahr von Georg Büchner, würde Blumröder den Anschluss an die realistische Literatur seiner Zeit gewinnen können. Er hat übrigens auch die Veröffentlichungen zum Fall Woyzeck gelesen, allerdings interessieren ihn, im Unterschied zu Büchner, nur diagnostische Details und die Art der Argumentation der Wissenschaftler.

Die Jahre 1828-1850 sehen ihn als praktischen Arzt bzw. Gerichtsarzt zunächst in Hersbruck (1828-1835), dann in Kirchenlamitz (1835-1850). Während dieser Zeit entstehen eine Reihe von wissenschaftlichen Aufsätzen (1826-1837) zu Fragen der Psychiatrie, rund 200 Rezensionen (1834-1853) medizinischer Werke, das psychiatrische Hauptwerk Über das Irreseyn oder anthropologisch-psychiatrische Grundsätze. Für Aerzte und Psychologen (1836), die Vorlesungen über Esskunst (1838) und schließlich ein Lustspiel Shakspeare’s Affe, oder Leben und Lieben (1841). Die letzteren erscheinen jeweils unter Pseudonym: Antonius Anthus bzw. Bernhard Brummer. Mit dem Schiller entlehnten Motto auf dem Titelblatt der Vorlesungen über Esskunst: „Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst.“ lässt sich zwar die Heiterkeit in allen Werken verknüpfen, der Ernst des Lebens – das Scheitern beruflicher Pläne, der Tod zweier Kinder kurz nach der Geburt, eine Totgeburt, der frühe Tod der Ehefrau, die politische Verfolgung, die lange eigene Krankheit sind in den Werken nicht präsent. Seine berufliche Idealvorstellung als „Irrenarzt“ oder gar als Leiter einer „Irrenanstalt“ zu wirken, kann er nie verwirklichen. Es ist nicht nur eine rhetorische Formel, wenn Blumröder an einer Stelle in Vom Irreseyn schreibt: „Wäre ich so glücklich als Vorsteher einer Irrenanstalt wirken zu können […].“ Er hat davon eine klare Vorstellung, hinter der sicher auch ein (ideales) Selbstbild steht: „Der Irrenarzt muss seyn ein wohlwollender Mensch, ein tapferer, lebensgewandter und lebenserfahrner, möglichst allseitig gebildeter Mann, ein unbefangener Philosoph oder auch gar keiner, ein scharfsinniger und praktisch erfahrner Arzt und ein Humorist der bezeichneten Art.“

Über das Irreseyn oder anthropologisch-psychiatrische Grundsätze. Für Ärzte und Psychologen (1836) ist die umfangreichste Publikation von Blumröder. Die Rezeption des Werks setzt unmittelbar beim noch druckfrischen Werk ein. Es wird dabei immer wieder der Stil Blumröders kritisiert, es ist von einer „buntscheckigen Darstellung“, von „herumhüpfender Darstellungsweise“ die Rede und schließlich heißt es: „Der Verf. muss sehr leicht verwirrt werden. Man könnte hier auf arge Vermuthungen kommen über die Umstände, unter denen das Buch geschrieben ist. Difficile est satyram non scribere!“ (Heermann in: Heidelberger Jahrbücher der Literatur. Nr. 71, 1837. S. 1121-1127. Zit. S. 1122f.) Es besteht kein Zweifel, Blumröder weicht mit seinem Buch von den strengen akademischen Konventionen der medizinischen Literatur seiner Zeit ab. Die Überlagerung von philosophischen Gedanken, theoretischen Erörterungen, von manchmal im Stil E. T. A. Hoffmanns literarisierten Fallbeschreibungen, von Selbstbeobachtungen und Selbst-experimenten, z.B. mit Lachgas, Therapieerfahrungen und -vorschlägen, von Anekdoten, Polemik gegen bekanntere Autoren, schließlich die mythologische Einbettung kann leicht solche Urteile hervorrufen.

Die Vorlesungen über Esskunst (1838) stehen, das haben schon die Zeitgenossen vermerkt, im Kontext von Brillat-Savarin, Grimod de la Reynière, Rumohr und von Vaerst. Sie sind das einzige Werk, das bis heute eine breitere Leserschaft gefunden hat. Haben manche Rezensenten des psychiatrischen Werks polemisch, aber nicht ganz zu Unrecht, ausgehend von einzelnen Passagen, die Verknüpfung mit E. T. A. Hoffmann hergestellt, so werden die Vorlesungen über Esskunst mit Jean Paul in Verbindung gebracht:
Die fröhlichste Laune, der harmloseste Humor, der spielende Witz umgaukeln uns in ihnen, alle von der Art, daß sie nur aus einem voll und harmonisch gebildeten Geiste, in den Wissenschaften gesättigt, reich genährt von Weltbeobachtung und wahrhaft einheimisch in fast allen Disciplinen abfließen konnten. Lebte Jean Paul noch, oder wäre es denkbar, daß noch unbekannte opera posthuma von seiner Hand erscheinen könnten, so würden wir ihn in Verdacht nehmen, der Verf. dieser Schrift zu sein; da dies nicht zulässig ist, so wissen wir nicht, wem wir so viel Humor und so viel Wissen zutrauen sollen. Das Vorherrschen der Naturwissenschaften läßt auf einen Arzt – Ärzte sind in der Regel Epikuräer – schließen; die zahlreichen Anführungen aus der Kunsthistorie deuten auf einen Kunstjünger hin; zwischen Beiden mag der Leser die Wahl haben. Advocaten sind ernster und Philosophen geschmackloser. (Blätter für literarische Unterhaltung. Leipzig: F. A. Brockhaus Jg. 1839 1. Bd., S. 31)

Blumröder sieht sich im Kontext der gastrosophischen Literatur seiner Zeit, wenn er sich auch die eine oder andere Verknüpfung scherzhaft versagt: „Das große magnetische Gastmahl des Reisemarschalls Worble von Jean Paul, Börne’s Eßkünstler etc., hätte auf allen Seiten zu Anmerkungen und Abschweifungen verlocken können.“ Philosophische und ästhetische Erörterungen fügen sich zu einem gastrosophischen Zusammenhang, ethnographische und kulturhistorische Ausführungen werden mit eigenen Erfahrungen verbunden, Ironie und Satire zielen auf Missstände, nicht nur im Bereich der Esskunst, Beschreibungen werden in Erzählungen verwandelt, Anekdoten erfahren parodistische Zuspitzungen. Einen Höhepunkt in den Vorlesungen stellt ein konkretes Wurstrezept dar, das zugleich mit ironischen Übertragungen von Begriffen der ästhetischen Theorie auf die Wurstmacherei eine komplexe Stilparodie abgibt. Pathos und Ironie beschließen das Werk. Der Schluss formuliert das eigene Ideal im Ausrufen von vier Schlagwörtern der ästhetischen Theorie („Heiterkeit! Kraft! Mannigfaltigkeit! Harmonie!“) und endet schließlich mit einem heiter-ironischen Gedicht ohne die Überschrift und ohne den Autor zu nennen, vielleicht im Vertrauen darauf, dass die Leser Goethe erkennen: „Die Welt ist ein / Sardellensalat; [...]“.

Das Stück Shakspeare’s Affe, oder Leben und Lieben. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen von Bernhard Brummer (1841) wird wohl kaum eine Aufführung erlebt haben. Der vermutlich einzigen zeitgenössischen Besprechung, vermutlich von Ernst Willkomm, lässt sich in vielerlei Hinsicht zustimmen: „[…] Es ist, […] ein wahres Tollspiel, ein übermüthiges, geist- und witzreiches Hin- und Herspringen, ohne eigentlichen Plan, ohne künstliche Ver- und Entwicklung. […]“ (Dramatische Bücherschau für das Jahr 1840 in: Blätter für literarische Unterhaltung: F.A. Brockhaus. Nr. 297, Sonntag 24. October 1841, S. 1201f.) Wenn der Verfasser der Besprechung, selbstverständlich dem Titel folgend, auf Shakespeare verweist, so kann auch vergleichend und davon absetzend an Georg Büchners Leonce und Lena. Ein Lustspiel (1836/1838) erinnert werden. Das Shakespeare-Motto am Beginn des Ersten Aktes könnte auch Blumröder und seinem Stück gelten:
O wär‘ ich doch ein Narr!
Mein Ehrgeiz geht auf eine bunte Jacke.
Wie es Euch gefällt.

Blumröder wird am 28. April 1848 als Abgeordneter der Landgerichtsbezirke Wunsiedel, Kirchenlamitz, Selb und Münchberg (IV. Oberfränkischer Wahlbezirk) in die Frankfurter Nationalversammlung gewählt. Noch vor der 1. Sitzung in der Paulskirche am 18.  Mai 1848 besucht Blumröder am 15. Mai die Frankfurter „Anstalt für Irre und Epileptische“, das Kastenhospital. Nicht auszuschließen, dass sein vorrangig medizinisches Interesse auch von der Absicht der Erkundung einer beruflichen Veränderung geleitet wird. Vielleicht hat er in Frankfurt auch die Nähe des Struwwelpeter-Hoffmann gesucht. Ähnlich wie Blumröder gilt Hoffmanns Interesse der Psychiatrie, 1851 erhält er eine Anstellung in der Frankfurter „Anstalt für Irre und Epileptische“. Der nur wenig jüngere erreicht die Position, die Blumröder immer vorgeschwebt hat, Leiter einer Irrenanstalt. Insofern eine erstaunliche Karriere, hat er doch „die Anstalt noch nie betreten, noch nie eine Irrenanstalt besucht“, ehe er die Stelle übertragen bekommt (Heinrich Hoffmann, Lebenserinnerungen. Frankfurt 1985, S. 181ff.). Der erste Redebeitrag Blumröders in der 4. Sitzung am 23. Mai 1848 bleibt auch fast sein einziger. Ist es bezeichnend für seine Stellung, wenn er falsch als „Blumenröder“ angesprochen wird? Sein politisches Eintreten für eine „starke Centralverfassung“, im Stil metaphorisch, ist eingebettet in eine Stellungnahme, nicht ohne provozierende Bosheit, zur Geschäftsordnung. Mit Hilfe der Geschäftsordnung beendet der Präsident Heinrich von Gagern denn auch Blumröders Rede, die er, unsicher im neuen Wirkungskreis, wohl aufgeschrieben hat.

Das Abstimmungsverhalten von Blumröder führt in seinem Wahlkreis zu heftigen Auseinandersetzungen, die zum Teil in der regionalen Presse geführt werden: Seine republikanische Haltung macht es plausibel, dass er am 6. Juni 1849 in Stuttgart im Saal der württembergischen Kammer der Abgeordneten an der 231. Sitzung der Nationalversammlung teilnimmt. Am 31. Mai hat er in der Paulskirche bei der namentlichen Abstimmung für den Umzug nach Stuttgart gestimmt. Nach Auflösung des „Rumpfparlaments“ kehrt Blumröder nach Kirchenlamitz zurück und wird dort am 23. August 1849 auf Antrag der Staatsanwaltschaft Augsburg verhaftet. Als Mitglied des „Rumpfparlaments“ wird er als Hoch- und Landesverräter verurteilt und in Augsburg in der „Eisenfronfeste“ in der Karmelitengasse im Domviertel inhaftiert. Ob dem politischen Häftling Blumröder die klischeehaften Gefängnisphantasien aus seinem Jugendroman Morano, dem schon ein Selbstmord im Kerker den Rahmen liefert, angesichts der Realität in den Sinn gekommen sind? Auf Grund einer königlichen Amnestie wird er Ende Dezember 1849 entlassen und kehrt am 8. Januar 1850 nach Kirchenlamitz zurück. Am 9. November 1850 erfolgen seine Entlassung aus dem Amt als Gerichtsarzt und Versetzung in den Ruhestand.

Am 23. Dezember 1853 stirbt Blumröder an einem Lungenleiden, das sich offenbar durch die Haft in Augsburg verschlimmert hat, in seiner Wohnung in Nürnberg. Schon 1850 hat er an einen Freund geschrieben: „[...] kommt mir aber oft vor, als sei's gar nicht mehr der Mühe wert und meine Lunge bereits so destruirt wie die deutsche Freiheit, die auch auf dem letzten Loche pfeift. Zum Glück hat das deutsche Volk eine Pferdenatur.“

Verfasst von: Dr. Siegfried Schödel / Bayerische Staatsbibliothek

Sekundärliteratur:

Große Kracht, Andreas (1997): Gustav Blumröder (1802-1853). Studien zu Leben und Werk unter besonderer Berücksichtigung seiner anthropologischen Psychiatrie. (Diss., Masch.)

Meyer, Heinrich (1991): Dr. Gustav Blumröder. 1802-1853. In: Die Krebsbacker. Eine Schriftenreihe des Stadtarchivs Kirchenlamitz. H. 1, S. 12-29.

Meyer, Heinrich (1998): Ein Kirchenlamitzer war 1848/49 Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung. Dr. med. Gustav Blumröder (1802-1853). In: Die Krebsbacker Eine Schriftenreihe des Stadtarchivs Kirchenlamitz. H. 8, S. 69-94.

Schödel, Siegfried (2003): Gustav Blumröder. Skizzen zu einem Porträt des Nürnberger Psychiaters, Politikers und Romanciers. In: Literatur in Bayern 74, S. 34-41.

Stahl: Blumröder, Gustav. In: Allgemeine Deutsche Biographie 2 (1875), S. 755-757, http://www.deutsche-biographie.de/pnd116210273.html?anchor=adb, (03.01.2013).


Externe Links:

Literatur von Gustav Blumröder im BVB

Literatur über Gustav Blumröder im BVB