Dieser Oktobertag
Zur Reihe: In Aufs Jahr geschaut widmet sich jeweils eine Autorin oder ein Autor des Literaturportals Bayern auf literarisch-künstlerische Weise einer Jahreszeit und gewinnt dieser im Format eines monatlichen Beitrags poetische, politische, alltagssensibel-lyrische oder bildhafte Reflektionen ab, welche die Leserschaft einmal ganz anders „aufs Jahr schauen“ lässt. In den Monaten Oktober, November und Dezember „blickt“ für uns auf den Herbst die Autorin Birgit Müller-Wieland.
*
„Dieser Oktobertag“: für immer hat er die Zeit umgestellt, der 7. Oktober vor einem Jahr, und nicht nur das Wissen darüber bestimmt meinen poetischen Blick auf diesen Herbstmonat. Wo ist Hilfe für jene, die in Trümmern hausen? An den „Punkte(n) der Unbeugsamkeit”… Auch nach oben geht der Blick, zum Riesenmond hinauf, den man anheulen möchte, Hund oder Mensch, tot oder lebendig. Und der Mond schaut zurück: Sieht auch er den Metallkranz, mit dem wir die Erde geschmückt haben?
Stürme fegen über Meere und Länder in diesem Oktober - und auch hier stellt sich die Frage, ob jene, die sich sicher in der Obhut des „Einen” wähnen, „welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält” (Rilke, „Herbst”), es tatsächlich sind.
Nach oben
Habt ihr den Mond gesehen?
m O n d m O n D R i e s i g e r M O N D
Zartestes Gelb mit buttrigen Schlieren
versteckte er sein Gesicht
oder zeigte er sein wahres
Staunen in dieser oktoberwarmen Nacht
nahm ich die Urne vom Klavier trat auf den Balkon
und wir – mein toter Hund und ich – heulten
Holz an Herz vereint
nach oben
Dieser Oktobertag
Dieser Oktobertag dieser für immer und ewig
umgestellte Zeit stot tern wir
unsere Leben ab dieser Herbst
bl
ät
t
ert
bucklige Seiten schmerzfaulige Brailleschrift
findet die Finger nicht mehr wann wann fing das an
hört auf ach zu hören wir im Finstern tasten wir
grindige Rinden wissen doch Todesarten
die friedlich Todeskämpfe wie sie
natürlich sind
Am Punkt der Unbeugsamkeit*
Hier um die Ecke gleich sind wir da
Siehst du die Plane den Eingang nach unten
dann hört das Zittern auf vielleicht
hilft warmes Essen ganz sicher hilfts wer hat
was von Viktor gehört von Lesja Alexs Vitaly
Setz dich Kleines hier neben die Kabel wir schließen
uns an reib die Hände habt ihr noch Binden für mich
wie geht’s dem Magen sag bei dir hast du wieder Tabletten
Nein ah Xenija sagst du sie lebt noch sie lebt Kleines
hörst du was für ein guter Tag keine Bombe heute und
Xenija lebt noch und hier trink das Wasser ich hol dir
Kartoffeln herrliche heiße Kartoffeln gibt’s heute
hier
* Nach den permanenten russischen Angriffen auf die Energieinfrastruktur entstanden überall in der Ukraine »Punkte der Unbeugsamkeit« – öffentliche Orte, an denen es Wärme, Wasser und Strom gibt. Quelle: Kateryna Mishenko. Spiegel der Seele, S 14, In: Kateryna Mishenko, Katharina Raabe (Hrsg.): Aus dem Nebel des Krieges. Die Gegenwart der Ukraine. edition suhrkamp 2023.
Herbstdelirium
Alle mal durchatmen!
Die Stürme sind weitergezogen wüten soeben
woanders rein bei uns keine Sturzflut zerbricht
unsere Wände keine Daten saufen ab nichts wird gecrasht
verschleudert weggefegt! Erinnerungen! Verträge! Alles beisammen Leute!
Steckt eure hasigen Herzchen zurück husch in die Kiste husch
Da muss doch mal ein Optimismus her!
Trinkt Tee geht kräftig shoppen kurbelt den Tourismus
an die nächsten werden wieder andere sein Ha!
Wasser Feuer Gift können wir
drauf nehmen uns uns uns trifft es nicht! Wir! Leute!
Wenn wir! fallen dann nur in eine sichere Hand
Als wär die Erde eine blaue Lampe
Oktobernacht
Schwarzhimmel goldbestickt
mit dem Soundtrack nasser Reifen
vorm Nymphenburger Schloss
Blick in den Wundraum
Aufgescheuert von Satellitenschrott
als wär die Erde eine blaue Lampe
von Milliarden Metallmotten umschwirrt
(c) Birgit Müller-Wieland
Dieser Oktobertag>
Zur Reihe: In Aufs Jahr geschaut widmet sich jeweils eine Autorin oder ein Autor des Literaturportals Bayern auf literarisch-künstlerische Weise einer Jahreszeit und gewinnt dieser im Format eines monatlichen Beitrags poetische, politische, alltagssensibel-lyrische oder bildhafte Reflektionen ab, welche die Leserschaft einmal ganz anders „aufs Jahr schauen“ lässt. In den Monaten Oktober, November und Dezember „blickt“ für uns auf den Herbst die Autorin Birgit Müller-Wieland.
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„Dieser Oktobertag“: für immer hat er die Zeit umgestellt, der 7. Oktober vor einem Jahr, und nicht nur das Wissen darüber bestimmt meinen poetischen Blick auf diesen Herbstmonat. Wo ist Hilfe für jene, die in Trümmern hausen? An den „Punkte(n) der Unbeugsamkeit”… Auch nach oben geht der Blick, zum Riesenmond hinauf, den man anheulen möchte, Hund oder Mensch, tot oder lebendig. Und der Mond schaut zurück: Sieht auch er den Metallkranz, mit dem wir die Erde geschmückt haben?
Stürme fegen über Meere und Länder in diesem Oktober - und auch hier stellt sich die Frage, ob jene, die sich sicher in der Obhut des „Einen” wähnen, „welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält” (Rilke, „Herbst”), es tatsächlich sind.
Nach oben
Habt ihr den Mond gesehen?
m O n d m O n D R i e s i g e r M O N D
Zartestes Gelb mit buttrigen Schlieren
versteckte er sein Gesicht
oder zeigte er sein wahres
Staunen in dieser oktoberwarmen Nacht
nahm ich die Urne vom Klavier trat auf den Balkon
und wir – mein toter Hund und ich – heulten
Holz an Herz vereint
nach oben
Dieser Oktobertag
Dieser Oktobertag dieser für immer und ewig
umgestellte Zeit stot tern wir
unsere Leben ab dieser Herbst
bl
ät
t
ert
bucklige Seiten schmerzfaulige Brailleschrift
findet die Finger nicht mehr wann wann fing das an
hört auf ach zu hören wir im Finstern tasten wir
grindige Rinden wissen doch Todesarten
die friedlich Todeskämpfe wie sie
natürlich sind
Am Punkt der Unbeugsamkeit*
Hier um die Ecke gleich sind wir da
Siehst du die Plane den Eingang nach unten
dann hört das Zittern auf vielleicht
hilft warmes Essen ganz sicher hilfts wer hat
was von Viktor gehört von Lesja Alexs Vitaly
Setz dich Kleines hier neben die Kabel wir schließen
uns an reib die Hände habt ihr noch Binden für mich
wie geht’s dem Magen sag bei dir hast du wieder Tabletten
Nein ah Xenija sagst du sie lebt noch sie lebt Kleines
hörst du was für ein guter Tag keine Bombe heute und
Xenija lebt noch und hier trink das Wasser ich hol dir
Kartoffeln herrliche heiße Kartoffeln gibt’s heute
hier
* Nach den permanenten russischen Angriffen auf die Energieinfrastruktur entstanden überall in der Ukraine »Punkte der Unbeugsamkeit« – öffentliche Orte, an denen es Wärme, Wasser und Strom gibt. Quelle: Kateryna Mishenko. Spiegel der Seele, S 14, In: Kateryna Mishenko, Katharina Raabe (Hrsg.): Aus dem Nebel des Krieges. Die Gegenwart der Ukraine. edition suhrkamp 2023.
Herbstdelirium
Alle mal durchatmen!
Die Stürme sind weitergezogen wüten soeben
woanders rein bei uns keine Sturzflut zerbricht
unsere Wände keine Daten saufen ab nichts wird gecrasht
verschleudert weggefegt! Erinnerungen! Verträge! Alles beisammen Leute!
Steckt eure hasigen Herzchen zurück husch in die Kiste husch
Da muss doch mal ein Optimismus her!
Trinkt Tee geht kräftig shoppen kurbelt den Tourismus
an die nächsten werden wieder andere sein Ha!
Wasser Feuer Gift können wir
drauf nehmen uns uns uns trifft es nicht! Wir! Leute!
Wenn wir! fallen dann nur in eine sichere Hand
Als wär die Erde eine blaue Lampe
Oktobernacht
Schwarzhimmel goldbestickt
mit dem Soundtrack nasser Reifen
vorm Nymphenburger Schloss
Blick in den Wundraum
Aufgescheuert von Satellitenschrott
als wär die Erde eine blaue Lampe
von Milliarden Metallmotten umschwirrt
(c) Birgit Müller-Wieland